Lange aber können wir Überlebenden nicht mehr in die Augen schauen

Wenn ein Leid ein Gesicht bekommt, ändert sich allers

Survivors. Überlebende. Nennt der renommierte Fotograph Martin Schöller seine Ausstellung. In der Zeche Zollverein zeigt er 75 Porträts. 75 Menschen, die den Holocaust überlebt haben.

Jerzy Gross erzählt Judith seine Geschichte stellvetrend für ihre Generation / © Angela Krumpen (ak)
Jerzy Gross erzählt Judith seine Geschichte stellvetrend für ihre Generation / © Angela Krumpen ( ak )

Martin Schöller lebt in New York. Für seine Porträts ist er nach Israel gefahren, hat die Überlebenden dort porträtiert und von jedem Menschen ein Porträt für die Ausstellung ausgewählt.

Ausstellen will Martin Schöller diese Bilder, damit wir, die Betrachter, den Überlebenden in die Augen schauen können.

Die Befreiung von Ausschwitz ist jetzt 75 Jahre her. Lange können wir den "survivors" nicht mehr in die Augen schauen.

Judith war zehn Jahre alt, als sie „Jemandem in die Augen schauen wollte, der das Schlimme erlebt hat“, um den Holocaust zu verstehen.

Das Leben erfüllte Judiths Wunsch, Sie konnte Jerzy Gross, der als Junge auf Schindlers Liste stand, in die Augen schauen konnte. Das war wunderbar. Aber diese Erzählungen solten nicht nur für Judith sein, deswegen war bei Jerzys Erzählungen eine Kamera mit dabei.

Alleine diese Woche waren es so fast 500 Schüler und Schülerinnen, die Jerzy mit HIlfe dieser Videos in die Augen schauen konnten. Obwohl er 2014 verstarb, konnten die Schüler sein unfassliches Leid von ihm selber hören.

Es ist schier unvorstellbar, was Menschen, Menschen antun können. Wenn wir aber einem Menschen in die Augen schauen, der Unvorstellbares wirklich erlebt hat, können wir uns das Unvorstellbare plötzlich doch vorstellen.

Das Erschrecken ist dann immer groß. Diesen Schrecken kann und will ich niemand nehmen.

Denn ich glaube: nur, wenn wir uns auf diese eigentlich unvorstellbaren Grausamkeiten einlassen, verstehen wir, wie sehr es auf jede und jeden von uns ankommt. Dass es jede Anstrengung von uns allen braucht, damit das Unvorstellbare, die Barbarei, nicht wieder passiert.

Jedes Mal aber erzähle ich auch, dass Jerzy nur überleben konnte, weil es immer Menschen gab, die mehr Mut als Angst hatten, die ihm halfen, obwohl es gefährlich war.

Mut ist ein Muskel, sage ich dann zu meinem jungen Publikum. Das ist eine gute Nachricht. Einen Muskel kann man trainieren. 

Nach jeder Lesung schaue in Augen von jungen Menschen, lese den Willen darin, ihren Mut zu trainieren. Wie wunderbar.