Wie überforderte Familien von Pflegebedürftigen kostenlose Beratung erhalten

Hilfe für Angehörige

Seit 2009 hat jeder Pflegebedürftige einen gesetzlichen Anspruch darauf, sich kostenlos und individuell über Pflegehilfen beraten zu lassen. Nicht jeder nimmt das Angebot an. Auch, weil es die von der Politik geforderten Pflegestützpunkte noch längst nicht in allen Bundesländern gibt.

Autor/in:
Christian Spöcker
 (DR)

Das Ehepaar Ehlen (Name geändert) hat es nicht leicht: Gerda Ehlen ist 75 Jahre alt und hatte vor einigen Monaten einen Schlaganfall, ihr Mann ist mit der Pflege zunehmend überfordert. Beide lassen sich von der Mainzer Pflegeberaterin Sabine Pilz erklären, wie sie nun Hilfen bei ihrer Pflegekasse beantragen können. "Erwähnen sie gegenüber den Pflegegutachtern auch, dass Sie Ihrer Frau die Zähne putzen", rät Pilz dem älteren Mann für den bevorstehenden Besuch des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK).

"Viele Menschen pflegen, bis nichts mehr geht, und scheuen Hilfe von außen", berichtet Pilz. Zusammen mit ihrem Kollegen Joachim Kissel berät sie in einem Pflegestützpunkt in Mainz Alte, Kranke, Behinderte und deren Angehörige.

Unabhängige Pflegeberatung ist wichtig, sagt Pilz: Denn wenn die Pflegegutachter vom MDK ihre Hausbesuche machen, machen sie sich in der Regel in nur einer halben Stunde ein Bild vom Alltag der Menschen. Doch gerade für ältere Menschen bedeutet dieser Besuch Stress.

"Die Blasenschwäche aus Scham nicht ansprechen"
Einem Fremden schonungslos ihre Schwächen und Probleme mitzuteilen, das schaffen viele nicht. "Manche denken sich: 'Der Herr Doktor kommt zu Besuch' und ziehen sich extra eine frische Bluse an", sagt Pilz. Dabei würde der Gutachter anhand der vollgekleckerten Bluse ein realistischeres Bild bekommen. "Und ältere Frauen sprechen vielleicht aus Scham ihre Blasenschwäche nicht an." Doch je weniger die MDK-Gutachter über die alltäglichen Probleme und den Hilfebedarf erfahren, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie den Antrag auf Pflegeleistungen ablehnen.

Damit sich jeder unabhängig informieren kann, erhielten die Pflegekassen mit der Pflegereform 2008 den Auftrag, gemeinsam mit den Krankenkassen Pflegestützpunkte einzurichten. Hier soll es ortsnah und unter einem Dach Beratung, Koordinierung und Vernetzung von Pflegeangeboten geben. Doch weil jedes Bundesland selbst entscheiden kann, ob es Pflegestützpunkte einrichten will, ist der Ausbau in den Ländern unterschiedlich fortgeschritten. In Rheinland-Pfalz gibt es 134 solcher Einrichtungen. In Nordrhein-Westfalen dagegen komme der Aufbau der Beratungsstellen nur schleppend voran, beklagt der Bochumer Geriater Ludger Pientka.

"Die Pflegeversicherung ist wie eine Teilkasko-Versicherung"
Auch auch ohne Pflegestützpunkte lässt sich gute Beratung organisieren. Infrage kommen dabei die Sozialdienste der Krankenhäuser oder unabhängige Patientenberatungen. Die Pflegeexpertin Gerlinde Strunk-Richter rät darüber hinaus zu städtischen Behörden, Verbraucherzentralen und Selbsthilfegruppen. "Man sollte sich stets bei verschiedenen Stellen informieren", empfiehlt die Expertin des in Köln ansässigen Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA).

Auch finanzielle Fragen sollten dabei angesprochen werden, denn Pflege zum Nulltarif gibt es nicht. "Die Pflegeversicherung ist wie eine Teilkasko-Versicherung: Sie wird nie alles abdecken", sagt der Mainzer Berater Kissel. Doch falls das Einkommen nicht reicht, hilft der Pflegeberater bei den Anträgen beim Sozialamt.

Die Kosten für einen Platz im Pflegeheim können je nach Pflege- und Versorgungsbedarf im Monat 2.500 Euro und mehr betragen. Wer sich überlegt, in ein Pflegeheim zu ziehen, sollte sich nach Meinung der KDA-Expertin Strunk-Richter zuvor unbedingt verschiedene Heime ansehen und mit den Bewohnern vor Ort sprechen. "Auch die Möglichkeit des Probewohnens über einige Tage sollte genutzt werden", empfiehlt sie. Doch grundsätzlich kommt eine Unterbringung im Heim erst dann in Betracht, wenn die häusliche Pflege nicht mehr ausreicht.

Die beiden Mainzer Berater werden wohl auch künftig nicht über Arbeitsmangel klagen können. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt seit Jahren. "Bis zum Jahr 2030 werden über drei Millionen Menschen pflegebedürftig sein", prognostiziert Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Das sind dann fast eine Million mehr Menschen als heute.