Wenn Lehrer ihre Schüler peinigen - Verein interveniert bei Lehrergewalt

Hauen, kneifen, beleidigen

Auf dem Schreibtisch von Catrin Lange türmen sich Berichte über Lehrer, die Kopfnüsse verteilen, kneifen und ihre Schüler beleidigen und demütigen. 2007 gründete die Juristin und Pädagogin deshalb in Hürth bei Köln den Verein "Kinder in Schulnot".

Autor/in:
Barbara Driessen
 (DR)

Schreck auf dem Schulhof: In der Pause kneift der Geschichtslehrer einem elfjährigen Mädchen plötzlich von hinten mit beiden Händen fest in die Hüfte. Die Gymnasiastin wendet sich sofort an ihre Klassenlehrerin, die sich die roten Flecken ansieht und ihren Kollegen zur Rede stellt. Der entschuldigt sich und bezeichnet das Ganze als Spaß: "Das ist eine dumme Angewohnheit von mir." Die Eltern informieren den Schulleiter. Er tut das Verhalten des Lehrers als rüden Scherz ab: Die Eltern seien einfach "überbesorgt und sehr empfindlich".

In einem anderen Fall lässt eine Gesamtschullehrerin einen Zwölfjährigen vor der gesamten Klasse zur Strafe Kniebeugen machen, tritt ihn in den Po und reibt sein Gesicht mit einem nassen Tafelschwamm ab, bis er sich übergibt.

Bei solchen Szenarien handelt es sich keineswegs um Einzelfälle: Auf dem Schreibtisch von Catrin Lange türmen sich Berichte über Lehrer, die Kopfnüsse verteilen, kneifen und ihre Schüler beleidigen und demütigen. 2007 gründete die Juristin und Pädagogin deshalb in Hürth bei Köln den Verein "Kinder in Schulnot" (Kischuno), der mit einem Team aus Lehrern und Psychologen kostenlose Beratung anbietet und von Wissenschaftlern und Anwälten unterstützt wird.

"Jetzt gibt es blaue Flecken"
Lange und ihren allesamt ehrenamtlich tätigen Kollegen geht es dabei nicht um ein einmaliges Fehlverhalten eines Lehrers, sondern um wiederholte rituelle Bestrafungen wie etwa das erniedrigende "In-den-Hintern-Treten" eines Schülers oder das vorher mit den Worten "Jetzt gibt es blaue Flecken" angekündigte Boxen auf den Arm.

Jeder Fall wird von Kischuno überprüft, wobei zum Beispiel auch Mitschüler befragt werden. "Bestätigen fünf oder sechs weitere Schüler die Geschichte des betroffenen Kindes, dann gehen wir davon aus, dass da etwas dran ist", sagt Lange, die schon in rund 100 Fällen echter Lehrergewalt interveniert hat.

Sie rät dazu, Kischuno möglichst frühzeitig zu informieren, um zwischen Lehrern und Eltern vermitteln zu können. "Sollte sich die Schulleitung in schwerwiegenden Fällen von Gewalt und Mobbing dann nicht bemühen, schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen, verweisen wir die Eltern an unseren Kooperationsanwalt, einen Spezialisten für Mobbingfälle", so Lange. Er könne helfen, eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzureichen. Reagiert die zuständige Bezirksregierung auch darauf nicht, so ergehe in Absprache mit den Eltern Strafanzeige wegen Strafvereitelung.

Angst vor schlechten Noten
Langes Erfahrung zeigt, dass die meisten Schulleitungen solch ein Problem lieber unter den Teppich kehren, als sich tatsächlich um eine Lösung zu bemühen. Betroffenen Eltern rät sie, die Sorgen ihrer Kinder sehr ernst zu nehmen und ihre Kinder zu unterstützen. "Leider trauen sich Eltern ganz oft nicht, gegen den Lehrer ihres Kindes aktiv zu werden. Sie haben Angst vor schlechten Noten und halten deshalb lieber still."

Eine Furcht, die nicht ganz unbegründet ist: "Wenn man der Herr über die Noten ist, ist es sehr leicht, einem Schüler eins reinzuwürgen", bestätigt der Gymnasiallehrer Peter N. aus Essen, der es schon öfter erlebt hat, dass sich Kollegen über schlechte Zensuren an Eltern gerächt haben.

Nach Catrin Langes Erfahrungen werden Jungen öfter Opfer von Lehrergewalt als Mädchen. Besonders häufig treffe es auch Kinder mit einer besonderen Lebenskonstellation, etwa mit alleinerziehenden oder geschiedenen Eltern, mit Migrationshintergrund oder auch besonders unruhige, hochbegabte oder schwache Schüler. "Kinder aus einer gutbürgerlichen Familie mit engagierten Eltern sind dagegen fast nie betroffen", ist Langes Erfahrung.

Sie betont dabei, dass die meisten Lehrer keine Sadisten seien, die Kinder aus Spaß peinigten. "Sie handeln so aus Hilflosigkeit, weil sie überfordert sind." Kinder hätten sich enorm verändert, sie seien heute viel unruhiger als vor zehn bis 15 Jahren. Viele seien verhaltensauffällig. Darauf bereite die Lehrerausbildung nicht vor.

Auch Lehrer werden oft Opfer
Das bestätigt auch Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung: "In den Klassenzimmern sitzen heute viele Kinder, die nie gelernt haben, sich an Regeln zu halten." Auch Lehrer würden oft das Opfer von verbalen und auch handgreiflichen Attacken ihrer Schüler.

"Der Umgang mit schwierigen Schülern und schwierigen Situationen im Unterricht wurde bislang während der Ausbildung viel zu wenig berücksichtigt", kritisiert Beckmann, der viele Jahre Schulleiter an einer Hauptschule war.

Bei allem Verständnis für die oft sehr schwierigen Arbeitsbedingungen in heutigen Schulen hält er verbale wie körperliche Gewalt jedoch für völlig inakzeptabel: "Ein Lehrer muss zeigen, dass die Schule ein gewaltloser Raum ist, und das muss er auch vorleben", sagt Beckmann.