Wie Deutschland wurde zum Niedrigsteuerland für Wohlhabende wurde

Wer hat Angst vor der Reichensteuer?

US-Präsident Barack Obama will im Wahlkampf mit einer Reichensteuer punkten. Ob in den USA, Deutschland oder vielen anderen Ländern gleicht sich die Entwicklung: Reiche werden reicher, Arme ärmer.

Autor/in:
Isabel Guzmán
 (DR)

Wer sich die Verteilung des Reichtums in Deutschland vorstellen will, der könnte an eine Stadt denken. Der Ort hat ein Hochhaus, 60 Meter groß. Es symbolisiert das Vermögen der zehn Prozent Superreichen. Neben dem Gebäude krabbelt eine Ameise: So groß ist das gemeinsame Vermögen der 30 Prozent Ärmsten.



"Die großen Einkommen und Vermögen wurden in den letzten 15 Jahren spürbar entlastet", sagt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Zugleich haben die Wohlhabenden dank Globalisierung und Marktliberalisierung ihren Reichtum gemehrt."



Bach ist einer von vielen Experten, die sich derzeit mit Vorschlägen für Steuerreformen beschäftigen. Die Reichen im Kampf gegen Haushaltslöcher ins Boot zu holen, hält er für unabdingbar. Dabei empfiehlt der Ökonom auch einen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus: Was die sogenannten vermögensbezogenen Steuern angeht, ist Deutschland nach wie vor ein Niedrigsteuerland.



Zusatzeinnahmen in Milliardenhöfe möglich

Erbschaftssteuer, Grundsteuer, Kapitalverkehrssteuern, Vermögenssteuer - solche Abgaben treffen Wohlhabende. In Deutschland ist die Bedeutung dieser Steuerarten überschaubar: Knapp ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts bringen sie dem Fiskus ein. Einen Spitzenplatz belegt Großbritannien mit vier Prozent. Frankreich liegt bei über drei Prozent, Luxemburg, Belgien und Spanien bei über zwei Prozent - das ergeben Zahlen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 2010.



Mehr als 15 Milliarden Euro jährlich, meint Bach, könnte Deutschland durch Reichensteuern zusätzlich einnehmen, ohne größeren wirtschaftlichen Schaden zu erleiden. Er schlägt unter anderem eine Vermögenssteuer von 0,5 Prozent auf alle Vermögen über einer Million Euro vor. Damit würde sich Deutschland Frankreich und Spanien anschließen.



Auch die Grundsteuer, also die Steuer auf Grundstücke und Gebäude, birgt nach Ansicht vieler Fachleute Luft nach oben. Für ihre Erhöhung plädieren auch die Volkswirte der OECD. Die Grundsteuer sei verträglich mit dem Ziel des Wirtschaftswachstums und im internationalen Vergleich in Deutschland niedrig, argumentieren die Pariser Experten. Außerdem bestehe nicht die Gefahr einer Steuerflucht ins Ausland.



Erbschaften haben die Befürworter von Reichensteuern ebenfalls im Visier - denn sie sind Einkommen, die ohne Eigenleistung zustande kommen. Die Steuern darauf seien in Deutschland ebenfalls zu niedrig, meint etwa der Kölner Gesellschaftswissenschaftler Jens Beckert.



Ein ganz neues Element der Vermögensbesteuerung ist auf EU-Ebene in Planung. Es handelt sich um eine internationale Abgabe auf Börsengeschäfte und außerbörsliche Transaktionen, die "Finanztransaktionssteuer". Sie soll nicht nur neue Einnahmen bringen, sondern auch zügellose Spekulationen an den Finanzmärkten eindämmen.



Deutschland zahlt einen hohen Preis für seine Politik

Ein einfaches Unterfangen also, die Kur für den Fiskus? Kritiker warnen, dass die Wohlhabenden ins Ausland abwandern und damit letztlich auch den Standort Deutschland schädigen würden. "Wenn sich die EU- und OECD-Länder stärker koordinieren, kann die Steuerflucht ins Ausland weiter reduziert werden", hält der Ökonom Bach dagegen.



Die österreichische Wissenschaftlerin Margit Schratzenstaller verweist darauf, dass Deutschland für seine niedrigen Reichensteuern einen hohen Preis zahlt. Denn die Steuergelder müssen irgendwo herkommen - im Fall Deutschlands vor allem aus der Besteuerung der Arbeitseinkommen sowie aus der Mehrwertsteuer. "Vermögensbezogene Steuern sind wesentlich beschäftigungs- und wachstumsfreundlicher als Abgaben auf die Arbeit", sagt Schratzenstaller.



Das heißt freilich nicht, dass die Expertin für eine Senkung des Spitzensteuersatzes plädiert. Einschließlich Soli kommt Deutschland auf einen Satz von 47,5 Prozent. Die Niederlande, Belgien, Finnland, Dänemark, Großbritannien und Österreich haben höhere Sätze. Schweden liegt mit 56,4 Prozent an der Spitze.