Wie die Kirchen im Libanon gegen die Auswanderung ankämpfen

Die Jungen packen die Koffer

Seit Jahren warnen die Kirchen im Libanon vor dem stetigen Rückgang der Christen im Land. Bildeten Orthodoxe und mit Rom verbundene Christen im Zedernstaat noch vor 50 Jahren rund die Hälfte der Bevölkerung, ist es heute wahrscheinlich nur noch ein Drittel.

Autor/in:
Mona Naggar
 (DR)

Nada, Pascal und Dany sitzen in einem Café in Westbeirut und sprechen über ihre Zukunftspläne. Vor kurzem haben die drei christlichen Libanesen ihr Architekturstudium abgeschlossen.
Sorgen um einen Arbeitsplatz machen sie sich im Moment nicht. Aber mit der Idee, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, spielen alle drei.

Der Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel vor zwei Jahren, die immer wiederkehrenden Anschläge und der instabile Arbeitsmarkt verunsichern sie. "Wenn man in Amerika oder Frankreich lebt, dann hat man einfach seine Ruhe", sagt Dany. Noch sitzen die jungen Leute nicht auf gepackten Koffern. Aber Hunderte anderer Libanesen ihrer Generation verlassen jedes Jahr ihre Heimat.

Kamil Moubarak bekommt das unmittelbar zu spüren. Moubarak betreut eine maronitisch-katholische Gemeinde in Hadath, einem Stadtteil im Südosten von Beirut. 16.000 Gläubige umfasst die Kirchengemeinde Sainte-Thérèse. Der energisch wirkende 61-jährige Priester beklagt die Überalterung seiner Gemeinde: "Wir vermissen die Jugend! Bei uns packen vor allem die jungen Männer ihre Koffer. In meiner Gemeinde kommen auf 10 Frauen zwei junge Männer".

900.000 haben seit 1975 das Land verlassen
Genaue Zahlen über die Bevölkerungszusammensetzung im Libanon gibt es allerdings nicht. Die letzte Volkszählung fand 1932 statt. Auch zuverlässige Angaben über die Zahl der Auswanderer liegen nicht vor. Schätzungen zufolge haben zwischen dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 und 2001 rund 900.000 Menschen das Land verlassen. In den folgenden sechs Jahren waren es noch einmal 300.000.

Guita Hourani vom Zentrum für Migrationsforschung an der Notre Dame University Louaize erklärt, dass alle Religionsgemeinschaften von der Auswanderung betroffen seien. Allerdings schlage sie bei den christlichen Glaubensgemeinschaften wegen der niedrigeren Geburtenrate und ihrem geringeren Anteil an der Gesamtbevölkerung stärker zu Buche.

Unter den zahlreichen christlichen Minderheiten im Land ist die Rom unterstellte maronitische Kirche die größte. Sie versucht mit einigen Initiativen ein Zeichen gegen den Schwund ihrer Mitglieder zu setzen. Mit Wohnbauprojekten, Stipendien für Schüler und Studenten oder Mikrokrediten greift sie ärmeren Bevölkerungsschichten unter die Arme.

In den letzten Jahren sind beispielsweise in christlichen Wohngebieten in und um Beirut 4.000 Wohnungen zu günstigen Konditionen für junge Leute entstanden. Grundstücke, die im Besitz der Kirche sind, werden für Investitionen günstig an Interessenten verpachtet. Die orthodoxe Kirche ist vor allem im Bildungsbereich und im Wohnungsbau aktiv. Kritiker bemängeln, dass die Programme zu zaghaft seien, um eine Breitenwirkung entfalten zu können. Außerdem seien sie kaum in der Lage, Besserqualifizierte davon abzuhalten, ihrer Heimat den Rücken zu kehren.

Kamil Moubarak gibt auch zu bedenken, dass man viele christliche Libanesen inzwischen als "Kulturchristen" bezeichnen könnte, die sich von niemandem in ihre Lebensplanung hinein reden lassen wollen. Die Ermahnungen und Aufrufe der Geistlichen von der Kanzel, das Kreuz standhaft in der Heimat zu bezeugen, verpuffen daher oft ungehört.

Überforderte Christen
Georges Nassif vom Rat der Kirchen im Nahen Osten (The Middle East Council of Churches) weist darauf hin, dass zwar alle Libanesen gleichermaßen von der schwierigen Wirtschaftslage und von den instabilen politischen Verhältnissen betroffen seien. Aber die Christen würden sich im Gegensatz zu anderen Konfessionen mit einer existenziellen Krise konfrontiert sehen: "Sie haben mit dem Vertrag von Taif nach dem Ende des Bürgerkrieges politische Macht an die Muslime abgegeben. Sie haben das Vertrauen in die christliche politische Elite verloren und viele fragen sich heute, ob sie noch eine Zukunft in diesem Land haben".

Die Kirchen, so scheint es, sind mit der christlichen Auswanderung überfordert. Der libanesische Staat ist gefragt. Aber dieser steckt selbst in einer tiefen Krise. Bei Gesprächen mit Kirchenvertretern und Akademikern über die Zukunft der Christen im Libanon fallen die gedrückte Stimmung und der Pessimismus auf. Die meisten stellen sich auf weiter sinkende Zahlen ein.

Auch George Sabra von der protestantischen Near East School of Theology in Beirut ahnt: "Wir werden weiter schrumpfen." Dennoch glaubt er nicht, dass das Schicksal der Christen in der Region besiegelt sei: "Vieles kann sich ändern. Wenn sich etwa die Lage in der Region grundsätzlich verbessert. Wenn der israelisch-arabische Konflikt gelöst wird. Wenn die islamistischen Ideologien irgendwann in eine Sackgasse geraten. Wenn sie etwa an die Regierung kommen und scheitern. Dann könnte es für alle Minderheiten, nicht nur für Christen, eine bessere Zukunft geben."