Wie der Wiener Kardinal das Zweite Vatikanische Konzil beeinflusst hat

"Konzil der Medien"

Eine kirchenhistorische Quellenstudie zur Rolle der Medien beim Zweiten Vatikanischen Konzil unterstreicht die Bedeutung des Wiener Erzbischofs. So stimmte er unter anderem für einen möglichst freien Zugang für Journalisten.

Autor/in:
Henning Klingen
Auszug der Bischöfe aus der Konzilsaula in der Peterskirche (1964) / © Ernst Herb (KNA)
Auszug der Bischöfe aus der Konzilsaula in der Peterskirche (1964) / © Ernst Herb ( KNA )

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965), das vor 60 Jahren endete, war nicht nur ein kirchliches Weltereignis, sondern damals auch ein Medienereignis der Extraklasse: Rund 2.500 Journalisten, Medien und Agenturen verfolgten die Beratungen der Bischöfe. Auch gab es teils enge Kontakte zwischen Kirchenvätern und Medienschaffenden.

Dies nährte den von Papst Benedikt XVI. 2013 ins Wort gebrachten Verdacht, dass es letztlich zwei Konzilien gegeben habe: ein "Konzil der Väter, das wirkliche Konzil" - und ein "Konzil der Medien", das zu einer "Banalisierung" des Anliegens des Konzils beigetragen habe. Aufgearbeitet findet sich dieser besondere Blick auf das Zweite Vatikanum in einer 2024 erschienenen Studie des spanischen Kirchenhistorikers José María Díaz-Dorronsoro. Im Auge des medialen Sturms: der Wiener Kardinal Franz König (1905-2004).

Blick in die Konzilsaula während des Zweiten Vatikanischen Konzils / © Ernst Herb (KNA)
Blick in die Konzilsaula während des Zweiten Vatikanischen Konzils / © Ernst Herb ( KNA )

Tatsächlich bietet die umfang- wie kenntnisreiche Studie "The Second Vatican Council and the Media" erstmals eine Zusammenschau zahlreicher vatikanischer wie medialer Archivbestände von Zeitungen und Zeitschriften sowie einen reichhaltigen Appendix mit Daten zu allen beim Konzil akkreditierten Journalisten und Medien.

Frühe Medienstrategien

Der an der Päpstlichen Universität Santa Croce im Bereich Kirchenkommunikation forschende Díaz-Dorronsoro (46) zeichnet nicht nur den schrittweisen Aufbau der vatikanischen Kommunikationsbüros und die Herausbildung einer Art frühen Medienstrategie nach - die auf der Idee "so viel Informationen wie nötig, so viel Geheimhaltung wie möglich" basierte -; sondern auch die Rolle, die die Medien im Fortgang des Konzils speziell bei der Genese umkämpfter Dokumente wie "Nostra aetate" oder der Erklärung zur Religionsfreiheit einnahmen.

In allen medial geführten Konflikten scheint als maßgebliche wie vermittelnde Stimme der Name des Wiener Erzbischofs König auf. Dessen Eintreten für eine reformorientierte Deutung des Konzils war bekannt. Auch sein Votum für einen möglichst freien Zugang für Journalisten zum Konzilsgeschehen ist nicht neu. Doch Díaz-Dorronsoro zeichnet ein das darüber hinausgehende Bild eines mit medienpolitischer Weitsicht agierenden Konzilsvaters, der sich zudem eines großen Rückhalts im Kollegium der Bischöfe erfreute.

So war es laut Díaz-Dorronsoros Recherchen etwa Wunsch des Kardinalskollegiums, dass König dem 1963 zur Verbesserung der Medienkoordination neu gegründeten "Council's Communication Coordination Center" (Konzilspressekomitee) hätte vorstehen sollen - "was aber nicht geschah - und wir wissen nicht, warum nicht", so Díaz-Dorronsoro. Letztlich übernahm der US-Kurienerzbischof Martin J. O'Connor die Leitung der Kommission, die für Bewegtbild, Radio und Fernsehen verantwortlich zeichnete.

"Freier und zuverlässiger berichten"

Im digital zugänglichen Konzilsarchiv der Wiener Presseagentur Kathpress findet sich die Passage eines Interviews mit Kardinal König vom November 1963, in der dieser zu Protokoll gab, dass er es für "außerordentlich wertvoll und klug" hielt, "dass die Presse seit Beginn der Zweiten Sitzungsperiode einen mehr oder weniger freien Zugang zu den Konzilsdiskussionen hat. Dadurch kann sie verhältnismäßig mehr und auch zuverlässiger berichten als während der ersten Session."

