Wenn Vererben zur Herzenssache wird

"Wir garantieren, dass die Idee eines Menschen weiterlebt"

Voraussichtlich werden in Deutschland in den nächsten zehn Jahren 3,1 Billionen Euro vererbt. In manchem Testament wird auch die Kirche bedacht, die dann im Sinne des Verstorbenen Gutes damit tut. Die Expertin Elke Böhme-Barz erklärt, wie.

Vor dem Erbe steht vielfach das Testament / © Burdun Illiya (shutterstock)
Vor dem Erbe steht vielfach das Testament / © Burdun Illiya ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Erben bzw. vererben kann Fluch und Segen sein. Wenn’s ums Geld geht, kommt Streit bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen auch in den allerbesten Familien vor. Erstrecht wenn es kein Testament gibt. Im Stiftungszentrum des Erzbistums verwalten Sie neben den fast 40 Stiftungen auch Nachlässe und Schenkungen. Infolgedessen haben Sie dort vor allem mit Menschen zu tun, die sich oft schon zu Lebzeiten Gedanken darüber machen, was aus ihrem Vermögen einmal werden soll. Aber es gibt auch einen Großteil anonymer Geber, mit denen Sie vorher keinen Kontakt hatten. Und dann landet eines Tages ein Brief vom Amtsgericht auf Ihrem Schreibtisch, in dem steht, dass die Kirche zur Erbin eines nicht unbeträchtlichen Vermögens wird…

Elke Böhme-Barz (Leiterin des Stiftungszentrums im Erzbistum Köln): Das ist jedes Mal in der Tat eine Überraschung. In den meisten Fällen verknüpft derjenige, der der Kirche etwas hinterlässt, damit den Wunsch, über das eigene Leben hinaus noch etwas gestalten zu können, etwas weiterzuführen. Und dafür sind wir dann da, um das, wofür jemand vielleicht gebrannt hat, weiterzutragen und in seinem Sinne umzusetzen. Das bedeutet ganz viel Vorschussvertrauen, mit dem wir sehr demütig umgehen. Aber natürlich freut uns auch, dass wir dann in der Lage sind, ein wichtiges Anliegen damit unterstützen zu können.

DOMRADIO.DE: Wie sieht das denn praktisch aus?

Böhme-Barz: Die komplette organisatorische Abwicklung eines Nachlasses liegt ganz in unserer Hand. Jeder hat im Leben für etwas gestanden: der Arzt für seine Sorge um den Patienten, die Lehrerin für ihre Liebe zu Kindern oder der Geschäftsmann für seine Sammelleidenschaft von Kunst. Das soll auch mit dem Tod nicht vorbei sein. Deshalb schauen wir, wenn nicht ausdrücklich benannt wird, wem oder was das vererbte Vermögen zugute kommen soll, dass der Verwendungszweck zum Leben des Verstorbenen passt. So sollte das Vermögen eines Herzchirurgen nicht für die Förderung von Baudenkmälern verwendet werden. Natürlich haben wir es leichter, wenn ein bestimmter Zweck bereits verfügt wird. In jedem Fall empfehle ich, ein Testament zu machen. Denn zwei Drittel der Deutschen über 55 Jahre haben kein Testament.

DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich, dass so wenige Menschen diesbezüglich Vorsorge treffen?

