Wer zwischen all den Krisen für Hoffnungsschimmer sorgt

Zehn Heldinnen und Helden des Alltags

"Krisenmodus" ist kürzlich zum Wort des Jahres gewählt worden. Bei vielen negativen Schlagzeilen droht unterzugehen, dass es auch Menschen gibt, die den Krisen etwas entgegensetzen. Zehn Mini-Porträts.

Autor/in:
Paula Konersmann
Junge Menschen schlagen vor Begeisterung die Hände aneinander. / © fizkes (shutterstock)
Junge Menschen schlagen vor Begeisterung die Hände aneinander. / © fizkes ( shutterstock )

Mutmacher und Alltagheldinnen: Menschen, die mit Tatkraft überzeugen und anderen Hoffnung geben. Wer das eigene Umfeld beobachtet, dem fallen diese Personen auf. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat hingeschaut und stellt zehn Menschen vor, die den Alltag auf ganz unterschiedliche Art ein wenig besser gemacht haben.

Der Sargträger

Keine Berührungsängste mit dem Tod hat der bekannte Theater- und Fernsehschauspieler Oliver Fleischer. Seit über acht Jahren arbeitet er nebenberuflich als Sargträger. Der 49-Jährige bedauert, dass dieser "Dienst an der Gesellschaft" kaum noch von Menschen aus dem Umfeld von Verstorbenen übernommen werde. 

Bis zu vier Mal in der Woche geht er auf den Friedhof - Beerdigungen seien für ihn "ein Stück Normalität geworden". Durch seine Tätigkeit habe er zwar noch Respekt vor dem Tod, aber keine Angst mehr.

Der Musiker

Musik hilft durch manche schwierige Lebensphase hindurch. Auch am Lebensende kann sie "absolut" tröstlich sein - das beobachtet Stefan Weiller. In Hospizen und auf Palliativstationen spricht er mit Menschen an ihren letzten Lebenstagen über jene Lieder und Stücke, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Aus diesen "Letzten Liedern" entsteht ein immer wieder neues Bühnenprogramm. 

Musik zu Weihnachten / © carlos castilla (shutterstock)
Musik zu Weihnachten / © carlos castilla ( shutterstock )

Musik sieht der Künstler als etwas zutiefst Menschliches: Manche Menschen, die er trifft, können nicht mehr laufen, sagt Weiller. "Aber wenn sie ein bestimmtes Lied hören, wippen sie mit dem Fuß mit."

Die Special-Olympics-Teilnehmerin 

Einmal bei Olympia dabei sein: Dieser Traum ging für Daniela March im Juni in Berlin in Erfüllung. Die junge Frau aus Köpenick durfte als eine von 7.000 Athletinnen und Athleten aus aller Welt bei den Special Olympics teilnehmen, der weltweit größten Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. 

Daniela March, Teilnehmerin bei den Special Olympics World Games in der Wettkampfdisziplin Bowling, an ihrem Arbeitsplatz in einem Cafe bei den Stephanuswerkstätten der Berliner Diakonie am 8. Juni 2023 in Berlin / © Nina Schmedding (KNA)
Daniela March, Teilnehmerin bei den Special Olympics World Games in der Wettkampfdisziplin Bowling, an ihrem Arbeitsplatz in einem Cafe bei den Stephanuswerkstätten der Berliner Diakonie am 8. Juni 2023 in Berlin / © Nina Schmedding ( KNA )

Daniela startete im Bowling - einer Disziplin, die nur bei diesen besonderen Spielen olympisch ist. Ihr geht es beim Sport vor allem um Geselligkeit und Bewegung. Fast täglich fährt sie kilometerweit mit dem Fahrrad zu ihrer Arbeit in einem Cafe in einer Behindertenwerkstatt. Dass sie ein wenig mehr Hilfe als andere Menschen in ihrem Leben benötigt, weiß sie - aber "ich lass mir das nicht anmerken".

Der frühere Nachrichtendienst-Chef 

Christof Gramm war von 2015 bis zum 24. September 2020 Präsident des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Für die Babyboomer-Generation hat der heute 65-Jährige einen Tipp: "Von einem Funktionsautomaten bis zu einem empfindenden Menschen, der seine Zeit gestalten kann, ist es ein langer Weg." 

Es brauche Zeit, in die neue Rolle hineinzufinden. Er habe ein gutes Jahr gebraucht, bis er gelernt habe, den vorher unglaublich strikten Zeittakt und Druck zu überwinden. Wer sich für andere öffne, müsse auch keine Einsamkeit befürchten: "Das kann durch Reisen, Gesprächskreise, Mitarbeit in Vereinen und Kirchen passieren."

Die Autorin, die auf der Straße übernachtet hat 

Die Journalistin und Romanautorin Eske Hicken hat 2017 ein Jahr lang bei einer Obdachlosenrechtsorganisation in Portland im US-Bundesstaat Oregon verbracht. Sie arbeitete dort in einem Restaurant für Obdachlose und schlief selbst einige Male auf der Straße. Ihre Erlebnisse verarbeitete sie im Roman "Homeless", der im September erschienen ist. 

"In Portland leben viele Menschen auf der Straße, von denen man es nicht vermuten würde. Leute, die gut ausgebildet sind, die ihr Leben im Griff hatten. Das hat mich überrascht", sagt sie. Im Grunde sei es überhaupt nicht akzeptabel, dass Menschen auf der Straße schlafen müssten. Hicken: "Es ist eine Form von Unmenschlichkeit, die immer mehr zur Gewohnheit wird und auch in vielen deutschen Städten, etwa in Frankfurt am Main, zum Stadtbild gehört."

Der Klosterbruder 

Michael Wies, geboren im westfälischen Coesfeld, ist Kapuziner und leitet seit November 2015 den Franziskustreff in Frankfurt am Main. Die aus Spenden finanzierte Einrichtung bietet Obdachlosen jeden Werktag und an Feiertagen für 50 Cent ein Frühstück an. 

Kapuziner mit braunen Mönchskutten / © Wolfgang Radtke (KNA)
Kapuziner mit braunen Mönchskutten / © Wolfgang Radtke ( KNA )

Wies, der vor seiner Zeit als Kapuziner Bürokaufmann gelernt hatte, sagt über seinen ungewöhnlichen Lebensweg: "Wenn man Freunden erzählt, dass man ins Kloster geht, dann schockt man die erstmal." Das Loseisen sei nicht einfach gewesen. "Aber ich wusste, ich muss es machen, sonst werde ich nicht glücklich." 

Und was hat er als Ordensbruder über die Keuschheit gelernt? "Unser Novizenleiter hat gesagt: In der Seelsorge werdet Ihr viele Frauen kennenlernen, und wenn Ihr Euch da nicht für Euren Weg entscheidet, werdet Ihr immer schlingern."

Die Rabbinerin 

Dass sie selbst einmal die Kippa auf dem dunkelblonden Haar und einen Gebetsschal tragen, dass sie aus der Thora lesen und predigen würde, hätte Jasmin Andriani als Jugendliche nicht gedacht: Die 40-jährige ist eine der wenigen Rabbinerinnen hierzulande; sie leitet die liberale jüdische Gemeinde Göttingen. 

Vor allem bei der Zusammenarbeit mit großen Institutionen sei noch Luft nach oben. "Die guten Verträge schustern sich die Männer gegenseitig zu", sagt sie. Um für mehr Gleichberechtigung in ihrem Job zu sorgen, hat sie ein Ziel fest vor Augen: Sie will eine Vereinigung deutscher Rabbinerinnen gründen - zum Informationsaustausch, zum Networking. "Ich muss es nur noch in die Tat umsetzen."

Die treue Freundin 

Ihre beste Freundin Tanja ist seit bald acht Jahren tot - doch Sylvia Wiedemann vergisst sie nicht. Jeden 15. Mai schaltet sie am Todestag ihrer Kameradin, die sie aus der Schule kannte, zur Erinnerung eine Traueranzeige in der Tageszeitung. 

Über Tanjas Namen stehen dann Orte, die sie gemeinsam besucht haben. Denn die große Leidenschaft der Freundinnen aus Bayerisch-Schwaben war das Reisen. "Und unter ihrem Namen zähle ich nun jedes Jahr Ziele auf, zu denen ich allein gefahren bin - mit Tanja im Herzen", so Wiedemann. 

Tanja starb 2016 nach langer Krankheit mit 48 Jahren. Ärzte hatten erst Parkinson konstatiert, dies aber widerrufen. Die wahre Todesursache ist unklar.

Die Sterbeamme 

Was ist denn eine Sterbeamme? "Im Prinzip nichts anderes als eine Hebamme", sagt Karin Simon. Während Hebammen einen Menschen auf die Welt bringen, helfen Sterbeammen beim Übergang vom Leben zum Tod. 

Das Sterben, sagt die Frau mit dem wuscheligen Kurzhaarschnitt und dem bayerisch-fröhlichen Zungenschlag, müsse wieder eine Normalität werden: "Wer sich mit der Endlichkeit des Lebens beschäftigt, lebt anders, bewusster, nimmt den Augenblick stärker wahr - es stellt das Leben auf den Kopf. Und wenn man auf dem Kopf steht, fällt das ganze Glump - so sagt man in Bayern -, also all das unnötige Zeug aus den Taschen."

Joachim Kozlowski, "Umbetter" für sterbliche Überreste von Soldaten im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge / © Gregor Krumpholz (KNA)
Joachim Kozlowski, "Umbetter" für sterbliche Überreste von Soldaten im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge / © Gregor Krumpholz ( KNA )

Der Umbetter

Sein Beruf hat Joachim Kozlowski zum Pazifisten gemacht. "Man hat viel Zeit zum Nachdenken darüber, was der Krieg anrichtet", sagt der 51-Jährige aus Brandenburg. Im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge birgt er bundesweit die sterblichen Überreste von Soldaten und Zivilopfern. Dann sorgt der frühere Bundeswehr-Sanitäter und Rettungsassistent dafür, dass sie ein würdiges Grab erhalten - meist in einer Kriegsgräberstätte.

In rund 500 Fällen pro Jahr kann Kozlowski ihnen diesen letzten Dienst erweisen, in vielen Fällen auch den Namen ermitteln. "Und die Nachkommen erhalten Gewissheit über das Schicksal."

Quelle:
KNA