Kardinal König berief sich dabei auf ein historisches Vorbild: den britischen Abt des Klosters Downside, Cuthbert Butler. Dieser hatte als Geschichtsschreiber das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) verfolgt und die damals eingeführte Schweigepflicht der Konzilsväter mit dem Hinweis kritisiert, dass eben diese Schweigepflicht zu einer "Atmosphäre von Argwohn und Verdächtigungen" geführt habe. "Ein künftiges Konzil", so schloss Butler, "würde sich viele Aufregungen ersparen, wenn es seine Verhandlungen der Welt direkt bekannt gibt."

Diesen grundsätzlich positiven Zugang zur medialen Berichterstattung über das Konzil und einen unverkrampften Umgang mit Medienschaffenden sollte sich König durch die gesamte Konzilszeit hindurch bewahren. Dabei zeichnet Díaz-Dorronsoros Studie nicht das Bild eines naiven Konzilsvaters. Vielmehr erscheint König wie ein klug abwägender Stratege, der die Medien weder als eine "elektronische Kanzel" oder den verlängerten Arm vatikanischer Kommunikations-Fantasien verstand noch als einen Gegenspieler, zu dem nicht wenige der älteren, medial ungeübten Konzilsväter das stark expandierende Presse- und Medienwesen der Zeit stilisierten.

Öffentliche Meinung wirkt zurück

Bei einer Journalistentagung 1965 in Assisi, kurz vor Ende des Konzils, sagte König etwa, dass das Konzil nicht nur durch die "öffentliche Meinung", also die publizistische Tätigkeit der Journalisten, auf die Öffentlichkeit gewirkt habe, sondern dass diese "öffentliche Meinung" wiederum "auf das Konzil zurückgewirkt" habe.

Davon zeugt auch ein Tagebucheintrag des brasilianischen Konzilsvaters und Erzbischofs Helder Camara (1909-1999), der abgeklärt und durchaus selbstbewusst notierte: "Es gibt 'Indiskretionen', die dem Konzil helfen. Manchmal genügt eine Schlagzeile in der Presse, um einige Türen zu öffnen."

Kardinal König wusste ebenso geschickt, die Medien zu nutzen. Das zeigt etwa ein von 16 Kardinälen - darunter König - unterzeichneter Protestbrief an den Papst, mit dem sie dagegen protestierten, die geplante sogenannte Judenerklärung auf einen Abschnitt in der geplanten Kirchenerklärung zu reduzieren. Zugleich drängten sie auf eine Überarbeitung der Erklärung über die Religionsfreiheit. Der Brief entfaltete erst über einen gezielten Leak an große Medienhäuser - darunter "Le Monde", "La Croix" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" - seine volle Kraft.

"In der Sprache ihrer Zeit"

Eine Folge unter anderen war, dass sich Journalisten wie Bischöfe immer häufiger die Frage stellten, ob das Konzil und der Vatikan selbst nicht einen Sprecher benötigten - wie alle anderen großen Organisationen ebenfalls. Und auch hier war es Kardinal König, der diese Idee entwickelte.

So erklärte er: "So wichtig einerseits ein offizieller Sprecher des Vatikans ist, ebenso wichtig ist aber auch die Mitarbeit und die Verantwortung der katholischen Journalisten, sowohl in katholischen wie nicht katholischen Zeitungen. Ihnen obliegt es, in Freiheit und eigener Verantwortung katholische Nachrichten in der Sprache ihrer Zeit und in der Sprache ihrer Leser zu übermitteln." - Es sollte allerdings noch fast 20 Jahre, bis 1984, dauern, bis Papst Johannes Paul II. mit Joaquín Navarro-Valls tatsächlich einen Sprecher des Heiligen Stuhls berief.

Zweites Vatikanisches Konzil

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) war die bislang letzte beschlussfassende Versammlung aller Bischöfe der katholischen Weltkirche. Insgesamt rund 2.800 Konzilsväter debattierten im Petersdom darüber, wie die Kirche ihre Botschaft unter den Bedingungen der modernen Welt und von weltanschaulichem Pluralismus verkünden kann. Weitere Themen waren eine Reform von Liturgie und Priesterausbildung, die Einheit der Christen und die Aussöhnung von Kirche und Judentum.

II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. (KNA)
II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. ( KNA )
Quelle:
KNA