Weshalb Fellinis "La dolce Vita" den Vatikan schockierte

"Ein guter Katholik sollte den Film nicht besuchen"

Sie gehört zu den Traumfrauen der 1950er und 60er Jahre. Mit "La dolce Vita" von Regisseur Frederico Fellini gelang Anita Ekberg 1959 der weltweite Durchbruch. Damals war der Vatikan entsetzt. Nun kommt der Film wieder in die Kinos.

La dolce Vita / © Keystone (epd)
La dolce Vita / © Keystone ( epd )
Marcello Mastroianni als Marcello Rubini und Anita Eckberg als Sylvia in einer Szene des Films La Dolce Vita - Das süsse Leben / © Universum Film (dpa)
Marcello Mastroianni als Marcello Rubini und Anita Eckberg als Sylvia in einer Szene des Films La Dolce Vita - Das süsse Leben / © Universum Film ( dpa )

DOMRADIO.DE: "Marcello, komm her" - Anita Ekberg steigt in den Trevi-Brunnen in Rom. Ist das auch die Szene, die Ihnen als erstes bei diesem Film einfällt?

Martin Ostermann (Mitglied der katholischen Filmkommission): Ja, die ist natürlich ikonisch geworden und wird mittlerweile in vielfach anderer Hinsicht, völlig getrennt vom Film, zitiert. Der Titel "La dolce Vita" - "Das süße Leben" ist für sich genommen schon eine Aussage: unbeschwert sein, einfach die Zeit laufen lassen, genießen und sich treiben lassen, so wie es kommt. Dazu passt natürlich auch der Sprung in den Brunnen.

DOMRADIO.DE: In dem Film geht es um eine amerikanische Schauspielerin, die nach Rom kommt. Was macht diese Geschichte so außerordentlich?

Martin Ostermann

"Es geht eigentlich um die Gesellschaft als moderne Gesellschaft, die für dieses süße Leben Zeit hat, Zeit zum genießen"

Ostermann: Wenn man sich in die damalige Zeit hineinversetzt, wurde oft der Begriff des "Sittenbildes" benutzt. Das würde man heute so nicht mehr sagen. "Sittenbild" klingt ein wenig altertümlich. Damals war der Begriff durchaus noch gegenwärtig und das trifft es eigentlich. Die Episode mit Anita Ekberg, die eine Schauspielerin darstellt, ist nur ein Teil eines größeren Mosaiks. Es geht letzten Endes um Rom als Weltstadt. Rom selbst spielt eine Hauptrolle in dem Film. Es geht eigentlich um die Gesellschaft als moderne Gesellschaft, die für dieses süße Leben Zeit hat, Zeit zum genießen. Der Film ist 1959 entstanden, 1960 in die Kinos gekommen. Das war immerhin noch Nachkriegszeit.

DOMRADIO.DE: Was fand der Vatikan so schrecklich an dem Film?

Ostermann: Da ging es natürlich um genau dieses explizite Genießen. Es gab durchaus auch übrigens positive Stimmen katholischer Presse. Der "Cotidiano" zum Beispiel, das ist auch ein katholisches Blatt, hat damals schon von einem Meisterwerk geschrieben, musste das aber hinterher widerufen, weil der "L'Osservatore Romano" sehr eindeutig geschrieben hat, dass hier die Sitten verdorben werden. Da sind wir wieder bei dem Sittenbild. Da heißt es sogar, dass es einen Aufruf an die öffentliche Gewalt gab, dem Schutz der Volksgesundheit endlich Folge zu leisten und die guten Sitten und den Respekt wieder neu aufzurichten. Die Behörden sollten also dafür sorgen, dass dieser Film zurückgezogen wird. Das hat aber nicht funktioniert. Daraufhin hat man vom Vatikan aus zumindest das Prädikat der katholischen Filmzensur erlassen "für alle unzulässig", also ein guter Katholik sollte den Film nicht besuchen.

DOMRADIO.DE: Ist da aus heutiger Sicht noch ein Aufreger aus kirchlicher Sicht drin?

Ostermann: Das ist schon interessant. Die FSK, also die Freiwillige Selbstkontrolle, die zunächst mal den Jugendschutz im Blick hat - also nicht den Schutz aller Menschen, sondern mehr der Minderjährigen - hat 1998 eine Neubewertung des Films vorgenommen, was übrigens bei vielen Filmen passiert ist. Der hatte eine FSK18-Freigabe und ist 1998 auf FSK12 zurückgestuft worden. Da sieht man schon, wie sich Sitten und die Bewertung dessen, was Sittenverstöße sind, geändert haben.

DOMRADIO.DE: Was macht den Film nach über 60 Jahren so zeitlos, dass er uns immer noch etwas zu sagen hat und nun wieder in die Kinos kommt?

Ostermann: Ich denke Frederico Fellini ist ein Meisterwerk im Sinne der Bildsprache gelungen. Da sind ikonische Szenen enthallten, die für sich sprechen, ohne dass sich da direkt auch die Geschichte dahinter kenne, wie etwa der anfangs erwähnte Trevi-Brunnen. Das zweite ist sicherlich, dass es eine Zeitansage war, die weit über das Jahr 1960 hinausreicht: Was macht den Menschen eigentlich aus? Wie gestaltet er Beziehungen? Wie verbringt er seine Sehnsüchte? Auch ein stückweit so etwas wie spirituelle Krisen? In welche Richtung tendiert sein Glaube? Das alles kommt im Film vor. Der Film beginnt damit, dass eine große segnende Jesus-Statue mit einem Helikopter über Rom in den Vatikan transportiert wird. Es gibt auch eine Marienerscheinung in dem Film, die dann allerdings von der Klatschpresse eher ausgeschlachtet wird, als dass es sich tatsächlich um ein gläubiges Wunder handelt. Das sind alles Elemente, die wir heute multipliziert wieder neu haben. Das, glaube ich, macht den Film auch heute noch sehr sehenswert.

Martin Ostermann

"Da sind ikonische Szenen enthallten, die für sich sprechen, ohne dass sich da direkt auch die Geschichte dahinter kenne"

DOMRADIO.DE: Der Film dauert drei Stunden lang und war auch im Fernsehen zu sehen. Lohnt es sich Ihrer Meinung nach, sich den Film im Kino anzugucken?

Ostermann: Unbedingt. Der Film ist digital restauriert worden, also mit 4K abgetastet worden, den neuesten technischen Standards genügend. Die Bildsprache ist auch heute noch beeindruckend und maßgebend für viele Regisseure wie zum Beispiel Paolo Sorrentino, der gewissermaßen die Nachfolge von Fellini angetreten hat.

Martin Ostermann

"Dieses Eintauchen, glaube ich, das gelingt nur wirklich im Kino"

Außerdem lohnt es sich für die Atmosphäre: Wir flanieren durch Rom, wir genießen das Leben und wollen alles Mögliche erfahren, auf der zweiten Ebene gleichzeitig auch Stück weit Sinnkrisen und unerfüllte Sehnsüchte sehen. Dafür muss man eintauchen. Dieses Eintauchen, glaube ich, das gelingt nur wirklich im Kino. Im Fernsehen hat man zu viel Ablenkungsmöglichkeiten, sich dem Film zwischendurch zu entziehen. Da lohnen sich dann auch drei Stunden Kino.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Quelle:
DR