Wie US-Geistliche um die Würde von Todeskandidaten kämpfen

Beistand in der Stunde der Hinrichtung

Todeskandidaten bitten immer häufiger um geistlichen Beistand in den letzten Minuten vor der Hinrichtung. Möglich macht dies ein Urteil des Supreme Courts. Priester, Rabbiner und Imame stehen vor neuen Herausforderungen.

Autor/in:
Thomas Spang
US-Flagge in einem amerikanischen Gefängnis / © travelwild (shutterstock)
US-Flagge in einem amerikanischen Gefängnis / © travelwild ( shutterstock )

Pfarrer Darryl Gray ist ein erfahrener Gefängnis-Seelsorger. Im vergangenen Sommer lernte er Kevin Johnson im Todestrakt in Bonne Terre im US-Bundesstaat Missouri kennen. Johnson hatte 2005 den Polizisten William McEntee erschossen, einen Vater dreier Kinder.

Bis zu seiner Hinrichtung Ende November stand der Baptisten-Pfarrer aus St. Louis in engem Kontakt mit Johnson. Als er die tödliche Injektion in die Armbeuge erhielt, stand Gray neben ihm und berührte ihn im gemeinsamen Gebet.

Eine erschütternde Erfahrung für Gray, wie er sagt - die ihn in seiner Haltung bestärkte, dass auch Schwerverbrecher ein Recht auf Beistand und Würde in ihrer letzten Stunde haben. Am Ende ihres Lebens können sie "einen Frieden finden, den sie sonst in ihrem Leben nicht finden konnten, und das war wichtig".

Recht auf religiösen Beistand

Jahrzehntelang erlebten Todeskandidaten ihre letzten Minuten ohne spirituellen Beistand, umgeben allein vom Vollstreckungspersonal. Seit über einem Jahr ist das anders. Bevor die tödliche Giftspritze gesetzt wird, haben verurteilte Mörder das Recht auf religiösen Beistand, entschied das oberste US-Gericht im März 2022 mit 8 zu 1 Stimmen. Seitdem waren Seelsorger bei 15 von 19 vollstreckten Hinrichtungen an der Seite der Verurteilten.

Der Fall John Henry Ramirez in Texas war der Auslöser für die neue Praxis in der Todeskammer. Der baptistische Pfarrer Dana Moore, der Ramirez begleiten wollte, sollte nach dem Willen des texanischen Generalstaatsanwalts Ken Paxton schweigend in der Hinrichtungskammer stehen und den Todeskandidaten nicht berühren dürfen. Doch das oberste US-Gericht folgte der Argumentation von Ramirez: Die Religionsausübung sei geschützt, so die Richter-Mehrheit, das Verbot von Texas hindere ihn daran, in den letzten Momenten seines Lebens davon Gebrauch zu machen. Laut dem Supreme Court dürfen Geistliche nun vor der Hinrichtung mit den Verurteilten sprechen, beten und sie auch berühren.

"Ausübung einer wichtigen Ausgabe"

Eine Entscheidung ganz im Sinne der katholischen US-Bischofskonferenz, die die texanische Weigerung, Geistliche in der Todeskammer zuzulassen, verurteilte. Dies hindere die Seelsorger bei der Ausübung einer wichtigen Aufgabe, erklärten die Bischöfe. Ramirez erhielt Anfang Oktober 2022 die tödliche Gift-Injektion im Beisein von Pfarrer Moore. Er hatte die Hand auf seine Brust gelegt und um Gnade für Ramirez gebetet. "Amen" war das Letzte, was der Verurteilte sagte.

Mehrere Geistliche verschiedener Glaubensgemeinschaften haben ihre Erfahrungen an der Seite von Hinrichtungsopfern an der Schwelle zwischen Leben und Tod zu Protokoll gegeben. Sie sind sich einig: Die Begleitung ist wichtig - auch wenn sie für sie selbst eine enorme Belastung ist.

Begleitung von Todeskandidaten als "große Prüfung"

"Es ist der Dienst von Priestern, Sterbende zu begleiten", erklärt der katholische Moraltheologe Mark O'Keefe, der an der Seite des fünffachen Mörders Dustin Honken stand, als dieser die Todesspritze erhielt; eine Zäsur im Leben des überzeugten Gegners der Todesstrafe. Als Akademiker habe er bis dahin nur intellektuell die Haltung der katholischen Kirche dazu vertreten, sagt O'Keefe. Bis zu Honkens Tod sei das Thema für ihn immer "etwas abstrakt" gewesen.

Auch Barbara Battista erlebte nach eigenen Worten eine große Prüfung, als sie im August 2020 an der Seite von Todeskandidat Keith Nelson stand. Als katholische Christin, so die Ordensfrau, glaube sie fest daran, "dass alle Menschen es verdienen, mit Würde behandelt zu werden". Nelson hatte eine Zehnjährige entführt, vergewaltigt und anschließend ermordet.

"Sie können dir das Leben nehmen, aber nicht deine Würde"

Viele Todeskandidaten zeigen vor ihrer Hinrichtung Reue für ihre Tat, manche entdecken spät ihren Glauben. Auch Kevin Johnson hat seinen Mord bereut. Monate vor seinem Tod im November 2022 ließ er sich taufen. Er las die Bibel, am liebsten die Stelle über den Dieb am Kreuz neben Jesus aus dem Lukas-Evangelium. "Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein." Pfarrer Gray ermutigte ihn in seinem Glauben: "Sie können dir das Leben nehmen, aber nicht deine Würde", habe er ihm gesagt. Noch einmal bekundete Johnson Reue für seine Tat, während Gray seine Schulter berührte.

Todesstrafe in den USA

Der Senat von New Hampshire stimmte am 30. Mai 2019 für die Abschaffung der Todesstrafe. Damit hat die Hälfte der US-Bundesstaaten diese grausame und unmenschliche Bestrafung entweder abgeschafft oder ein Moratorium beschlossen.

Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom hat im März per Dekret angefordert, dass in Kalifornien per sofort alle Hinrichtungen ausgesetzt werden. Mehr als 700 Häftlinge befinden sich in dem US-Bundesstaat in der Todeszelle.

Todesstrafe fordert US-Katholiken heraus / © Bradley Birkholz (KNA)
Todesstrafe fordert US-Katholiken heraus / © Bradley Birkholz ( KNA )
Quelle:
KNA