Wie der Düsseldorfer Toleranzwagen entstanden ist

Flagge zeigen und zusammenstehen

2019 ist der Toleranzwagen das erste Mal durch Düsseldorf gefahren. Angefangen hat alles mit dem Antisemiten Martin Luther. Jetzt stehen sechs verschiedene Religionsgemeinschaften gleichberechtigt nebeneinander auf dem Karnevalswagen.

Autor/in:
Clemens Sarholz
Entwurf für den interreligiösen "Toleranzwagen" für den Düsseldorfer Rosenmontagszug mit einer Polonaise mit christlichen, jüdischen und muslimischen Geistlichen - dazu das Motto "Toleranz Wagen", am 1. Februar 2024 in Düsseldorf. / © Alexander Pitz (KNA)
Entwurf für den interreligiösen "Toleranzwagen" für den Düsseldorfer Rosenmontagszug mit einer Polonaise mit christlichen, jüdischen und muslimischen Geistlichen - dazu das Motto "Toleranz Wagen", am 1. Februar 2024 in Düsseldorf. / © Alexander Pitz ( KNA )

Als Michael Szentei-Heise Karneval 2017 neben dem Düsseldorfer Oberbürgermeister auf der Tribüne gestanden hatte, da hatte er gespaltene Gefühle. Da war ein Wagen von der evangelischen Kirche auf dem Martin Luther, passend zum Lutherjahr, thematisiert worden ist.

"Ein glühender Antisemit", sagt Szentei-Heise. "Er wäre nicht unser Freund geworden", Szentei-Heise ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, „und wir auch nicht seiner.“ Aber das gesellschaftliche Themen im Karneval ihren Platz finden, das fand er gut. 

Witz von Heine

Und dann, zehn Minuten später, kam der nächste Wagen. "Dann haben die uns unseren Heinrich Heine geklaut." Heinrich Heine, jüdisch beschnitten, evangelisch getauft, katholisch getraut, ein Zweifler mit jüdischen Wurzeln. Szentei-Heise hat dazu mal einen Witz erzählt: "Zwei Frauen, die in der DDR leben, unterhalten sich. Sagt die eine zur anderen: Meine Mutter und mein Vater sind Rheinländer, ich also auch. Sagte die andere: Kann gar nicht sein, du bist doch in Leipzig geboren. Die erste kontert: Wenn eine Katze in einem Fischgeschäft Junge kriegt, sind das noch lange keine Heringe." Was das bedeuten soll? Mit Heine verhält es sich genauso. Er habe sich taufen lassen müssen, um in einer antisemitischen Umgebung Karriere machen zu können.

Wie dem auch sei. In der nächsten Sitzung der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf hat er von seinen Erlebnissen erzählt: "Leute, hört mal zu", habe er gesagt: "die gehen mit unserem Heine spazieren! Das geht doch nicht. Wir sollten auch mit unserem Heine spazieren gehen." Und diese Idee hat er dann seinem Freund, Jaques Tilly, erzählt. "Geile Idee", hat er gesagt. "Aber ich mache den Wagen!" Da stand drauf: "Wir feiern den größten jüdischen Sohn der Stadt Düsseldorf" Und so kam im Jahr 2018 der Heinrich Heine Wagen der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. 

Die New York Times berichtet

Szentei-Heise erinnert sich: "Alle haben uns zugejubelt, Schalom und Helau, und manche waren völlig konsterniert, das war unglaublich, so ein großer Erfolg." Der Erfolg war so groß, dass sogar die New York Times über diesen Wagen berichtet hat. 

Auf diese internationalen Reaktionen kamen auch andere Religionsgemeinschaften, die evangelische Kirche, die katholische Kirche, muslimische Menschen auf die Jüdische Gemeinde zu. Szentei-Heise sagt, dass alle Feuer und Flamme waren, als Religionen gemeinsam einen Wagen zu bauen. Außerdem war es ein großes Thema die Finanzierung eines solchen Projekts zu sichern. Denn so ein Karnevalswagen kostet zwischen 50.000 und 60.000 Euro. Mehrere Religionsgemeinschaften können sowas besser stemmen als eine einzelne. 

Jacques Tilly / © Federico Gambarini (dpa)
Jacques Tilly / © Federico Gambarini ( dpa )

Im Jahr 2019 ist dann der erste Toleranzwagen auf den Straßen Düsseldorfs unterwegs gewesen. 2024 wird er zum dritten Mal den Rosenmontagszug begleiten – und er wird, wie schon der Heinrich Heine Wagen von Deutschlands witzigstem Wagenbauer Jaques Tilly gebaut.

Andere Wahrheiten gleichberechtigt akzeptieren

Tilly ist nicht getauft, nicht religiös und er hält sich eher für einen Agnostiker. Als solcher sei er der Meinung, andere könnten auch Recht haben mit ihrem Glauben. "Wir wissen ja alle nicht so genau was stimmt und was nicht." Die eigene Meinung sei nicht absolut und in einer pluralistischen Gemeinschaft müsse man eben auch andere Wahrheiten als gleichberechtigt akzeptieren. Aus diesem Grund habe er überhaupt keine Probleme gehabt, diesen Wagen zu bauen. 

