"Offener Brief" pocht auf Menschenrechte für Flüchtlinge

"Wir müssen lauter werden"

Die Situation in den Flüchtlingslagern an den Grenzen Europas ist weiter katastrophal. Besonders zeigt sich das im Südosten des Kontinents. In einem offenen Brief fordern Christen die Kirchen zu einer Rettungsaktion auf.

Hand eines Flüchtlings an einem Stacheldrahtzaun / © Beekeepx (shutterstock)
Hand eines Flüchtlings an einem Stacheldrahtzaun / © Beekeepx ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In einem "Offenen Brief" fordern Christen, zu denen auch Sie gehören, die Kirchen zu einer Rettungsaktion für Flüchtlinge auf. "Machen Sie sich auf den Weg: Chartern Sie Reisebusse in Richtung Bosnien, Serbien, Griechenland", heißt es in dem Schreiben an die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland. Warum haben Sie diesen Brief jetzt verfasst?

Lisa Kötter (Mit-Initiatorin des Offenen Briefes und Mitbegründerin der Initiative "Maria 2.0"): Weil jetzt die Menschen leiden, weil Europa, das sich letztlich auf christliche Werte beruft, an seinen Rändern Menschen jetzt quasi einer Folter aussetzt, einer Folter von Kälte, von Nässe, von Verkommen. Sie setzen die Menschen etwas aus, was gegen die Menschenwürde ist.

Wir glauben einfach, dass wir als Christen, die sich auf Jesus berufen, der gesagt hat, "was ihr dem geringsten meiner Geschwister getan hat, habt ihr mir getan", da eine ganz, ganz klare Richtung von ihm vorgegeben kriegen. Das schließt keinen Menschen aus. Denn es geht nicht darum, woher die Menschen kommen und wessen Geschlecht sie sind und was sie getan haben.

Sie haben einen Grund für ihre Flucht. Welcher das auch immer ist. Das geht uns im Grunde erst einmal gar nichts an, sondern wir müssen ihre Würde achten. Sobald wir die Würde eines einzigen Menschen nicht achten, verlieren wir unsere eigene Würde. Davon sind wir überzeugt.

DOMRADIO.DE: In Ihrem Appell rufen Sie dazu auf, Reisebusse in Richtung Südosteuropa zu chartern. Meinen Sie das wortwörtlich?

Kötter: Nein, das meinen wir nicht wortwörtlich. Dieser Brief ist sehr provokativ gehalten und im Grunde soll er eine Aufforderung sein, laut zu sein. Wir sind uns auch dessen sehr bewusst, dass die Kirchen für geflüchtete Menschen schon viel mehr tun als andere Teile der Gesellschaft. Sie tun es auch oft leise in Verhandlungen und so weiter.

Worum es uns geht, ist, dass die Menschen, die es laut gegen das Barmherzige aufnehmen oder auch nur gegen das Helfen für diese Menschen sind, übertönt werden. Wir müssen lauter werden, weil ich glaube, dass die schweigende Mehrheit, gerade auch der Christen in Deutschland, im Grunde ja auch überhaupt nicht damit einverstanden ist, was dort passiert. Denn die Menschen werden ja im wahrsten Sinne des Wortes wirklich benutzt.

DOMRADIO.DE: Sie appellieren an die christliche Verantwortung. Was genau wünschen Sie sich von den Kirchen, von den Kirchenleitungen? Was sollen die jetzt konkret tun?

Kötter: Im Grunde wünsche ich mir oder wünschen wir uns, dass die Herren und Damen, die Großen unserer Kirchen, sozusagen die Vertreter der Christen in Deutschland, alle Mitchristen auffordern, dass wir laut werden müssen, dass wir unser Nichteinverstandensein laut äußern, dass wir natürlich in vernünftige Verhandlungen, vernünftiges Handeln kommen.

Natürlich wissen wir, dass es nicht damit getan ist, irgendwelche Busse zu chartern und die Politiker zu übergehen, die es angeht. Aber ich denke halt, dass die Christen in Deutschland und die Christen, die da laut werden können, auch ihre Schwestern und Brüder in den anderen europäischen Ländern anstecken müssen mit diesem Widerstand gegen dieses Unrecht, gegen diese Folter, gegen diesen Tritt in die Menschenwürde, der dort passiert.

DOMRADIO.DE: Haben Sie schon Antwort bekommen aus oberen Kirchenkreisen?

Kötter: Ein Weihbischof aus Hildesheim hat den Brief zum Beispiel mit unterschrieben. Nein, wir haben noch keine Antwort bekommen. Ich weiß auch nicht, ob wir Antwort kriegen. Das sei dahingestellt. Uns ist es eigentlich wichtig, dass die Menschen sich aufrütteln und dass sich noch mehr an die Politiker und auch an die Kirchenoberen wenden. Damit wir eine laute Stimme des Nichteinverstandenseins werden.

DOMRADIO.DE: Wobei es da natürlich immer wieder auch viele Stimmen aus der Kirche gegeben hat. Die Frage ist, ob Stimmen reichen oder ob nicht dann doch Taten folgen müssen!?

Kötter: Natürlich gibt es Stimmen aus der Kirche, aber sie sind doch sehr vereinzelt und sie sind sehr vorsichtig. Und sehen Sie, ich habe das ja verglichen mit den sehr, sehr lauten Stimmen einer rechtskatholischen oder auch einer rechtschristlichen Gruppe, aber auch anderer Menschen, die eben nichts davon halten, Menschen zu helfen, die damit einverstanden sind, dass auf dem Rücken dieser Menschen eine Abschreckungspolitik gemacht wird.

Ich meine, das muss man sich wirklich mal vorstellen: Wir haben die Menschenrechtscharta unterschrieben, in der es heißt "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Und diejenigen, die das ernst nehmen oder die jetzt wirklich sehen, dass genau das mit Füßen getreten wird, die müssen lauter werden, weil es viele sind. Ich bin davon überzeugt, wir sind viel, viel, viel mehr als die, die gegen die Menschenwürde schreien.

DOMRADIO.DE: Und wenn jetzt Leute sagen, ich bin genau dieser Meinung. Ich würde den Brief auch gerne noch unterschreiben. Wie würde das gehen?

Kötter: Dann können sie einfach an die Deutsche Bischofskonferenz schreiben. Die Email-Adresse findet man im Internet. Kein Problem.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

 

Lisa Kötter, Mitinitiatorin des Kirchenstreiks "Maria 2.0" / © Friso Gentsch (dpa)
Lisa Kötter, Mitinitiatorin des Kirchenstreiks "Maria 2.0" / © Friso Gentsch ( dpa )
Quelle:
DR