Böhme-Barz: Das ist nach dem Krieg historisch so gewachsen und hat auch mit unserer gesellschaftlichen Tabuisierung von Sterben und Tod zu tun – trotz aller Aufklärung. Früher, als Tote zuhause auch noch aufgebahrt wurden, war der Tod viel präsenter. Man nahm ganz anders von ihnen Abschied. Sie wurden nicht in Krankenhäuser ausgelagert. Hinzu kommt, dass viele Menschen es geradezu ablehnen, sich bereits zu Lebzeiten mit ihrem eigenen Sterben auseinanderzusetzen. Das wird lieber verdrängt. Hier hat es einen Kulturwandel gegeben, der sich auch auf unsere Arbeit auswirkt. Vor ein paar Jahren hat es noch viel häufiger eine solche Post vom Amtsgericht gegeben. Die Leute dachten: Bei der Kirche ist mein Geld gut aufgehoben. Heute aber ist die Kirche nur noch eine Adresse unter vielen, an die ein Erbe geht. Auch weil viele zwar mit der Institution Kirche caritatives Handeln verknüpfen, aber dann doch nicht konkret die direkte Unterstützung von eventuell favorisierten Projekten in den Bereichen Gesellschaft und Soziales, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung oder auch Umweltprojekte. Dabei stehen auch solche Förderungszwecke längst auf unserer Agenda.

DOMRADIO.DE: Sie plädieren also dafür, sich mit einem Testament früh genug Gedanken über den Bestimmungszweck von Besitz und Vermögen zu machen?

Böhme-Barz: Auf jeden Fall. Was testamentarisch festgelegt ist, hat absolute Verbindlichkeit. Sowohl der Erbe als auch der Erblasser, also derjenige, der etwas vererbt, sind mit einem Testament viel besser abgesichert. Gibt es kein solches Dokument, greift die gesetzliche Erbfolge, was es zum Beispiel bei Patchwork-Familien sehr kompliziert macht. Jedenfalls hat sich schon oft als Trugschluss erwiesen, dass sich die Familie doch so gut versteht, um im Falle eines Falles auch gerecht zu teilen. Wie oft wurde eine solche Annahme schon Lügen gestraft! Im Erbfall brechen nicht selten alte Familienkonflikte auf; das geschwisterliche Gefüge gerät in Gefahr. Nichts sorgt für so viele Emotionen wie ein ungeregeltes Vermächtnis. Und plötzlich geschieht etwas, was so eigentlich keiner gewollt hat: Am Grab der Eltern bricht ein regelrechter Krieg um die gerechte Verteilung des Erbes aus. Da werden mit einem Mal Rechnungen aufgemacht, die unter normalen Umständen niemand für möglich gehalten hätte. Hier zeigt sich dann mehr die Seite des Fluches beim Thema Erben…

DOMRADIO.DE: Und wie sieht es mit dem Segen aus?

Böhme-Barz: Ein Erbe bringt viele Möglichkeiten mit sich, nachhaltig Gutes zu tun. Viele Menschen tragen jahrelang eine Herzensangelegenheit mit sich und haben eine Vorstellung davon, was sie fördern und unterstützen möchten. Das erleben wir fast täglich, wenn sie uns ihre Geschichte erzählen. Bei uns bekommen sie dann praktische Tipps, wie sie eine Realisierung am besten angehen, welche Form und welchen Ausdruck sie diesem Wunsch geben können. Wir unterstützen jeden bei seinem persönlichen Anliegen: ganz egal, ob es sich dabei um die Förderung einer Gemeindeinitiative oder eines Projektes auf der anderen Seite des Erdballs handelt. Wie Förderung gelingt, kann im Stiftungszentrum an zahlreichen konkreten Beispielen eingesehen werden.

Als Christen glauben wir, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Und so kann es uns leichter fallen, uns darüber Gedanken zu machen, wie das, was uns im Leben an Gütern und Werten zuteil wurde, weiterwirken kann. Wir garantieren, dass die Idee eines Menschen, die er in sich getragen hat, weiterlebt. Von diesem Selbstverständnis sind wir erfüllt.

DOMRADIO.DE: Mal ganz praktisch gedacht: Wie muss denn ein gültiges Testament aussehen?

