Tatsächlich hat sich schon vor der Wiedervereinigung mit dem Rückgang der Kirchenmitglieder auch ein Bedeutungsverlust der Kirchen für die politischen Parteien ergeben. Gleichzeitig hatte gerade die CDU immer die Annahme, dass man quasi in einer Art "Nibelungentreue" auf dem gleichen Pfad unterwegs ist. Dies gilt speziell für die katholische Kirche. Dies bedeutet nicht, dass nicht Kirchenmitglieder und gläubige Christen die Geschicke in den Parteien mitlenkten oder auch, dass es im Bundestag prozentual immer mehr Kirchenmitglieder als in der Bevölkerung gab.

Zudem gab es eine Entwicklung in Richtung einer Diversifizierung der Verbindungen zwischen Politik und Kirche. Gerade die früher misstrauisch beäugten Grünen haben über die christliche Friedensbewegung starken Anschluss speziell an die evangelische Kirche gefunden und dort die CDU fast abgelöst. Dies zeigt sich auf Evangelischen Kirchentagen, wo wir in der Regel zwischen 40 bis 50 Prozent Grünen-Wähler erfasst haben. Gerade Aspekte wie Frieden, Nächstenliebe und Toleranz stellen hier die Brücke her. Diese Auflösung einer einseitigen Bindung machte auf der anderen Seite die Kirchen trotz schrumpfenden Klientels selbstbewusster im Umgang mit der Politik.
Keine "Nibelungentreue" mehr
Entsprechend hat die CDU immer noch einen leichten Überhang an Wählern unter den Katholiken, aber keine "Nibelungentreue" mehr. Problematisch wird das Verhältnis immer dann, wenn die CDU starke restriktive Maßnahmen gegenüber gesellschaftlichen Gruppen propagiert. Dieses kollidiert mit der zentralen Werteverbindung des Christentums mit Konzepten wie Nächstenliebe und den Menschenrechten.
Kommt man zum aktuellen Fall, dann ist genau dieser Gegensatz für die Kritik verantwortlich. Und diese ist natürlich vollkommen legitim, sind doch Kirchen weder ein Teil staatlicher Institutionen, noch willfährige Claqueure. So passen die CDU-Rhetorik wie auch ihre Forderungen nicht gut zusammen mit den von den beiden christlichen Großkirchen vertretenen und gepflegten christlichen Werten.
Fehlende Resilienz gegenüber Kritik
Bemerkenswert ist die Dünnhäutigkeit der CDU. Scheinbar hat man dort – obwohl es ja bereits das eine oder andere Zeichen gab – die Kirchen als politischen Akteur nicht Ernst genommen. So ist ein Rücktritt aus dem ZdK von Frau Kramp-Karrenbauer eher ein Zeichen der fehlenden Resilienz gegenüber Kritik und der geringen Fähigkeit, sich mit ihren Kollegen und Kolleginnen im ZdK im Gespräch auseinanderzusetzen.
Dass solche politischen Aussagen nie von allen in der Kirche getragen werden, ist auch nicht verwunderlich, ist doch die Mitgliedschaft einer Kirche ein Spiegel der Gesellschaft. Auch viele Kirchenmitglieder werden die Statements nicht richtig finden. Das bedeutet aber nicht, dass man eine solche Äußerung nicht machen darf. Vermutlich war es Prälatin Gideon und Prälat Jüsten sogar bereits vorher klar, dass sie einiges an Kritik wegstecken werden müssen. Aber gerade das macht es erst recht zu einem wichtigen und mutigen Schritt zu zeigen, dass Kirchen, wenn es um die Demokratie geht, nicht schweigen.
Informationen zum Autor: Gert Pickel ist seit 2009 Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Demokratieforschung und Fragen zur Säkularisierung.