Kirche zur neuen Identitätsstudie von Ostdeutschen

"Wir haben diese Wahrnehmung erkannt"

Das Gefühl abgehängt zu sein, nimmt laut einer neuen Studie bei Ostdeutschen zu. Diese Unzufriedenheit drückt sich auch in den Wahlabschichten aus. Eine Verantwortung der Kirche nimmt auch der Leiter des Katholischen Büros in Sachsen wahr.

Deutsches Identitätsgefühl (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Der Studie des Allensbacher Institutes im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge identifizieren sich 47 Prozent der Ostdeutschen mit ihrem früheren Staatsgebiet und weniger mit der Bundesrepublik. Können Sie dieses Identitätsgefühl der Ostdeutschen bestätigen?

Dr. Daniel Frank (Leiter des Katholischen Büros Sachsen): Zwei Sachen, mit denen ich Probleme habe. Zunächst mal: Was ist ein spezifisch ostdeutsches Identitätsgefühl? Für mich ist der Begriff Identität durchweg positiv besetzt. Identität ist für mich, wenn ich mich frage, welche Wurzeln ich habe oder worauf kann ich stolz sein? Was macht mich und die Meinen aus? Was kann ich der Gesellschaft geben? Und bei dieser Studie, deren Ergebnisse ich erfahren habe, scheinen es durchweg negative Dinge zu sein, die dort mit Identität in Verbindung gebracht werden. Und zwar, dass Ostdeutschland abgehängt sei und viele Ostdeutsche der Überzeugung seien, die Lebensverhältnisse seien schlechter als im Westen. Das ist das Erste, was mich ein bisschen nachdenklich stimmt.

Das zweite, was mich nachdenklich stimmt, ist, dass es an Gebietsgrenzen festgemacht wird. Natürlich haben sich im Osten Deutschlands in den vergangenen 30 Jahren vielfältige und vielschichtige Transformationsprozesse ereignet. Eine Gesellschaft musste neu entwickelt werden und sich selbst neu finden. Das trifft natürlich auf das Gebiet der ostdeutschen Bundesländer zu. Dass man das sozusagen auch als haarscharfe Grenze für ein ostdeutsches Identitätsgefühl nimmt, halte ich für schwierig.

DOMRADIO.DE: Kennen Sie das denn, dass Menschen sagen: Ich fühle mich als Ostdeutscher und weniger als Deutscher oder Bürger der Bundesrepublik?

Frank: Natürlich kenne ich das. Aber auf was ich in meinen Gesprächen in Sachsen oder auch den anderen Bundesländern eher treffe, ist ein Lokal- oder Regionalpatriotismus. Wenn ich ins Vogtland schaue, in die Lausitz, nach Leipzig oder Dresden, ist da ein gewisser Lokalpatriotismus vorhanden. Es gibt sicherlich auch eine ostdeutsche Identität, ja. Aber ich würde sie nicht so hoch hängen oder setzen wollen, wie es nach meinem ersten Blick in die Studienergebnisse des Allensbacher Instituts deutlich wird.

DOMRADIO.DE: Die Untersuchung dieses Instituts sagt auch, dass genau diese Gruppe eher AfD oder die Linke wählt, sich also eher rechts oder links positioniert. Glauben Sie, dass es da einen Zusammenhang gibt?

Frank: Wenn wir jetzt mal vor dem Begriff der Identität absehen, haben wir natürlich verschiedene Phänomene hier im Osten Deutschlands. Einiges habe ich schon benannt: Eine Veränderung hat die andere gejagt, die Gesellschaft ist neu gestaltet worden, Biographien wurden neu geschrieben. Manche haben sich die Fragen gestellt und stellen sie sich immer noch: Wird meine Lebensleistung hinreichend gewürdigt? Das alles ist natürlich im Wege der Einheit Deutschlands und den dreißig Jahren danach aufgetreten. Es ist auch wahrnehmbar, dass viele die Einheit Deutschlands als Geschenk oder als Glücksfall der Geschichte begreifen. Das ist die eine Differenzierung, die ich geben möchte.

Die andere Differenzierung ist, dass ich innerhalb Ostdeutschlands verschiedene Dinge wahrnehme. Das heißt, die Probleme, die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern oder in Brandenburg haben, können wieder ganz andere sein, wie die von Menschen in Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Sachsen.

DOMRADIO.DE: 74 Prozent der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern fühlen sich jedoch laut Studie abgehängt.

Frank: Diese Meinung gibt es und sie darf auch als Grundmeinung nicht ausgeblendet werden. Ich halte sie aber nicht für identitätsstiftend.

DOMRADIO.DE: Da stellt sich aber trotzdem die Frage, wie man es schaffen kann, dass dieses Gefühl zurückgeht. Oder ist es tatsächlich so, dass der Osten in so vielen Dingen hinterherhinkt oder abgehängt wird?

Frank: Ich nehme wahr – gerade in Sachsen – was in den letzten 30 Jahren entstanden ist. Wir können in vielen Fällen mit dem, was erreicht worden ist, sehr zufrieden und stolz sein. Gerade im ländlichen Raum fühlen sie sich abgehängt. Das hängt natürlich auch davon ab, dass die Zahl der Ärzte weniger wird und die Infrastruktur schwächer wird. Das sind genau die Punkte, wo Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in den letzten eineinhalb Jahren ganz stark angesetzt hat, an den Stellen etwas zu tun. Aber dass es sicherlich diese Sichtweisen gibt, ist ganz klar. Man muss sie ernst nehmen.

Ich spreche auch als Vertreter der Kirchen. Wir haben diese Wahrnehmung erkannt und gesagt, wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen. Das sind wir schon seit längerer Zeit. Wir haben auch gemerkt, dass diejenigen, die den Unmut schüren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Frage stellen, oft und lange Zeit die lauteren Stimmen gewesen sind. Denen muss einfach auch ein Gewicht entgegengesetzt und gezeigt werden, dass vieles erreicht ist. Natürlich ist nicht alles perfekt. Es sind nicht überall blühende Landschaften. Wir befinden uns eben auf dem Weg. Dass man aber mit den Menschen ins Gespräch kommt und die Probleme der Menschen ernst nimmt, ist ein ganz wichtiger Punkt. Daran müssen wir auch in Zukunft denken und noch stärker arbeiten.

DOMRADIO.DE: Am 1. September wird der neue Landtag in Sachsen gewählt. Die Kirche gibt keine Wahlempfehlung aus, oder?

Frank: Wir geben natürlich keine Wahlempfehlung für oder gegen eine bestimmte Partei aus. Aber mein Kollege vom evangelischen Büro im Freistaat Sachsen und ich haben eine Handreichung, die ganz klar und prägnant zeigt, worauf wir bei der Auswahl achten sollten. Erster Punkt ist natürlich die Bitte, unbedingt zur Wahl zu gehen. Die zweite Bitte ist, zu schauen, was sind die Maßstäbe, an denen man die Wahlentscheidung ausrichten sollte.

Es geht um Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, um den Sozialstaat und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vor allem aber geht es um die Menschenwürde. Das ist nicht bei jeder Partei gegeben und die Wertung müssen die Wähler treffen. Wir nehmen den Wählern diese Entscheidung nicht ab. Dieser Abgleich zwischen dem, was sie bei den einzelnen Parteien vorfinden, ist die Verantwortung des Wählers. Wir geben diese Handreichung in alle Pfarreien und Einrichtungen als Maßstab für die Wahlentscheidung. 


Quelle:
DR