Böhme-Barz: Es sollte handschriftlich und eigenhändig verfasst sein, ein Datum und die Unterschrift aufweisen. Um ganz sicher zu gehen, dass der letzte Wille auch juristisch korrekt und gültig formuliert ist, kann man alternativ ein Testament auch von einem Notar erstellen lassen. Wer seinen Nachlass der Kirche vermachen möchte, kann dazu unsere Beratung in Anspruch nehmen. Wir haben in unserer Abteilung einen eigenen juristischen Experten, der sich in allen Fragen des Vererbens bestens auskennt.

DOMRADIO.DE: 365.000 Menschen in Deutschland besitzen ein Privatvermögen von über einer Million. 300.000 deutsche Unternehmen stehen vor einer Nachfolgesituation. Das Durchschnitts-Erbe pro Kopf lag 2010 bei 250.000 Euro, 2018 bei 300.000 Euro. In der Summe erbten die Deutschen im vergangenen Jahr 260 Milliarden Euro. Das sind gewaltige Zahlen. Wo kommen die her?

Böhme-Barz: Deutschland ist ein Erbenland. Man darf nicht vergessen, dass die erste Generation nach dem Zweiten Weltkrieg, die Babyboomer, die Friedensphase dazu nutzten, privaten Wohlstand aufzubauen. Die Wirtschaftswundergeneration hat die Ärmel hochgekrempelt und durch sehr viel Fleiß Immobilien und Land erworben. Der Gestaltungswille damals war groß. Außerdem wollten die Menschen damit die Kriegsszenarien aus dem Kopf bekommen. Heute geht es darum, das Imperium des Großvaters weiterzuführen und Verantwortung zu übernehmen. Das ist für manchen Erben, der beruflich andere Pläne hatte, gar nicht lustig. Plötzlich geht es um ganz neue Lebensinhalte und darum zu überlegen, was geschieht mit diesen enormen Werten. Oft ist die Unternehmensnachfolge auch gar nicht geregelt. Wie gesagt, erben kann auch ein Fluch sein…

DOMRADIO.DE: In Ihrem Archiv lagern sogar Nachlässe und Schenkungsvereinbarungen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Damals wollte man vor allem gezielt für Waisenmädchen, Mädchenheime oder die Bildung von Mädchen, die immer zu kurz kamen, eine Absicherung schaffen. Die historischen Wurzeln des Kölner Stiftungszentrums reichen also weit in die Vergangenheit zurück und die Zwecke haben sich mittlerweile ja nun auch sehr gewandelt…

Böhme-Barz: Da früher der Pfarrer am Ort als Kirchenrepräsentant schlechthin galt und er das Prinzip der Barmherzigkeit verkörperte, wurde die Kirche ganz selbstverständlich immer wieder mit Nachlässen bedacht. Das ist heute nicht mehr so – auch weil es längst Alternativen gibt: "Ärzte ohne Grenzen", Hilfswerke wie die "Welthungerhilfe" und neuerdings für die Jüngeren auch Institutionen zur Unterstützung des Umwelt- und Klimaschutzes, um nur einige wenige zu nennen. Und natürlich macht uns auch der zunehmende Bedeutungsverlust von Kirche und kirchlichem Leben zu schaffen. Leider haben wir es verpasst, in den letzten Jahrzehnten das große caritative Engagement von Kirche ins Wort zu bringen, und uns darin zu üben, diese Seite von Kirche medial entsprechend hervorzuheben. Da waren andere mit riesigen Kampagnen rühriger. Das hat zur Folge, dass nun die große Erbschaftswelle der zweiten und dritten Generation draußen an uns vorbei rollt.

DOMRADIO.DE: Trotzdem gibt es immer noch regelmäßige Zuwendungen, die Ihnen die Menschen über Stiftungen oder ein Erbe anvertrauen und mit denen Sie dann viel Gutes tun…

Böhme-Barz: Wir verwalten sogar Nachlässe, deren Zwecke selbst noch nach 100 Jahren weiterverfolgt werden. Immer geht es uns um Verantwortung und darum, im Sinne des Gebers zu handeln. Für dieses vorrangige Anliegen können wir gar nicht genug von uns reden machen. Dabei ist uns vor allem wichtig, neu ins Bewusstsein zu bringen, was Kirche alles tut. Entsprechend wichtig ist eine gute Kommunikation. Denn natürlich will ein Spender auch gesehen und mit seinem Anliegen wahrgenommen werden. Das ist die eine Seite unserer Arbeit.

