Von der Kanzel Wahlwerbung für einen Politiker machen? Das dürfte in den USA künftig keine Konsequenzen mehr haben.
Die Bestimmung, die das bislang verbot, gilt nun praktisch nicht mehr. Denn in dieser Woche erklärte die US-Steuerbehörde IRS in einer Einlassung vor Gericht, dass das sogenannte Johnson Amendment aus dem Jahr 1954 gegen die Verfassung verstoße.
Bisher galt, dass etwa evangelikalen Pastoren und Predigern in Freikirchen, wenn sie ihren Gemeindemitgliedern Wahlempfehlungen gaben, Ärger mit der IRS drohte. Als steuerbefreite Organisation hätten sie genau diese Steuerbefreiung dann verlieren können.
Grundlage war die nach dem damaligen Senator und späteren US-Präsidenten Lyndon B. Johnson benannte Bestimmung, die steuerbefreiten Organisationen - einschließlich Kirchen - die Unterstützung oder Ablehnung politischer Kandidaten untersagte.
Die Entscheidung der IRS, diese künftig nicht mehr anzuwenden, gilt nun als ein Bruch mit sieben Jahrzehnten US-amerikanischer Tradition. Und es könnte die Rolle von Religion in der Politik fundamental verändern.
Kein Wahlkampf im Gotteshaus
Der Demokrat Johnson hatte die Regelung ursprünglich eingeführt, um konservative Organisationen davon abzuhalten, gegen ihn zu arbeiten.
Über die Jahrzehnte entwickelte sie sich jedoch zu einem Grundpfeiler der Trennung von Kirchen und Staat. Die Bestimmung sollten verhindern, dass Gotteshäuser zu Wahlkampfzentralen werden.
Die IRS-Entscheidung steht in Verbindung mit einer Klage der "National Religious Broadcasters Association" und mehrerer Kirchen aus Texas. Die Kläger argumentierten, das Johnson Amendment verletze ihre verfassungsmäßigen Rechte auf Meinungsfreiheit und Religionsausübung.
In der Praxis hat die Steuerbehörde das Johnson Amendment seit 1954 tatsächlich nur gegen eine einzige Kirche durchgesetzt. Dennoch sorgte die Bestimmung bei vielen Geistlichen für Verunsicherung. Der langjährige Beratervon Donald Trump und Pastor der First Baptist Church in Dallas, Robert Jeffress, behauptet, seine Gemeinde habe es "Hunderttausende Dollar" gekostet, sich gegen Ermittlungen der IRS zu erwehren.
Versprechen schon 2017 gemacht
Trump hatte bereits in seiner ersten Amtszeit versprochen, die Vorschrift abzuschaffen. "Ich werde das Johnson Amendment loswerden und vollständig zerstören und unseren Glaubensvertretern erlauben, frei und ohne Angst vor Vergeltung zu sprechen", erklärte er 2017 beim National Prayer Breakfast. Republikanische Abgeordnete brachten Anfang 2025 erneut eine Gesetzesvorlage ein, um das Amendment vollständig zu streichen.
Rechtsexperten wie Sam Brunson von der Loyola University Chicago Law School bezweifeln zwar, dass die nun gefällte IRS-Entscheidung in der Praxis überhaupt viel ändern wird. Allerdings könnten sich religiöse Gruppen nun ermutigt fühlen, künftig sehr viel offensiver Kandidaten zu unterstützen als in der Vergangenheit.
Der Zusammenschluss Americans United for Separation of Church and State nannte die Entscheidung der Steuerbehörde bedenklich.
"Gotteshäuser könnten sich in politische Aktionskomitees verwandeln", warnt die Organisation, die sich für eine strikte Trennung von Kirchen und Staat einsetzt; und: "Unsere Wahlen drohen mit noch mehr dunklem Geld überschwemmt zu werden."
Politisierung der Kanzeln
Während sich die praktischen Auswirkungen der IRS-Entscheidung erst zeigen müssen, signalisiert sie eine grundlegende Verschiebung in der Beziehung zwischen Religion und Politik. In einem bereits tief gespaltenen Land könnte eine Politisierung der Kanzeln die gesellschaftlichen Gräben weiter vertiefen.
Ob die neue Freiheit tatsächlich zu mehr politischen Predigten führt, bleibt abzuwarten. Umfragen deuten darauf hin, dass die meisten Gläubigen ihre Kirchen lieber als Orte spiritueller Erbauung denn als Wahlkampfbühnen sehen möchten.
Laut einer Erhebung des Public Religion Research Institute von 2023 sprechen sich Mehrheiten aller großen Religionsgruppen dagegen aus, dass Gotteshäuser politische Kandidaten unterstützen. Dazu gehören weiße Evangelikale (62 Prozent), schwarze Protestanten (59 Prozent), weiße Mainstream-Protestanten (77 Prozent), weiße Katholiken (79 Prozent) und hispanische Katholiken (78 Prozent).