KNA: Herr Bischof Dembele, die Probleme der Menschen in afrikanischen Ländern werden derzeit oft auf Corona reduziert. Doch andere Krisen gehen ja weiter, auch in Mali. Wie geht es den Menschen dort?
Jonas Dembélé (Bischof von Kayes in Mali): Corona verschärfte in Mali die gesellschaftliche Krise. Die Kinder konnten kaum in die Schule, da die Lehrer fast seit Beginn des Schuljahres streikten. Es gab Proteste und Rebellionen in Städten wie Bamako, Kayes und Sikasso. Auch die zweifelhafte Parlamentswahl im Frühjahr hat ihren Teil zur aufgeladenen Stimmung beigetragen. Aber trotzdem gibt es Hoffnung. Denn schon vor Corona gab es überall Probleme und wenig Sicherheit. Das ist sozusagen normal.
KNA: Woher kommt diese Hoffnung?
Dembélé: Zurzeit haben wir einen Übergangspräsidenten. Es gibt den Wunsch nach Veränderung. Das Problem ist, dass die Veränderung alles umstürzen wird. Jeder Malier muss sich die Frage stellen, was er selbst tun und ändern kann, damit sich die Situation verbessert. Aber gleichzeitig herrscht Kummer. Zwar wurden entführte Geiseln wie der Oppositionsführer Soumaila Cisse wieder freigelassen. Doch auch Dschihadisten sind wieder auf freiem Fuß, worüber kaum geredet wird.
KNA: Die Dschihadisten verbreiten Angst und Schrecken. 2012/13 stürzten sie Mali in eine schwere Krise. Hätten die Terroristen die Hauptstadt Bamako ohne den Schutz internationaler Truppen erobert?
Dembélé: Ich gehe davon aus. Damals war die Krise auf Mali beschränkt. 2013 gab es die Operation Serval, bei der die französische Armee die Dschihadisten und die Drogenschmuggler stoppten. Die Banditen wurden zurückgedrängt. Danach hat sich die Lage kurzzeitig beruhigt. Die Krise breitete sich aber in einem großräumigen Gebiet aus, so dass mittlerweile von einem internationalen Konflikt die Rede ist. Wenn man von Dschihadisten und Terroristen in Mali spricht, geht es nicht immer um Malier. Diese Leute kommen aus der ganzen Welt. Manche glauben, die Krise habe ihren Ursprung in Libyen und die dortige Lage habe den Konflikt geschürt.
KNA: Welche Rolle spielen die Religionsvertreter in Mali - was können sie für die Menschen im Land tun?
Dembélé: Wir als Bischofskonferenz drängen auf Frieden und fordern echte Veränderungen. Aber es gibt auch noch die protestantische Kirche und den obersten islamischen Rat. Wir haben uns für den Dialog entschieden, um gemeinsam die Bevölkerung zu unterstützen, Frieden zu schaffen. Außerdem sollte die Aufgabe der Religion sein, eine Friedensbotschaft zu vermitteln, anstatt zum Krieg aufzurufen. Das müssen wir den Menschen klarmachen.
KNA: Wie genau?
Dembélé: Heutzutage gibt es viele Treffen der Bischöfe Westafrikas, weil alle diese Länder von ähnlichen Problemen betroffen sind. Als Bischöfe Afrikas sagen wir uns, dass wir nicht mehr von einem Konflikt in einem einzigen Land sprechen sollten. Wir alle sollten uns davon betroffen fühlen. Denn das, was sich in einem Land ereignet, kann heutzutage leicht zu einem globalen Problem heranwachsen. Wir müssen unsere Bevölkerung schützen und sensibilisieren, damit sie sich nicht in Konflikte treiben lässt.
KNA: Es ist der Monat der Weltmission und Sie sind in Deutschland der einzige Vertreter aus der Kirche Westafrikas - sind Sie enttäuscht, dass nicht mehr gekommen sind?
Dembélé: Wenn noch jemand aus Burkina Faso oder aus dem Senegal hier wäre, hätte ich mich gefreut. Aber ich kann auch verstehen, dass sie aufgrund der Corona-Pandemie nicht hier sein können. Ich habe Glück, weil ich einen Diplomatenpass und außerdem ein vier Jahre gültiges Schengen-Visum habe. Dadurch konnte ich trotzdem kommen. Ich hoffe, dass künftig auch wieder mehr Afrikaner nach Europa reisen können. In Mali verbindet dieser Missionsmonat die Menschen durch Gebete. Aber wir bitten die Christen auch darum, die Mission zu unterstützen, indem sie spenden.
KNA: Die Katholiken sind eine Minderheit in Mali. Was können Sie dennoch bewirken?
Dembélé: Wir sind eine sehr respektierte Minderheit. Denn die ersten Missionare, die nach Mali gekommen und dauerhaft hiergeblieben sind, waren die Missionare von Afrika, die Weißen Väter. Da es vielerorts keine Schulen gab, haben sie zunächst Schulen eröffnet. Ich konnte beispielsweise eine Schule besuchen, vier Kilometer von meinem Dorf entfernt. Selbst wenn die Leute nicht getauft wurden, wurden ihnen durch die Bildung die Werte der Kirche vermittelt: Offenheit gegenüber anderen, Mitmenschen kennenlernen und akzeptieren.
KNA: Was heißt das konkret?
Dembélé: In meinem Bistum Kayes gibt es viel mehr muslimische als christliche Kinder, die unsere christlichen Schulen besuchen. In ganz Mali machen die Christen nur 20 Prozent der Schüler aus. Alle anderen sind Muslime. Das hat einen großen Einfluss auf das Sozialgefüge. Die Gesundheitszentren und Krankenhäuser bieten unterschiedslos allen Menschen eine medizinische Versorgung. Durch diese wunderbare Offenheit sind die Menschen mit der Kirche vertraut.
KNA: Wo sehen Sie Mali in einem Jahr?
Dembélé: Das ist schwer zu sagen. Es ist viel Engagement nötig, damit sich unsere Situation bessert. Es darf keinen Krieg geben. Wir brauchen jetzt Stabilität. Auch den Politikern muss klar werden, dass sie versagt haben. In der Bevölkerung entsteht gerade ein Bewusstsein dafür, dass mehr Bürgersinn und Zivilcourage nötig sind. Korruption und schlechte Regierungsführung müssen wir klar benennen, auch als Kirche. Wir als Religionsvertreter werden fortsetzen, was wir begonnen haben. Denn durch den Dialog zwischen den Religionen können wir unserer Bevölkerung helfen, Solidarität zu zeigen und in Frieden zu leben.
Das Interview führte Christian Michael Hammer.