Wie Millionärin die schönste Kirche Lothringens rettete

Das Nikolaus-Wunder aus Amerika

Für viele Lothringer ist der Heilige Nikolaus einer der ihren: Seit dem Mittelalter ist der Bischof Schutzheiliger der Region im Nordwesten Frankreichs.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Im Mittelpunkt der Verehrung: eine prächtige Basilika im Städtchen Port. Dass es die noch gibt, verdankt sie der Hilfe einer US-Millionärin.

Januar 1477. Ganz Lothringen ist von den Burgundern besetzt. Ganz Lothringen? Nein, in seiner verzweifelten Lage wandte sich Herzog Rene II. in der Kirche des Städtchens Port unweit von Nancy an den dortigen Patron, den heiligen Nikolaus. Damit dieser ihm gegen die zehnfache Übermacht der Truppen Karls des Kühnen beistehe, wolle er drei Gelübde schwören: Nikolaus selbst werde er zum Schutzheiligen Lothringens machen; den Namen des Ortes wolle er in Saint-Nicolas-de-Port ändern und ihm dort eine neue, prächtige Kirche errichten. Wer kann dazu schon nein sagen? Rene siegte, und die aufstrebende Stadt erhielt einen kräftigen Schub, der sie sogar kurzzeitig Nancy überflügeln ließ.

Höhepunkt des Kirchenjahres im bekanntesten Nikolaus-Wallfahrtsort nördlich der Alpen sind Umzug und Fackelprozession am Samstag nach dem 6. Dezember. In fast karnevalistischer Manier ziehen Wagen mit legendären Figuren aus dem Wirken des Heiligen durch das 7.600-Einwohner-Städtchen. Anschließend tragen vier Männer die ausgesetzte Heiligenreliquie durch die mit tausenden Kerzen erleuchtete Nikolaus-Basilika. Weit mehr als die möglichen 2.000 Besucher suchen an diesem Tag Platz in dem fast 100 Meter langen Gotteshaus; viele Einheimische überlassen den auswärtigen Pilgern ihren Platz. Um Pfingsten herum kommt dazu noch der "saint Nicolas d"ete" (Sommer-Nikolaus), der Jahrestag der Reliquien-"Überführung".

Schutzpatron der Seefahrer
Und ja: Wie kommt ein Heiliger überhaupt von der sonnigen türkischen Küste ins regnerische Lothringen? Ein gewisser Ritter Aubert de Varangeville aus der Region soll auf der Heimreise vom Ersten Kreuzzug 1099 im italienischen Bari gewesen sein, so will es die Tradition. Dabei habe er geträumt, er solle eine Nikolaus-Reliquie mit nach Hause bringen. Aubert ergatterte ein Fingerglied der rechten Segenshand. Erst zwölf Jahre zuvor hatten sich Kaufleute aus Bari selbst in Myra an den Gebeinen des Heiligen schadlos gehalten - und so ihrer Stadt zum Aufschwung verholfen.

Für die Lothringer aber ist Nikolaus einer der ihren. Die meisten würden wahrscheinlich auf die Frage nach dem Geburtsort des Bischofs antworten: Hier in Lothringen! Port, die einst winzige Fährstation über die Meurthe, an der Salzstraße und am Pilgerweg nach Santiago de Compostela gelegen, mauserte sich durch die umgehend einsetzende Wallfahrt zu einer der bedeutendsten Städte der Region. König Ludwig der Heilige (1214-1270) stiftete hier in der Vorgängerkirche ein Fenster für Nikolaus, den Schutzpatron der Seefahrer, weil er auf seinem Kreuzzug aus Seenot gerettet wurde. 1428 kam Jeanne d"Arc nach Port, um sich vor ihrem Gang zum Dauphin unter den Schutz des heiligen Nikolaus zu stellen.

Jäh wurde Port, nun Saint-Nicolas, im Dreißigjährigen Krieg aus seiner Blüte gerissen. 1635 zündete eine Söldnertruppe des Kardinals Richelieu die Kirche an, in die sich die Bürger geflüchtet hatten. Die Einwohnerzahl wurde mit einem Schlag buchstäblich dezimiert; der Ort sollte sich nie wieder erholen. Der Bildersturm der Revolution brachte dem prächtigen Gotteshaus im spätgotischen Flamboyant-Stil weitere Schäden bei.

Sein wundertätiger Arm reicht sogar bis in die USA
Zuletzt warf 1940 ein deutscher Luftwaffenpilot eine Bombe über der Kirche ab; er wollte die Brücke treffen. Die Kosten zur Beseitigung der Schäden überstiegen das Budget des Örtchens bei weitem. Der Staat, der eigentlich die Baulast trägt, kam seinen Verpflichtungen nicht nach. So war die einst stolze Kirche 1970 endgültig baufällig. Doch ein wahrer Heiliger ist manchmal auch ein Helfer in eigener Sache. Von Lothringen über Russland reicht sein wundertätiger Arm sogar bis in die USA.

Denn wie sich die Bilder gleichen: Als Camille Croue-Friedman, gebürtig aus Saint-Nicolas und glückliche Gattin eines US-Millionärs, bei einer Mittelmeerkreuzfahrt in Seenot geriet, legte sie ebenfalls ein Gelübde ab. Wenn sie und ihr Gatte gerettet würden, wolle sie zu Ehren des Schutzpatrons der Seefahrer einen Teil ihres Vermögens zur Wiederherstellung der Nikolauskirche ihres Heimatortes stiften. Camille wurde gerettet, ebenso wie ihr Mann. Über Jahrzehnte war sie fortan mit Armenspeisungen und anderen Gaben die Wohltäterin der Stadt.

Im März 1980 starb Camille, 90-jährig. Der Kirche von Saint-Nicolas hinterließ sie testamentarisch "genug, um sie wieder aufzubauen und in Stand zu halten, damit sie wieder in alter Schönheit erstrahlt". Seit 1983 sind ständig zwei Firmen mit der Renovierung beauftragt. Doch die Arbeiten fressen die Millionen der Camille Croue buchstäblich auf. Nicht nur, dass Lohn- und Materialkosten ständig steigen. Der Staat, der seine Pflichten über Jahrzehnte ignorierte, erhebt auch noch Mehrwertsteuer auf sämtliche Arbeiten. So bleibt einmal mehr nur die Hoffnung, die eine Französin im ausliegenden Fürbittbuch formuliert: "dass Nikolaus auch heute noch Wunder tue".