Warum Kirche als Kundin der Fleischindustrie keine gute Figur macht

"Wir sind da oft zu lahm"

Um Fleisch unter wirklich fairen Bedingungen für Mensch und Tier zu verarbeiten, wäre nicht weniger als ein Systemwechsel nötig. Ein Systemwechsel, zu dem die Kirche beitragen könnte, es aber noch immer nicht wirklich tut, beklagen Theologen.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Mitarbeiter in einem Fleischbetrieb / © Bernd Thissen (dpa)
Mitarbeiter in einem Fleischbetrieb / © Bernd Thissen ( dpa )

Den aktuellen Skandal um die gehäufte Zahl von Corona-Fällen in deutschen Fleischbetrieben sieht Peter Kossen auch als Chance, dass sich endlich "substanziell etwas ändert". Seit vielen Jahren kämpft der katholische Pfarrer für die Rechte der meist bulgarischen und rumänischen Arbeiter in der deutschen Fleischindustrie. Jetzt erlebt er eine öffentliche Sensibilisierung und wünscht sich gerade auch von seiner Kirche ein seiner Meinung nach längst überfälliges Umdenken.

Schließlich betreibe die Kirche noch immer viele Altenheime und Kindergärten, Kranken- und Bildungshäuser im ganzen Land und habe damit eine "große Marktmacht". Würde in all diesen Einrichtungen tatsächlich nach ethischen Kriterien eingekauft und gekocht, dann "würde sich der Markt schnell darauf einstellen und das würde seine Auswirkungen haben", meint Kossen, der im aktuellen Skandal als "Sozialpfarrer" ein gefragter Gesprächspartner der Medien ist.

"Wir sind da als Kirche oft zu lahm"

In seiner Heimat im Oldenburger Land, einem Hotspot der Massentierhaltung und industriellen Fleischproduktion, habe er auch immer wieder erlebt, wie manch ein Fleischbaron als potenter Kirchensteuerzahler offensichtlich auch auf die Kirche großen Einfluss habe. "Kirchliche Protagonisten hatten doch Sorge, diese Leute nicht zu verprellen", so Pfarrer Kossen.

"Wir sind da als Kirche oft zu lahm", beklagt Kossen. Gerade auch von Seiten der katholischen Sozialverbände vermisst er klare Kritik am gängigen Fleischkonsum-Modell, das die Kirchen durch ihr Kaufverhalten mittragen, und Alternativvorschläge.

Mit Sozialromantik oder Träumerei habe das nichts zu tun, betont der Geistliche und verweist auf diverse kirchliche Bildungshäuser, die längst unter Berücksichtigung fairer und ökolgischer Gesichtspunkte wirtschaften. "Da kommt nicht automatisch und jeden Tag und weil das angeblich alle wollen Fleisch auf den Tisch. Trotzdem kann man in solchen Häusern gut essen, vielleicht sogar besser!" Das sei oft schwer, aber machbar. 

Diese Einschätzung teilt Kossen mit seinem Kollegen im Priesteramt Rainer Hagencord. Der Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster kritisiert das Prinzip industrieller Fleischerzeugung vor allem aus der Perspektive des Tierwohls. Dass in diesem Rahmen auch Menschen wie Sklaven behandelt werden, macht die real existierende Fleischindustrie in seinen Augen umso mehr zu einem "System der Sünde", in dem es außer den großen Produzenten und der Pharmaindustrie "nur Verlierer" gibt. 

Hoheit über die Kantinen geltend machen

Auch Hagencord rät kirchlichen Verantwortlichen dringend, "endlich ihre Hoheit über die Kantinen" geltend zu machen und nur noch Fleisch aus artgerechter Haltung zu kaufen und anzubieten. Zudem könne sich die Kirche als Grundbesitzerin das Prinzip ""Keine Tierfabrik mehr auf Kirchenland!" verordnen.

Mit der päpstlichen Umwelt-Enzyklika "Laudato si", sagt Hagencord weiter, habe die katholische Kirche bereits seit 2015 klare Handlungsanweisungen auch in der Fleischfrage - aus einer lebensbejahenden Schöpfungstheologie heraus beantwortet. Dass sich trotzdem auch in den Reihen der katholischen Kirche so viele so damit schwertun, kann sich der Theologe nur "mit einem offensichtlich unstillbaren Hunger nach möglichst billigem Fleisch" erklären.

Hagencord erlebt durchaus, wie viele Katholiken sich vor Ort in den Gemeinden dafür engagieren, dass ihre Kirche in Sachen faires Fleisch endlich Vorreiterin wird. Aber wenn es dann ganz konkret an die Würstchen fürs Pfarrfest gehe, dann "kämpfen sie noch immer gegen Windmühlen!"

Der aktuelle Corona-Skandal in deutschen Schlachtereien, er zeigt in Hagencords Wahrnehmung sehr klar, "dass das Fleisch, das so billig daherkommt, einen sehr hohen Preis hat, den die anderen zahlen müssen." Die Bundesregierung hat nun deutlich strengere Auflagen für die Branche beschlossen – darunter auch ein Verbot von Werkverträgen für Leiharbeiter. "Und es wäre bitter, wenn die Kirchen jetzt an dieser Stelle nicht auch noch einmal systemische Fragen stellen - auch auf die eigenen Praxis blickend", mahnt Pfarrer Kossen aus dem Fleischland Oldenburger Land.


Peter Kossen / © Ingo Wagner (dpa)
Peter Kossen / © Ingo Wagner ( dpa )

Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR