Wie aus einem eiskalten Banker ein Lebensretter wurde

"Es ist mein Leben"

Conrado Giménez beschreibt sich selber als Berufener. Mit seiner in Madrid ansässigen Stiftung Madrina vollbringt er viel Gutes für Frauen. Seine radikal christlichen Ansichten irritieren aber auch. 

Autor/in:
Stefanie Claudia Müller
Aldo Olcese (rechts) mit einem der Schützlinge und Conrado Giménez (links) / © Stiftung Madrina
Aldo Olcese (rechts) mit einem der Schützlinge und Conrado Giménez (links) / © Stiftung Madrina

Conrado Giménez befindet sich bis zu seinem tragischen Autounfall im Jahr 1999 auf der Sonnenseite des Lebens. Er studiert zunächst Molekularbiologie und wird ein erfolgreicher Forscher. Dann wechselt er das Metier. Das Geld lockt. In zwei spanischen Banken steigt er ganz nach oben auf und wird mächtig. Vor 24 Jahren den Tod so nah zu spüren, habe bei ihm jedoch alles verändert: "Ich war früher sehr egoistisch und kalt. Zur Kirche hatte ich keine Verbindung."

Nach dem Unglück pilgert er zunächst zum Schönstatt-Heiligtum, bittet die Jungfrau um Hilfe. Dann schaut er sich die Arbeit von Mutter Teresa von Kalkutta aus nächster Nähe an. Er reist auch nach Peru zu Wohltätigkeitsorganisationen, wo die Erinnerungen an die bei der Geburt sterbenden Mütter ihn nicht mehr loslassen: "Da war mir klar, dass ich jungen schwangeren Frauen helfen musste, dass sie nicht in eine solche Situation kommen." Giménez gründet 2001 die Fundación Madrina, welche junge Mütter aus Gewalt- und Armutssituationen befreit und Schwangere bei der Geburt begleitet.

Seine Eltern und Geschwister sind am Anfang überhaupt nicht begeistert, dass er seine Karriere als Bankdirektor hinwirft für die Nächstenliebe. "Wir konnten diesen plötzlichen Wandel nicht verstehen. Beruflich stand er ganz oben", sagt seine Schwester Inma, die inzwischen eine wichtige Säule der Stiftung ist. Sie kümmert sich zum Beispiel darum, dass jeder Frau eine ehrenamtliche Madrina, eine Patin, zur Seite stellt wird, welche in der Schwangerschaft und nah der Geburt helfen soll. Daher auch der Name für die Stiftung.

Conrado Giménez

"Wir müssen halt die Mittel schaffen für diese schwangeren Frauen, ihre Kinder groß zu ziehen, dann wollen sie auch nicht abtreiben"

Es ist ein gutes System, auch damit die bürgerliche spanische Gesellschaft nicht die Verbindung zur Realität verliert. Sein Schaffen ist mehrfach prämiert worden. Giménez radikales Eintreten für das Leben und gegen Abtreibung stößt dort jedoch nicht bei allen auf Akzeptanz. Sein Helfen wirkt für einige Freiwillige nicht selten planlos und hektisch, so wie als müsse er etwas gutmachen. Buβe tun.

Spanische Feministinnen greifen ihn immer wieder an, weil er die Lage der Frauen weiter verschlimmere durch seine verqueren Sichtweisen in Bezug auf Mutterschaft. Er helfe ihnen nicht, Schwangerschaften zu vermeiden bzw. abzutreiben. Wer die Stiftungsarbeit kennt, muss eingestehen, dass da etwas dran ist. Es wird nicht richtig über Verhütung gesprochen. Die Schaffung und Erhaltung des Lebens steht über allem, egal in welchen Konditionen und zu welchem Preis. "Wir müssen halt die Mittel schaffen für diese schwangeren Frauen, ihre Kinder groß zu ziehen, dann wollen sie auch nicht abtreiben", sagt er.

Ein anderer Typ Frauenheld

Der wenig religiöse Ökonom und Unternehmensberater Aldo Olcese war genau deswegen lange misstrauisch gegenüber Giménez: "Aber nach ausgiebiger Analyse der Lage, überwiegt für mich das Gute in seiner Arbeit. Ich empfehle ihn inzwischen weiter bei Institutionen." Zudem gibt er Workshops für in der Stiftung über berufliche Möglichkeiten und Unternehmertum.

Olcese schaut sich zudem die Wohnungsgemeinschaften der von der Stiftung betreuten Frauen regelmäßig an und kontrolliert, wie staatliche Hilfe und Spendengelder umgesetzt werden. Die Apartments gehören zu kirchlichen Orden oder werden von Städten und Gemeinden zur Verfügung gestellt. Wegen der Nutzung hat es immer wieder Ärger gegeben, auch jüngst im Zusammenhang mit Waisenkindern, die Giménez aus der Ukraine nach Spanien geholt hatte. Ganz wichtig ist für Olcese, zu garantieren, dass die vielfach aufs Übelste gequälten Frauen bei Giménez in Sicherheit sind: "Niemand darf ihre missliche Lage ausnutze".

Das ist seiner Meinung nach bei Madrina gewährleistet. Die Beschützten aus Spanien, Honduras, Marokko, aus dem Senegal oder Ecuador verneinen auf vielfache Nachfrage jegliche Art von sexuellen Übergriffen, beschweren sich nur manchmal, dass zu stark in die Erziehung der Kinder eingriffen werde. "Einige Mütter schlagen ihre Zöglinge oder schreien sie an, das können wir nicht akzeptieren. Genauso können Mitbewohner nicht beklaut werden", erklärt Giménez das Vorgehen seiner Stiftung und der dort arbeitenden Sozialarbeiter.

Conrado Giménez

"Sie haben Angst vor der Selbständigkeit, sind nicht glücklich, aber auch zu schwach, sich etwas einiges aufzubauen."

Für die schwer traumatisierte Elizabeth aus Nigeria wirkt es jedoch wie ein Eingriff in ihre Freiheit. Sie ist Mitte 20 und hat schon drei Kinder von drei verschiedenen Vätern, keiner kümmert sich. Die junge Frau ist sehr streng, vor allem zu dem ältesten Sohn. Sie wirkt unfair und manchmal auch kalt. Träume hat sie viele, aber sie hat kein Geld und keine soziale Struktur, die sie unterstützt. In ihrem Kopf herrscht Chaos und Verdrängung von dem, was wirklich geschehen, die Misshandlungen, die sie im Kreis der eigenen Familie und in Spanien erlebt hat.

In der Fundación Madrina hat sie wieder gelernt, zu lachen, aber sie ist jetzt auch gewohnt, die Hände aufzuhalten. Die stolze Afrikanerin besteht auf ihre Rechte und stellt klare Forderungen an den spanischen Staat, jetzt, wo sie die Aufenthaltsgenehmigung hat. "Es ist schwierig, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Viele Frauen wollen aus den von uns betreuten Wohngemeinschaften nicht mehr raus. Sie haben Angst vor der Selbständigkeit, sind nicht glücklich, aber auch zu schwach, sich etwas einiges aufzubauen", erklärt Giménez, der sich der Widersprüchlichkeiten und Herausforderungen seiner Arbeit, für die er auch kritisiert wird, bewusst ist.

Wenig Blumen wachsen aus der Saat

Sabrina gehört zu den Erfolgsgeschichten der Stiftung, sie hat ihr Leben weitgehend unter Kontrolle. Die dreifache Mutter lebt außerhalb von Madrid in einem kleinen Dorf. Sie steht nicht mehr unter dem direkten Schutzmantel von Madrina. Dennoch stürzt die gebürtige Marokkanerin immer wieder ab. Die Vergangenheit der Prostitution holt sie ein.

Mit einem kleinen Kind und einem Neugeborenen ist der Alltag ein harter Kampf für Sabrina. Die Väter helfen nur punktuell. Nur der älteste Sohn werde in Madrid von ihrem Ex-Partner versorgt. Für Olcese und auch für Sabrina stehen der Nutzen der Arbeit von Madrina trotz der vielen Widrigkeiten außer Frage: "Sie füllen eine Lücke in Spanien. Sie bieten ein Zuhause für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung, die sonst durch jedes soziale Netz rutschen und auf der Straße landen würden", sagt sie.

Olcese wiederum, glaubt, dass es Giménez hoch anzurechnen sei, dass er trotz der vielen rechtlichen und sozialen Probleme nicht aufgäbe. Elizabeth hat er aus der Prostitution geholfen. Er hat rechtlichen Schutz für sie gesucht. Das wird sie nie vergessen, auch wenn sie nicht offen darüber sprechen kann, was passiert ist. Für Giménez dagegen ist Madrina inzwischen seine Familie: "Es ist mein Leben", sagt der Ledige.

Quelle:
DR