Weltweite Debatte um Stammzellenforschung - Bundestag entscheidet

Frankensteins Forschung?

In der britischen Diskussion um Forschung mit Mensch-Tier-Embryos wirft der Nobelpreisträger für Medizin, Martin Evans, der katholischen Kirche Übertreibung und falsche Darstellung der Tatsachen vor. In dieser Debatte neue "Fragen der Menschenwürde" aufzuwerfen, zeuge von "Ignoranz". In Deutschland debatieren die Politiker derweil die Verschiebung des Stichtags für embryonale Stammzellen. Am Freitag entscheidet der Bundestag.

 (DR)

"All die Vorstellungen von Monstern sind nur Medienrummel",zitiert die Tageszeitung "Daily Telegraph" (Montag) den Universitätsprofessor Martin Evans. Der Embryo habe keine reproduktive Zukunft. Sogenannte Chimären seien für die Entwicklung medizinischer Therapien notwendig, und es sei noch immer verboten, einen solchen Embryo in eine menschliche oder tierische Gebärmutter einzupflanzen.

Der schottische Kardinal Keith O'Brien hatte die britische Forschung mit Mensch-Tier Chimären als "monströsen Angriff auf die Menschenrechte, die menschliche Würde und das menschliche Leben" mit "Frankenstein-Dimensionen" angeprangert.

Tierische Eizellen
Wissenschaftler der Universität Newcastle hatten kürzlich erstmals Embryos aus menschlichem und tierischem Zellmaterial geschaffen. Sie fügten menschliches Erbgut aus einer Hautzelle in die ausgehöhlte Eizelle einer Kuh ein. Die Embryos aus 99,9 Prozent menschlichem und 0,1 Prozent tierischem Erbgut überlebten den Berichten zufolge drei Tage.

Die Wissenschaftler wollen durch solche Mensch-Tier-Embryos embryonale Stammzellen gewinnen. Durch die Verwendung tierischer Eizellen wollen sie dabei den Mangel an menschlichen weiblichen Eizellen ausgleichen. Evans, der Direktor des Instituts für Biowissenschaften an der Universität Cardiff in Wales ist, erhielt 2007 den Nobelpreis für Medizin für seine Arbeit in der Stammzellforschung.

Deutschland diskutiert Stichtag
Kardinal Meisner warnte im Rahmen der Initiative www.deine-stammzellen-heilen.de vor einem "Kompromiss auf Kosten der Schwächsten". Das seien in der Debatte um die Embryonen verbrauchende Stammzellforschung die embryonalen Menschen. Sie bezahlten jeden neuen Kompromiss mit dem Leben. Meisner verwies auf neuere Forschungen, die auf ethisch unproblematische Alternativen wie adulte Stammzellen setzten.

Motor ethischer Stammzellenforschung?
Deutschland streitet zurzeit weiter um die Frist für neue Stammzellenlinien. Freitag entscheidet der Bundestag über die Verschiebung des Stichtags. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CSU) hat die Bereitstellung neuerer Stammzelllinien für die Forschung als zwingend bezeichnet. Wenige Tage vor der Bundestagsentscheidung über eine Änderung des Stammzellgesetzes sagte Schavan der "Welt", dass sie Forderungen der Wissenschaftler nach diesen Zellen nicht ignorieren könne.

Gerade jene, die Körperzellen zu Zellen mit größtem Entwicklungspotenzial reprogrammieren wollten, bräuchten embryonale Stammzellen zum Vergleich, erläuterte Schavan. Wo die größte Hoffnung bestehe, künftig ohne Embryonenverwendung auszukommen, sei die Arbeit mit neueren embryonalem Stammzelllinien zwingend. "Ich möchte, dass Deutschland zum Motor bei ethisch unbedenklichen Wegen der Stammzellforschung wird", sagte die Ministerin.

Zwei Seiten einer Medaille
Schavan warnte davor, die Ethik des Heilens und die Ethik des Lebensschutzes als Alternative zu sehen. Dies seien zwei Seiten einer Medaille. Daher dürfe es für die Politik auch keinen Automatismus und keine Abschaffung des Stichtags geben. Schavan plädiert für eine Verschiebung des Stichtags.

Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) gehört einer Gruppe von Politikern an, die sich für eine Beibehaltung des 2002 in Kraft getretenen Stammzellgesetzes einsetzen. Er hat die Abgeordneten aufgerufen, sich bei der Abstimmung über eine Änderung des Stammzellgesetzes am Freitag im Bundestag "auf die eigentlichen ethischen Grundfragen" zu besinnen. Er mahnte am Montag in Berlin, die Forschungsfreiheit nicht über die Menschenwürde zu stellen. Thierse

Bisher erlaubt das Stammzellgesetz nur die Forschung an importierten Stammzelllinien, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Am Freitag, 11.4., will der Bundestag entscheiden, ob es bei dieser Regelung bleibt, ob der Stichtag nach hinten verschoben oder ganz abgeschafft wird. Nach Auskunft der Abgeordneten zeichnet sich für die Abstimmung noch keine eindeutige Mehrheit ab.