Die andere besteht darin, Kirche wieder positiv ins Gespräch zu bringen. Dafür führen wir eingehende Beratungsgespräche – auch wenn die Gründung einer Stiftung oder die Übernahme eines Nachlasses nicht primäres Ziel sind. Grundsätzlich haben wir den Anspruch, umfassend über die Möglichkeiten, die sich über das Stiftungszentrum ergeben, zu informieren. Wer zu uns kommt, erfährt, wie er über sein Leben hinaus etwas Sinnvolles mit seinem Vermögen machen kann. Da können wir dann eine ganze Palette aufzeigen. Viele wissen gar nicht, was da alles geht. Von außen ist die Sicht auf das, was wir tun, leider sehr verkürzt.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen die Beziehungsebene an. Wie wichtig ist sie?

Böhme-Barz: Ein Großteil unserer Arbeit ist Beziehungsarbeit. Hier muss man ein Menschenfreund sein und viel Empathie mitbringen. Außerdem sollte man neugierig auf  Menschen sein, sich für deren Geschichte interessieren. Und nicht selten hat unsere Arbeit auch seelsorgliche Aspekte. Ich bedaure immer, wenn uns posthum ein Nachlass ohne Ankündigung erreicht. Denn dann ist dieser Teil, die Verständigung über das, was damit geschehen soll, nicht mehr möglich. Trotzdem versuche ich dann bei der Auflösung eines Haushaltes, bei der wir den Nachlass sorgfältig sichten und prüfen, den mutmaßlichen Willen dieses Menschen zu ermitteln und zu verstehen: Wie hat der getickt? Was war ihm wichtig?

DOMRADIO.DE: Das ist ja letztlich ein sehr intimer Vorgang, mit den sehr persönlichen Dingen eines Menschen befasst zu sein, den man nie kennengelernt hat…

Böhme-Barz: Vertrauen ist bei uns die Währung. Der Umgang mit fremdem Eigentum erfordert eine große Behutsamkeit, Respekt und auch Ehrfurcht. Und gleichzeitig liegt in dieser Arbeit auch eine große Sinnhaftigkeit, die hochmotivierend ist. Und am Ende erfüllt uns immer auch eine ebenso große Dankbarkeit, diesen Dienst an einem anderen Menschen tun zu dürfen. Schließlich gehören viele kleine Schritte dazu. Denn alles soll eine Weiterverwendung finden. Auf diese Weise kommen viele Alltagsgegenstände wieder in einen Kreislauf und letztlich dahin, wo sie gebraucht werden. Nachhaltigkeit wird bei uns groß geschrieben.

DOMRADIO.DE: Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit, Vertrauen. Das ist nicht nur eine große Charmeoffensive, mit der Sie da werben, sondern bedeutet ja auch große Verantwortung…

Böhme-Barz: Menschen, die entscheiden, dass nach ihrem Tod mit ihrem Besitz anderen geholfen wird und die sich bereits zu Lebzeiten für die Förderung Schwächerer einsetzen, sind in unserer Gesellschaft unverzichtbar. Zum Glück gehört Helfen zur genetischen Programmierung des Menschen, denn er ist dazu geboren. Leider nur gewöhnen wir uns das in unserer Gesellschaft gerade eher ab. Wenn wir in unserem Stiftungszentrum dazu beitragen können, diese Facette vom Menschsein sichtbarer zu machen, haben wir einen ganz wesentlichen Auftrag erfüllt.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


Elke Böhme-Barz / © Beatrice Tomasetti (DR)
Elke Böhme-Barz / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR