Wie "Jamaika" in Schleswig-Holstein klappt

"Hier oben gibt es keine CSU"

"Jamaika-Bündnis" steht für ein Zusammenraufen von CDU, FDP und Grünen, das es im Bund noch nie gegeben hat. Wir haben Beate Bäumer vom katholischen Büro in Schleswig-Holstein gefragt, was die Bundeskoalition von Schleswig-Holstein lernen kann, dort existiert "Jamaika" seit etwa 100 Tagen.

Daniel Günther (Mitte), Ministerpräsident der Jamaika-Koalition / © Carsten Rehder (dpa)
Daniel Günther (Mitte), Ministerpräsident der Jamaika-Koalition / © Carsten Rehder ( dpa )

domradio.de: Wie würden Sie denn die Arbeit der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein bewerten?

Beate Bäumer (Leiterin des katholischen Büros in Schleswig Holstein): Also die ersten 100 Tage netto (abzüglich der Sommerpause; d. Red.) sind so gut wie vorbei, ich glaube eigentlich schon daran, dass dieses Bündnis länger hält als beispielsweise im Saarland, das ja 2012 gescheitert ist.

domradio.de: Gerade wenn wir an die Grünen auf der einen und die FDP auf der anderen Seite denken: Auf Bundesebene scheint das ja unvereinbar, zum Beispiel beim Thema Energie- oder Sozialpolitik. Wie hat man diese Gegensätze in Schleswig-Holstein überwunden?

Bäumer: Ein Koalitionsvertrag ist immer ein Kompromissvertrag, jeder muss einen Schritt auf den anderen zugehen, auch wenn das manchmal ein bisschen wehtut oder man den Kompromiss der Parteienbasis vielleicht nur noch gerade so vermitteln kann. Ich finde, im schleswig-holsteinischen Koalitionsvertrag merkt man an vielen Stellen, dass sich mal die einen und mal die anderen ein bisschen durchgesetzt haben. Beispiel Schulpolitik: Rot-Grün-Blau (blau: Südschleswigscher Wählerverband; Anmd. d. Red.) hat in der letzten Legislaturperiode sehr für G8 gearbeitet und daran festgehalten; jetzt auf einmal wird wieder G9 eingeführt, allerdings mit der Einschränkung, dass die Schulen zu einem gewissen Zeitpunkt sich selbst noch einmal entscheiden können. Etwas Ähnliches haben wir beim Religionsunterricht, da waren die Grünen in der letzten Legislaturperiode sehr dafür, die Öffnung zu einem konfessionsübergreifenden Unterricht hinzubekommen. Jetzt haben wir ein klares Bekenntnis zum konfessionellen Unterricht, was die CDU sehr gerne wollte und die FDP im Übrigen auch. Und so kann man das weiter fortführen - bei den Flüchtlingen sehen wir wieder ein bisschen mehr die grüne Handschrift. Und was ich sehr wichtig finde: Man hatte hier oben den Mut, an einigen Stellen im Vertrag einfach mal festzuhalten "an dieser Stelle sind wir unterschiedlicher Ansicht". 

domradio.de: Vor allem im Wahlprogramm der FDP finden sich einige Positionen, die den Interessen der Kirchen zuwiderlaufen; beispielsweise die Sonntagsruhe oder die Staatsleistungen, also die rund 500 Millionen Euro, die der Staat seit Anfang des 20. Jahrhunderts den Kirchen jedes Jahr für die Folgen der Säkularisierung zahlt. Da sagt die FDP: Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wie argwöhnisch haben Sie die Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein beobachtet?

Bäumer: Also bei den Koalitionsverhandlungen haben wir natürlich Augen und Ohren offen und stehen natürlich gerne zur Verfügung, falls jemand mal einen Rat braucht. Aber letztlich sitzen ja nicht die Kirchen am Verhandlungstisch, das ist auch gut so, sondern die Parteien. Und da zahlt sich dann teilweise aus, dass wir auch gut vernetzt sind und doch einige Politiker auch wissen, welche Folgen oder Reaktionen eine bestimmte Formulierung bei den Kirchen hervorrufen könnte. Und bezüglich der Staatsleistungen - wir hatten es in den vergangenen Jahren durch die FDP fast immer auf der Tagesordnung. Ich würde es fast vermissen, wenn es dieses Mal nicht kommen würde, aber toi toi toi, im Koalitionsvertrag wird es erstmal nicht so angegangen. Aber wer weiß was noch kommt. Also das sehe ich im Moment relativ gelassen und speziell an dieser Stelle, glaube ich, ist die FDP auch ganz gut eingefangen durch die Koalitionspartner.

domradio.de: Glauben Sie diese Kompromissbereitschaft lässt sich auf Bundesebene übertragen?

Bäumer: Das wird schwer. Denn es ist wirklich so, wie es beispielsweise Ministerpräsident Daniel Günther oder Minister Robert Habeck schon häufiger gesagt haben: Die Akteure in Schleswig-Holstein kennen sich lange und gut. Und das Land ist eher klein, also es gibt eine gewisse Vertrauensbasis, man kennt sich aus verschiedenen Kontexten. Diese Voraussetzungen sehe ich ganz ehrlich im Bund noch nicht. Und, was man auch nicht vergessen darf, hier oben, kurz vor Dänemark, gibt es keine CSU.

Das Gespräch führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR