Welturaufführung zum 150. Geburtstag des Kölner Domchores beim Festkonzert

"Sturmwind, der sein Wort vollzieht“

Im Kölner Dom erklingt am Freitag die Uraufführung der Psalmenvertonung „Sturmwind, der sein Wort vollzieht“. Im Interview erzählt der Kölner Komponist David Plate, mit welchen akustischen Tücken er in Kölns Wahrzeichen zu kämpfen hat.

Kölner Domchor (DR)
Kölner Domchor / ( DR )

domradio.de: „Sturmwind, der sein Wort vollzieht“  – so heißt Ihr Werk, es ist eine Auftragskomposition der Kölner Dommusik und basiert textlich auf den Psalmen aus dem Alten Testament. Der Domchor und das Gürzenich-Orchester sind in den letzten Proben für das Konzert am Freitag – wie spannend ist es für Sie, Ihr Werk nun plötzlich „in echt“ zu hören?

Plate: Der spannendste Moment ist die erste Orchesterprobe. Das Orchester spielt natürlich so unglaublich gut, dass da fast keine Fehler mehr passieren. Der Domchor selbst probt ja schon seit Mai und es ist natürlich für einen Chor auch ganz schön anspruchsvoll. Das Gürzenich-Orchester probt jetzt nochmal am Donnerstag – zum ersten Mal zusammen mit dem Chor. Darauf bin ich natürlich schon sehr gespannt.

domradio.de: Sie sind ausgebildeter Jazz-Gitarrist, schreiben aber seit einigen Jahren auch Werke für große Orchester. Wie hat es sich ergeben, dass Sie zum 150jährigen Bestehen des Kölner Domchores ein so groß angelegtes Werk für Chor, Fernchor und Orchester geschrieben haben?

Plate: Ich habe erfahren, dass ein Kompositionsauftrag vergeben werden sollte und habe mich mit dem Domkapellmeister Eberhard Metternich darüber unterhalten und ihm signalisiert, dass ich mich gerne dafür bewerben würde. Weil er und genauso Markus Stenz von mir noch nichts kannten, bin ich ein bisschen in Vorleistung getreten und habe dann erst mal angefangen, ein paar Psalmen-Fragmente zu vertonen, und habe den beiden auch ältere Werke von mir gezeigt. Die fanden es zum Glück gut und haben mir dann vor ungefähr einem Jahr den Auftrag erteilt.

domradio.de: Der Kölner Dom ist eine riesige Kirche – wie sehr mussten Sie auf die akustischen Besonderheiten des Gebäudes beim Komponieren achten?

Plate: Also, die Bedingungen sind natürlich einerseits schwierig, andererseits sind sie so etwas Besonderes, dass ich natürlich versucht habe, das ständig in der Komposition zu berücksichtigen. Jeder weiß, dass die Nachhallzeiten im Dom ganz extrem sind. Das heißt, es gibt kein „Subito piano“, also dass das Orchester plötzlich von laut auf leise umschaltet. Denn der Nachhall klingt weiter. Eine  Rolle spielen zum Beispiel auch Pausen, die so gestaltet sind, dass man den Nachhall an bestimmten Stellen auch besonders genießen kann. Es war schon sehr wichtig, von Anfang an zu wissen, dass es im Kölner Dom gespielt wird.

domradio.de: Wenn man die Bezeichnung "Komponist" hört, dann denkt man vielleicht an jemanden, der Musik in seinem Kopf hört und dann aufschreibt. Wie spielt sich ein solcher Kompositionsprozess tatsächlich ab? 

Plate: Das ist, glaube ich, die schwierigste Frage von allen. Denn es fließt so vieles  ein, dass man vielleicht gar nicht unbedingt alles benennen kann. Auf jeden Fall ist es eine unheimlich große Arbeit, bei der man sehr diszipliniert sein muss. Im Prinzip kann das jeder mal ausprobieren, der versucht, einen Text zu vertonen und eine Melodie, vielleicht eine zweite Stimme zu finden. Bei mir ist das ein Prozess aus unheimlich vielen Dingen. Ich spiele etwas auf der Gitarre, auf dem Klavier, singe vielleicht mal die eine oder andere Stelle, gebe Sachen in den Computer ein, höre es mir dann nochmal an und habe überall im Zimmer kleine Fragmente mit Notenzetteln rumliegen, wo irgendetwas draufsteht. Und irgendwann geht es dann daran, Ordnung zu machen, alles zu bündeln, in die Partitur zu schreiben und so eben eine möglichst sorgfältige Partitur entstehen zu lassen.

domradio.de: Sie sind eigentlich ausgebildeter Jazzmusiker. Welche Rolle spielt das nun, wenn Sie "klassisch" komponieren?

Plate: Also, die Herangehensweise ist natürlich für so ein großes Ensemble eine ganz andere. Es gibt sehr viel weniger – wenn nicht sogar gar keinen – Improvisations-Spielraum. Bei mir ist wirklich alles exakt festgelegt, so wie das eben in der so genannten "klassischen" Musik gemacht wird. Und es ist häufig auch abhängig von der Größe des Ensembles, eher ein gemeinschaftlicher Prozess. Man spricht darüber, ob man vielleicht das Stück an der Stelle etwas schneller spielen soll oder in einer anderen Tonart. Hier in dem Fall, wenn über zweihundert Leute miteinander musizieren, muss das absolut exakt festgelegt sein. In einer Probe darf es keinen Grund für zu viele Fragen geben. Dafür ist einfach die Zeit nicht da. 

domradio.de: „Ich schreibe doch keine Musik für Wissenschaftler“, schreiben Sie in dem Begleittext zum Konzert – für wen schreiben Sie Musik?

Plate (lacht): Stimmt, das habe ich geschrieben und auch die Antwort nicht gegeben, weil ich es mich nämlich selbst  gefragt habe. Aber danach habe ich mich dann nochmal gefragt und kann zumindest sagen: Gewidmet ist das Stück auf jeden Fall dem Domchor. In erster Linie habe ich es für ihn geschrieben. Natürlich schreibe ich auch für mich Musik. Es muss mir gefallen. Und fürs Publikum – vor allem für die Leute, die die Ohren spitzen, ganz genau zuhören und dann hoffentlich die Musik genießen können.

domradio.de: Sie stellen selbst die Frage: was ist heute schon "zeitgemäß"? Moderne Musik hat es bis heute bei der breiten Masse des Publikums nicht gerade leicht. Wie kann man modern schreiben und dennoch nicht die Zuhörer verlieren? 

Plate:  Also, man kann natürlich nicht aus seiner Haut. Man kennt viel Musik, auch zeitgenössische. Ich gehe gerne in Uraufführungen. Aber beim Komponieren versuche ich, das auszublenden und auf keinen Fall etwas zu schreiben, nur weil es jetzt vielleicht noch nicht da war oder weil es unbedingt zeitgemäß sein muss. Es gibt viele gute, neue Ideen, aber manche Ideen, die neu sind, sind auch nicht so gut. Ich versuche, mich wirklich vom Ohr leiten zu lassen und den Klang umzusetzen, den ich im Kopf habe, und nicht daran zu denken, was die anderen eigentlich machen.

domradio.de: Gürzenich-Kapellmeister Markus Stenz hat viel Erfahrung mit Uraufführungen – überlassen Sie ihm viel Spielraum bei der Interpretation Ihres Werkes oder haben Sie eine klare Vorstellung, wie die Komposition zu klingen hat und versuchen die in den Proben durchzusetzen?  

Plate: Ich bin wirklich sehr dankbar, dass Markus Stenz das leitet. Ich habe ihn ja erst jetzt kennengelernt. Es ist ein Phänomen, ihn in den Proben zu erleben – sowohl in den Orchesterproben als auch in der Chorprobe, die ich letzten Freitag gehört habe. Aber das Gleiche gilt im Übrigen für Domkapellmeister Eberhard Metternich, der ja den Chor einstudiert. Was den Spielraum der Interpretation angeht, so habe ich natürlich, wie gesagt,  versucht, die Partitur so exakt wie möglich zu schreiben und möglichst wenige Fragen offen zu lassen. Hundertprozentig gelingt das nie. Es gibt auch ein paar Stellen, wo ich bewusst nicht zu genau geschrieben habe. Also, es geht wirklich um solche Sachen wie: Wie stark ist das crescendo, wie schnell ist das accelerando an dieser Stelle? Das sind solche Sachen, die in der Probe schnell besprochen werden. Markus Stenz habe ich so erlebt, dass er dann einen Vorschlag macht. Er hat so unheimlich viel Erfahrung, dass es eigentlich immer Hand und Fuß hat, was er sagt. Ich war wirklich sehr beeindruckt von ihm.

domradio.de: Wenn das Konzert am Freitag dann vorbei ist. Was wünschen Sie den Menschen, die Ihr Werk uraufgeführt haben oder die es als Zuhörer das erste Mal gehört haben?

Plate: Also, ich wünsche natürlich allen Menschen, dass sie es genießen können, sie die Ohren aufsperren, also ganz genau zuhören, vielleicht einiges darin entdecken und viel Freude haben. Das Gleiche wünsche ich allen Beteiligten – dem Chor, den Musikern und den beiden Leitern Markus Stenz und Eberhard Metternich – und dass alles so funktioniert, wie es besprochen wurde. Jeder Einzelne versucht natürlich, keinen Fehler zu machen, so ausdrucksvoll wie möglich zu spielen und zu singen. Dass das alles klappt, wünsche ich dem Publikum und mir selbst auch.

Das Interview führte Mathias Peter.

 

 

Informationen:

Freitag, 11. Oktober 2013 | 20 Uhr | Hohe Domkirche

FESTKONZERT 150 JAHRE KÖLNER DOMCHOR

Igor Stravinsky: Psalmensinfonie 
David Plate: Sturmwind, der sein Wort vollzieht (Auftragskomposition der Kölner Dommusik - Uraufführung) 
Leonard Bernstein: Chichester Psalms

Sebastian Kellner (Knabensopran)
Kölner Domchor | Gürzenich-Orchester Köln 

Leitung: Markus Stenz

Eintritt frei

Eine gemeinsame Veranstaltung von Gürzenich-Orchester Köln und Kölner Dommusik

 

 


Quelle:
DR