Wirtschaftskrise trifft auch Behindertenwerkstätten

Häkeln statt Arbeit

Die gegenwärtige Rezession trifft die bundesweit 700 Werkstätten für insgesamt 270.000 behinderte Menschen genauso wie gewerbliche Unternehmen. "Die Ausprägung ist aber unterschiedlich stark, abhängig von den Zulieferfirmen", sagt Jörg Heyer von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten in Frankfurt am Main. Laut einer Umfrage unter den 2.300 Standorten haben vor allem Werkstätten mit nur zwei, drei Großkunden mit dramatischen Auftragseinbrüchen von 30 bis 50 Prozent zu kämpfen.

Autor/in:
Katrin Nordwald
 (DR)


Die Firmen behalten nun selbst einfache Arbeiten bei sich, um Arbeitsplätze zu sichern. Um Kurzarbeit beantragen zu können, dürfen sie zudem keine Aufträge abgeben.

In den vergangenen Wochen hat Waltraud Lössl gehäkelt, gemalt oder schreiben geübt, während sie wartete - auf Arbeit. «Wann hast Du mal wieder was zu tun für mich?», fragt sie, als Eleni Gonsoir vorbeikommt, Leiterin der Betheler Werkstatt Grabe. Lössl baut in der Bielefelder Einrichtung für behinderte Menschen Dämpfer für Möbeltüren zusammen. 2008 war für die 165 Beschäftigten ein gutes Jahr mit vielen Aufträgen aus der Industrie, doch seit Februar herrscht Flaute. «Durch die Wirtschaftskrise hat diese Werkstatt im Schnitt 50 Prozent Einbußen», sagt Gonsoir.

Bei Behinderten-Werkstätten mit einem breit gefächerten Kundenstamm von mittelständischen Auftraggebern sei dagegen die Situation stabil, berichtet Heyer. In Dienstleistungsbereichen wie Grünarbeiten, Versand, Archivieren oder in integrativen Cafébetrieben seien sogar leichte Zuwächse zu verzeichnen. «Wenn erstmal ein Vertrauensverhältnis geschaffen worden ist, dann kommt der Kunde immer wieder», sagt Heyer.

Der Stiftungsbereich proWerk der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, mit rund 2.000 behinderten Beschäftigen die bundesweit größte Werkstatt, hat zwar rund 600 Kunden. «Doch unsere 25 Top-Kunden aus der Industrie machen letztlich 70 Prozent des Umsatzes aus», sagt Geschäftsführer Erhard Kunert. Der Gesamtumsatz betrug nach Bethel-Angaben im vergangenen Jahr 16 Millionen Euro.

Derzeit ist laut Kunert etwa die industrielle Produktion von Handstaubsaugern massiv eingebrochen. «Die Firma hat die Produktion für die USA für vier Monate gestoppt. Das trifft uns hart.» ProWerk habe dafür eigens industrielle Arbeitsmöglichkeiten mit Fließbändern und große Lagerkapazitäten geschaffen.

Auch die Diakonische Stiftung Wittekindshof mit Sitz in Bad Oeynhausen beklagt herbe Umsatzrückgänge. «Die Krise der Automobilbranche ist auch unsere Krise», sagt Reiner Breder, Ressortleiter für den Bereich Arbeit. In den Wittekindshofer Werkstätten im münsterländischen Gronau ruhe die Produktion von Ladungssicherungssystemen für Lkw seit Ende vergangenen Jahres
weitgehend: «Für Nutzfahrzeuge gilt keine Abwrackprämie.»

Neben Auftragsrückgängen von 30 Prozent sei das Preisdumping ein großes Problem, sagt Breder. Und auch Kunert berichtet von Firmen, die die Krise nutzen wollten und schon nach einem «Rezessionsrabatt» von 8,5 bis 15 Prozent angefragt hätten. «Dazu sagen wir konsequent Nein.»

Mit den leeren Auftragsbüchern kommt für die Werkstätten ein menschliches Problem hinzu: Die behinderten Beschäftigten haben zwar einen Rechtsanspruch auf ihren Arbeitsplatz, auch erhalten sie ein gesichertes Monatsentgelt von mindestens 73 Euro, im Durchschnitt sind es 158 Euro. «Aber wir beobachten bereits, dass Verhaltensauffälligkeiten zunehmen, weil die Menschen keine Arbeit mehr haben», erzählt Breder. Mehr noch als andere brauchten sie die Arbeit, um ihrem Tag Struktur zu geben.

«Die Arbeit ist für behinderte Menschen das Wichtigste, sie verdienen ihr eigenes Geld und fühlen sich dadurch als Teil der Gesellschaft», erklärt Eleni Gonsoir aus Bethel. Dort wurde ein Begleitangebot aus Sport-, Ernährungs-, Kreativ- sowie Lese- und Schreibkursen entwickelt. Kerstin Neubert, die in der Produktion Beutel für Handstaubsauger klebt, hat beispielsweise gelernt, selbst eine Banküberweisung in Großbuchstaben auszufüllen. Waltraud Lössl gefällt das Nordic Walking. «Aber es ist nicht so gut, dass wenig Arbeit da ist», klagt die 39-Jährige.

Als Wege aus der Krise will die proWerk-Geschäftsführung den Dienstleistungsbereich verstärken und die behinderten Beschäftigten weiterbilden. «Wir denken auch an neue Geschäftsideen, etwa einen Radwechselservice für die Autoindustrie», sagt Kunert.

Und schließlich planen die diakonischen Werke mehr Eigenproduktion. Dabei setzen sie erstmals auf enge Kooperation. So plant Bethel mit dem Wittekindshof, der Stiftung Eben-Ezer im lippischen Lemgo und den Behinderten-Werkstätten in Minden ein neues Möbel- und Ausstattungsprogramm. «So birgt die Wirtschaftskrise auch eine Chance», sagt Kunert, «vorher sahen wir uns als Konkurrenten, jetzt arbeiten wir zusammen.»