Sonntagsfrage: Taugt Fußball als Ersatzreligion?

Wenn der heilige Rasen seine Pilger ruft

Langsam wird es ernst: Wir sind angekommen im Achtelfinale der Europameisterschaft 2016. Da pilgern selbst diejenigen, die sonst nicht so viel mit Fußball am Hut haben, in die Stadien und auf die Fanmeilen. Alles dreht sich um das Spektakel auf dem heiligen Rasen, Spieler werden verehrt wie Heilige. Taugt Fußball vielleicht als Ersatzreligion?

Fußballfans in der Gedächtniskirche / © Kay Nietfeld (dpa)
Fußballfans in der Gedächtniskirche / © Kay Nietfeld ( dpa )

Wir alle kennen das "Wunder von Bern" – Deutschlands überraschenden WM-Titel von 1954. Die Meisten haben auch schon von der "Hand Gottes" gehört, jener Extremität, die bei der WM 1986 ein mysteriöses Tor für Argentinien erzielte. Der Fußball bedient sich gerne eines religiösen Vokabulars. Schon der Begriff "Fan" leitet sich vom lateinischen Wort "fanaticus" ab, was mit "göttlich begeistert" übersetzt werden kann.

Stadionpfarrer und Fußballfan

Eugen Eckert ist evangelischer Pfarrer und Fußballfan. Als Stadionpfarrer in der Frankfurter Fußball-Arena kennt er sich aus mit Religion und Fußball, zudem hat er ein Buch mit dem Titel "Der Heilige Geist ist keine Schwalbe: Gott, Fußball und andere wichtige Dinge" veröffentlicht. Er sagt: "Was ich im Stadion erlebe, hat schon etwas mit religiösen Erfahrungen zu tun. Viele Elemente, die wir in der Kirche in die Gestaltung des Gottesdienstes einbringen, finde ich auch im Stadion wieder."

So kommen die Spieler zum Beispiel mit Kindern an der Hand in das Stadion, so wie die Messdiener im katholischen Gottesdienst. Die Vornamen der Spieler werden vom Stadionsprecher gerufen, die Fans ergänzen den Nachnamen – das entspricht dem kirchlichen Wechselgesang zwischen Vorsänger und Gemeinde. Und die Schiedsrichter wachen über die Einhaltung der Regeln, so wie es im Gottesdienst Pfarrer und Kirchenvorsteher machen. Es gibt eine Fülle von Parallelen.

Wenn Fußball die Massen mobilisiert

Wer ein Fußballspiel sieht, der kennt das Gefühl an etwas Unberechenbarem teilzunehmen. Auch wenn es bei jedem Spiel einen Favoriten gibt, kann doch ein einziger Schuss aufs Tor über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Dazu kommt das Gemeinschaftsgefühl: Hier gehöre ich hin, das ist mein Verein, das sind die Menschen, mit denen ich zusammen fiebere, für die Stadt oder das Land, aus dem ich komme. Damit wird ein Grundbedürfnis des Menschen befriedigt.

Eugen Eckert meint: "Die Kirche kann vom Fußball lernen." Die Integrationsarbeit, die der Fußball leistet, ist für ihn an vielen Stellen vorbildlich. Auch die Fairplay-Maßnahmen gegen Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Sexualität hält er für eine großartige Angelegenheit.

Die Grenzen des Sports und die Chance der Religion

Doch dann gibt es ganz eindeutig auch die Momente im Leben, in denen der Sport einen nicht auffangen kann. Der Stadionpfarrer spricht von Lebenskrisen. Für sein Buch hat er mit dem ehemaligen Profi Christoph Preuß gesprochen. Der schoss ein sensationelles Fallrückzieher-Tor gegen den FC Bayern München. Danach wurde er Sportinvalide und hat die Erfahrung gemacht, dass der Sport auch schnell an seine Grenzen stoßen kann.

Oder Heiko Herrlich, der einen Hirntumor hatte. Er sagt: Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Arme. Krisenerfahrungen sind oft nah dran an Glaubenserfahrungen, auch bei Sportlern. Doch wenn der Fußball nicht auffängt, dann bleibt da der Glaube.