DOMRADIO.DE: Wer kämpft da eigentlich gegen wen in der Demokratischen Republik Kongo und um was?
Jutta Herzenstiel (Referentin für die Demokratische Republik Kongo bei Caritas international): Der Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist äußerst komplex: Er ist von verschiedenen bewaffneten Gruppen und ethnischen Spannungen geprägt und hat eine sehr lange Vorgeschichte. Daher ist es schwierig, ihn kurz zusammenzufassen.
Aber eine der dominantesten bewaffneten, größtenteils aus Tutsi bestehenden Rebellengruppen sind die M23, also die Bewegung des 23. März. Sie richtet sich gegen die kongolesische Zentralregierung und wird militärisch von Ruanda unterstützt. Die Zahl der ruandischen Soldaten, die die M23 unterstützen, variiert zwischen 4.000 und 7.000.
Diese beiden Gruppierungen kämpfen in Nord- und in Süd-Kivu gegen die kongolesische Armee und regierungstreue Milizen wie zum Beispiel kongolesische Hutu-Rebellen. Generell ist dieser Konflikt zurückzuführen auf den Genozid an Ruandas Tutsi im Jahr 1994. In der Presse heißt es immer wieder, dass die Kriegsparteien den Krieg als Vorwand nutzen, um wertvolle Bodenschätze wie Koltan abzubauen.
Aber vor allem wollen die M23-Rebellen, die im Kongo geboren wurden und in ruandischen Flüchtlingslagern aufgewachsen sind, dass ihre Familien wieder aus den Lagern nach Hause in den Kongo zurückkehren können. Im Kampf um diese Territorien haben die M23 inzwischen große Teile von Nord- und Süd-Kivu eingenommen sowie die beiden Millionenstädte Goma und Bukavu. Leider leidet die Zivilbevölkerung sehr unter diesen Kämpfen.
DOMRADIO.DE: Was ist denn zuletzt im Osten des Landes passiert, dass sich die Lage so dramatisch zugespitzt hat?
Herzenstiel: Seit Ende 2021, Anfang 2022 haben sich die Spannungen mit dem Nachbarland Ruanda zu einem kongolesisch-ruandischen Konflikt ausgeweitet, der in den Grenzregionen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt und sehr große Flüchtlingsbewegungen nach sich gezogen hat. Im Januar hat die M23 dann ihre Militäroperationen im Osten intensiviert und am 27. Januar die strategisch wichtige Stadt Goma erobert, was zu einer deutlichen Eskalation des Konflikts führte.
Die Kämpfe haben mit über 3.000 Toten zu erheblichen Verlusten unter der Zivilbevölkerung geführt und massive Vertreibungen ausgelöst. Es gab schwerste Menschenrechtsverletzungen.
Die Verschärfung der Krise lässt sich auch dadurch erklären, dass mehrere internationale und regionale Gipfeltreffen bei der Deeskalation des Konflikts versagt haben. Außerdem gibt es dieses Mal leider – anders als bei der ersten Besetzung von Goma in 2012 - keinen internationalen Druck auf Ruanda wegen der Verletzung der territorialen Integrität.
DOMRADIO.DE: Die Demokratische Republik Kongo ist in weiten Teilen christlich geprägt. Haben die aktuellen Konflikte auch eine religiöse Komponente?
Herzenstiel: Größtenteils sind die Konflikte im Kongo nicht religiös motiviert. Sie entstehen in erster Linie aus politischen, ethnischen, landbezogenen und wirtschaftlichen Gründen. Sie haben mit der Kontrolle über natürliche Ressourcen zu tun. Die Kirche spielt häufig eine vermittelnde Rolle. Mit vielen infrastrukturellen und medizinischen Projekten hilft sie eher, als dass sie Spannungen schürt.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet diese wirklich sehr komplexe Gemengelage ganz konkret für die Menschen im Ostkongo?
Herzenstiel: Die Menschen leben aufgrund von Konflikten und Machtkämpfen in ständiger Unsicherheit. Sie leiden ständig unter Gewalt, Terror und Zwangsumsiedlung. Bei der Ausbeutung der Mineralien in den Bergbaugebieten durch bewaffnete Gruppen und Regierungssoldaten wird die Bevölkerung, darunter auch viele Kinder, zur Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen verpflichtet.
Es gibt eigentlich nur korrupte staatliche Strukturen, so dass ist die Bevölkerung vollkommen auf sich allein gestellt ist. Die M23 sind nicht daran interessiert, funktionierende Strukturen für die Zivilbevölkerung aufzubauen.

DOMRADIO.DE: Sie von Caritas international helfen über ihre Partner vor Ort. Was ist gerade die dringlichste Hilfe?
Herzenstiel: Wir arbeiten im Kivu mit unserem lokalen Partner, also der Caritas Goma, zusammen. Seit drei Wochen führen wir ein neues Nothilfeprojekt durch. Die Menschen brauchen vor allem Trinkwasser, Nahrungsmittel, Gesundheitsversorgung, Hygieneartikel und psychologische Unterstützung.
DOMRADIO.DE: Was sind darüber hinaus Hilfsprojekte, die Sie im Kongo unterstützen?
Herzenstiel: Wir haben weitere Nothilfe über das Auswärtige Amt in Kasai, Ituri und Tanganyika. Wir haben mit der Caritas Goma zusammen ein Projekt zur Demobilisierung und Reintegration von Kindersoldaten und zwangsarbeitenden Kindern in Kivu. Wir unterstützen Kinder in einem Gefängnis in Kinshasa und wir haben Entwicklungshilfeprojekte in der Ernährungssicherung.
DOMRADIO.DE: Woran hapert es vor allem, was bräuchte es noch viel mehr?

Herzenstiel: Es bräuchte auf jeden Fall Frieden, Sicherheit, Stabilität, stärkere Präsenz der Regierung und wirtschaftliche Entwicklung. Der Kongo ist so reich an natürlichen Ressourcen, aber die Bevölkerung profitiert nicht davon.
Es braucht mehr humanitäre Hilfe, vor allem im Osten bei der gravierenden Situation. Es braucht mehr Unterstützung von internationalen Organisationen und Regierungen. Versöhnung und Dialog sind wichtig.
Ein langfristiger Frieden erfordert einen Dialog zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und Konfliktparteien, mehr internationale Unterstützung und diplomatische Bemühungen und die Förderung von Menschenrechten, um die Situation zu stabilisieren.
DOMRADIO.DE: Sie haben die internationale Unterstützung angesprochen. Wie könnte zum Beispiel aussehen?
Herzenstiel: Allein aufgrund der massiven humanitären Krise mit Millionen von Binnenflüchtlingen, der anhaltenden Gewalt und dem derzeitigen Zusammenbruch vieler staatlicher Strukturen wäre internationale Hilfe gerade im Osten des Kongos dringend erforderlich.
Es bräuchte sofortige Nothilfe sowie Investitionen in Entwicklung und Wiederaufbau sowie friedensbildende und friedenserhaltende Projekte auf lokaler Ebene. Die internationale Gemeinschaft sollte die Friedensbildung im Kongo dringend unterstützen, um das Land zu stabilisieren.
Das Interview führte Hilde Regeniter.