Wie Kirche und SPD ihre Gegnerschaft überwanden

Kein rotes Tuch mehr

Bis vor wenigen Jahrzehnten noch war der Abgrund zwischen Kirche und SPD tief und unüberbrückbar. Inzwischen ist die Beziehung von gegenseitigem Respekt geprägt. Der Weg aus den Schützengräben führte ausgerechnet nach Bayern.

Berührung zwischen SPD und Kirche (dpa)
Berührung zwischen SPD und Kirche / ( dpa )

Manche Beziehungen sind inzwischen so normal, dass man gelegentlich an die Zeiten erinnern muss, in denen das Gegenteil der Fall war. Das gilt für die deutsch-französische Nachbarschaft genauso wie für das Verhältnis der Kirche zur SPD. Ein vom Münchner katholischen Sozialdemokraten Franz Maget herausgegebener Sammelband zeichnet nach, wie aus erbitterter Gegnerschaft ("Wie Feuer und Wasser") zwischen Christen und Sozialisten ab Mitte des 20. Jahrhunderts gegenseitiger Respekt und auch gemeinsames Handeln erwuchsen.

Der "rote" Marx

Nicht zufällig erscheint diese Geschichte eines Brückenbaus kurz vor dem Katholikentag, bei dem der Bischofskonferenzvorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, mit SPD-Chef Sigmar Gabriel über Managergehälter und Mindestlöhne diskutieren wird. Apropos Marx: Als dieser 2008 von Trier nach München kam, galt er in der "schwarzen" Staatskanzlei zunächst als "Roter". Dass ein Erzbischof zum 1. Mai einen gemeinsamen Aufruf mit dem DGB verfasst, war für Bayern neu, nicht aber für den gebürtigen Westfalen. Die Uhren gehen eben nicht überall gleich.

Alte Frontstellungen

Manchmal freilich blitzen die alten Frontstellungen wieder auf, wie die jüngste Debatte um Kreuze im öffentlichen Raum zeigt, die der europäische Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Martin Schulz, vor wenigen Tagen in einer Fernsehdebatte lostrat. Reflexhaft sortiert sich dann die alte Ordnung wieder: Hier eine sich freigeistig gebende SPD, die Religion für fortschrittsfeindlich, bestenfalls für Privatsache hält, dort die Unionsparteien als Hüterinnen des christlichen Abendlands. Doch das sind inzwischen nur noch vereinzelte Rückfälle in einen Kulturkampf, der längst überwunden ist.

Aus den Schützengräben nach Bayern

Aus den Schützengräben heraus fanden SPD und katholische Kirche nicht zufällig zuerst in Bayern, wie der Landeshistoriker Hermann Rumschöttel in seinem Beitrag erläutert. In München gab es schon früh das weltanschaulich Undenkbare: katholische Sozialdemokraten. Zu einer Schlüsselfigur entwickelte sich Waldemar von Knoeringen, der allerdings 1933 aus der Kirche ausgetreten war. Doch nach seiner Rückkehr aus dem Exil wurde er zu einem der Architekten des Godesberger Programms, in dem sich seine Partei 1959 von ihrer schroffen Kirchenablehnung verabschiedete.

Christentum und Sozialismus in der Akademie

Ein Jahr zuvor hatte der Politiker - gegen massiven Widerstand aus Kirchenkreisen und der Adenauer-Union - mit dem damaligen Leiter der Katholischen Akademie Bayern, Karl Forster, eine aufsehenerregende Tagung eingefädelt: Sozialdemokraten diskutierten erstmals öffentlich mit Theologen und Sozialwissenschaftlern über Christentum und Sozialismus.

Wie unerhört das damals war, lässt sich nur aus den Zeitumständen heraus verstehen. So führte damals ein hochrangiger Prälat völlig unangefochten die CSU-Fraktion im Landtag. Und Wahlhirtenbriefe, in denen katholische Prediger ihren Zuhörern nahelegten, ihr Kreuzchen ja bei einer christlichen Partei zu machen, gab es sogar bis 1980, was manchen frommen Sozi heute noch in Rage bringt.

Eine nicht befahrbare Brücke

Der Wandel durch Annäherung geschah nicht auf einen Schlag. Der Münchner Kardinal Julius Döpfner konnte noch 1966 bemerken, es sei zwar inzwischen eine Brücke über den Abgrund geschlagen, diese aber noch nicht befahrbar. Und es dauerte bis 1987, bis erstmals ein Katholik an die Spitze der deutschen SPD gewählt wurde: Hans-Jochen Vogel, natürlich ein Münchner.

In dem Buch kommen führende Sozialdemokraten wie Frank-Walter Steinmeier und Andrea Nahles zu Wort, Kardinal Marx und sein Bamberger Amtsbruder Ludwig Schick. Auch das historisch viel früher entspannte Verhältnis zur evangelischen Kirche wird beleuchtet.

Gemeinsam gegen den Krieg

Völlig unhistorisch, aber doppelt nachdenklich stellt der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, der Sozialdemokrat Albert Schmid, die Frage, ob die Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht anders verlaufen wäre, hätten sich SPD und Kirche 1914 zusammen gegen den Wahnsinn des Krieges gestemmt. Und er plädiert dafür, dass aus dieser "vertanen Chance" beide Seiten heute lernen und gemeinsam für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eintreten müssten.


Quelle:
KNA