Von der Phänologie und den Frühlingsboten

Wenn der Frühling erscheint

Sie drängt sich Jahr für Jahr um diese Zeit auf, die ewig sehnsuchtsvolle Frage: wann endlich kommt der Frühling? Die Meteorologen machen es sich einfach, weil es statisch so bequem ist: der Frühling beginnt für sie am 1. März. Die Astronomen und überhaupt die Menschheit an sich schaut zum Himmel und nach der Sonne: wenn Tag und Nacht wieder gleich lang sind, dann ist Frühlingsanfang. Anders die Pflanzen: sie beginnen nach Wetter und Klima zu blühen – das sind die wahren Frühlingsboten.

Schneeglöckchen / © St.Q.
Schneeglöckchen / © St.Q.

"Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muss doch Frühling werden."

Der Dichter Emanuel Geibel hat ihn wunderbar beschrieben: Diesen Kampf zwischen Frühling und Winter, der nicht auf ein Mal, sondern in Etappen gewonnen wird. Und da sich diese jedes Jahr anders zeigen, fragen wir uns immer wieder aufs Neue: Ist er jetzt endlich da, der Frühling? Ja – und Nein. Denn der Frühlingsbeginn lässt sich astronomisch, meteorologisch oder phänologisch definieren:

Die Meteorologen haben es eilig und machen es sich einfach, für sie beginnt der Frühling mit dem 1. März. Sie begründen ihren Termin mit der Analyse von Statistiken. Sie wollen oder können nur in ganzen Monaten rechnen. Für die Astronomen beginnt der Frühling seit Menschengedenken mit der Tag- und Nachtgleiche, die in unseren Breitengraden zwischen dem 19. und 21. März liegt, wenn sich die Sonne also wieder der Nordhalbkugel zuwendet und ab dann die Tage wieder länger als die Nächte sind.

Aber auch der astronomische Frühlingsanfang ist ein fixer Termin, nach dem sich das Wetter und die Natur nicht unbedingt richten. Die Natur setzt ihre eigenen  Zeichen, ihre eigenen „Phänomene“. Und so signalisiert die Blüte bestimmter Pflanzen den Frühlingsbeginn, und nach dieser Blüte  richten sich immer schon die Landwirte und Gärtner.

Frühlingsbeginn kein fixer Termin

Die Erscheinungen oder Zeichen der Natur, die den Frühling einläuten, fasst man unter den Begriff der Phänologie. Und die Phänologie unterteilt den Frühling sogar in drei Phasen: Vorfrühling, Erstfrühling und Vollfrühling. Wenn zum Beispiel Schneeglöckchen oder Haselnuss blühen ist die Zeit de Vorfrühlings. Die Forsythie signalisiert den Erstfrühling, und wenn die Apfelbäume blühen und der Flieder, dann  ist Vollfrühling.

Der Vorfrühling hat also zumindest im Flachland schon begonnen, denn seit einigen Tagen blühen die Schneeglöckchen und Haselsträucher. Und das ist dann das ganz besonders Spannende an der Phänologie: der Frühling beginnt nicht überall gleich. Jeder der im Frühling vom Rheinland ins Sauerland fährt, kann deutlich erkennen, wie die Vegetation dort noch zurück ist, gut zehn Tage blühen die Sauerländer Apfelbäume später. Und auch über Europa hin zieht der Frühling förmlich übers Land: von Portugal bis Finnland ist der Frühling ganz gemächlich drei Monate unterwegs. Pro Tag „ schafft“ er rund 40 Kilometer.

Die Phänologie hilft Gärtnern und Klimaforschern

So setzten die europäischen Landwirte nicht zu gleicher Zeit die Kartoffeln in die Erde. Sie tun es, wenn bei Ihnen der Vorfrühling begonnen hat. Auch dem Gärtner hilft die Phänologie: wer Rosen schneiden will, sollte damit bis zur Blüte der Forsythie, also auf den Erstfrühling warten.

Und die Phänologie ist auch für die Klimaforscher nützlich. Denn der Beginn der Apfelblüte wird schon seit vielen Jahren aufgezeichnet, in dreißig Jahren hat sich die Blüte um rund eine Woche nach vorn verschoben – ein Beleg für den Klimawandel.

Wer den Frühling liebt und sein Erwachen ganz intensiv erleben will, sollte ihn also einfach mal auf seinem Weg durch Europa, von Lissabon bis Helsinki begleiten. Astronomie und Meteorologie reden vom „Beginn“ des Frühlings und haben ihn auf ein Datum festgelegt, die Phänologie aber beobachtet das „Erwachen“ des Frühlings und dies über Wochen hin. Und darin steckt auch eine große Demut: denn der Frühling ist Jahr für Jahr ein unglaubliches Phänomen – die Frühlingsboten erzählen davon.

(Claudia Vogelsang / St.Q.)