Auch Jacques Tilly hat bereits eine "Begrüßung" vor dem Dom aufstellen lassen. / © Ingo Brüggenjürgen (DR)
Auch Jacques Tilly hat bereits eine "Begrüßung" vor dem Dom aufstellen lassen. / © Ingo Brüggenjürgen ( DR )

Tilly ist dafür bekannt, dass er die Kirchen rigoros attackiert, wenn sie ihm einen Grund dafür geben. Das sei sein Job als Satiriker. Die Missbrauchsskandale wurden schon zum Gegenstand seiner politischen Wagen, die kirchliche Meinung zum Thema Abtreibung ebenso und das ist natürlich nicht immer gerne gesehen bei Kirchenvertretern – „das hat für Irritationen und böses Blut gesorgt, aber das ist eben der Karneval. Und wer dieses Jahr einen drüberkriegt, der kann sich sicher sein, dass im nächsten Jahr wieder jemand anderes drankommt.“

Atheisten und Agnostiker können auch einen "drüberkriegen"

Bei diesem Projekt sei die Zusammenarbeit aber hervorragend gewesen. "Alle haben mal an einem Strang gezogen", sagt er im Gespräch mit DOMRADIO.DE. Das war in der Vergangenheit nicht immer so leicht. Wenn die Schattenseiten einer Weltanschauung zu deutlich werden, müsse man das aufgreifen. "Und auch die Atheisten und Agnostiker können ruhig mal einen drüberkriegen", sagt er, "für ihre Selbstgewissheit".

Aber das ist ja das Schöne im Karneval. Fragt man Szentei-Heise, ob er sich persönlich beleidigt fühlt, wenn die Satire den jüdischen Glauben angreift, sagt er: "Nein, Religionen haben eine lange Entwicklung hinter sich. Und da gab es sowohl die positiven als auch die negativen Entwicklungen und die muss man aufgreifen und kritisieren." Das sollte zum Anlass genommen werden die weitere Entwicklung positiv zu gestalten, sagt er.

Kritische Argumente 

Düsseldorfer Superintendent Heinrich Fucks / © Sergej Lepke
Düsseldorfer Superintendent Heinrich Fucks / © Sergej Lepke

Superintendent Heinrich Fucks, von der evangelischen Kirche Düsseldorf, erklärt, dass es einige Dinge gab, die manchen Menschen nicht behagt haben, im Vorfeld und in der Planungsphase. Es gab aus der evangelischen Kirche Stimmen, die moralische Fragen gestellt haben: Darf man in einer Zeit wie heute, während in der Ukraine ein Krieg tobt und nach dem Terror vom 7. Oktober, ein solches Fest feiern? Alkohol trinken, in rauen Mengen? 

Fragen die diskutiert worden sind. Und in denen die Religionsgemeinschaften zu einem gemeinsamen Nenner gekommen sind, den Fucks auf den Punkt bringt: „Wir lassen uns doch nicht diktieren, was wir feiern und wie wir feiern wollen, dann dürfte man überhaupt nicht mehr feiern.“ Gerade in Zeiten wie heute, sei es deswegen so wichtig, gemeinsam ein Zeichen zu setzen. „Deshalb ist es auch so wichtig, das muslimische Menschen auf dem Wagen vertreten sind.“ Ein Viertel der Karnevalsbesucher hätte Migrationshintergrund, gerade denen wolle man vermitteln, dass sie dazu gehören.

Ataman Yildirim, Ansprechpartner für Interkulturelle Öffnung & Antidiskriminierungsarbeit bei der AWO Düsseldorf. / © unbekannt (privat)
Ataman Yildirim, Ansprechpartner für Interkulturelle Öffnung & Antidiskriminierungsarbeit bei der AWO Düsseldorf. / © unbekannt ( privat )

Auch Ataman Yildirim, muslimischer Karnevalist, der auf dem Toleranzwagen dabei sein wird, wurde für seine Teilnahme kritisiert. Er als Moslem, inmitten vom alkoholtrinkenden Feiervolk? Kann er das mit seinem Glauben vereinbaren? Er kann. Ihm geht es darum „Flagge zu zeigen in solchen Krisenzeiten“. „Gerade jetzt müssen wir Zusammenhalt beweisen und auf Augenhöhe miteinander zusammenarbeiten. Da gehöre es auch dazu, anderen Menschen ihren Alkohol zu lassen. Er selbst wird sich den türkischen Yoghurtdrink Ayran mit auf den Wagen holen. Und für seine Einstellung gab es auch „Lob für seinen Mut“.

50.000 Euro Einzelspende

Ein anderer Kritikpunkt, mit dem sich die Organisatoren auseinandersetzen mussten, war die Frage, ob die Religionsgemeinschaft wirklich so viel Geld ausgeben müsse, um den Toleranzwagen auf die Straße zu bringen. 

Doch damit gab es in diesem Jahr eigentlich kein größeres Problem. Szentei-Heise erklärt, dass eine einzige Person, die 50.000 Euro locker gemacht hat, um den Toleranzwagen zu finanzieren. Wer das allerdings war, will er nicht sagen, weil er nicht weiß, ob die Person damit einverstanden ist.

Quelle:
DR