Finales Urteil im Missbrauchsfall von Kardinal Pell am Dienstag

Weitere Haft oder Freispruch?

Er ist der höchste katholische Vertreter, der jemals wegen Missbrauch verurteilt wurde. Aber der australische Kardinal George Pell bestand auch stets auf seiner Unschuld. Am Dienstag geht es für ihn einmal mehr um alles.

Autor/in:
Michael Lenz
Kardinal George Pell / © Asanka Brendon Ratnayake (dpa)
Kardinal George Pell / © Asanka Brendon Ratnayake ( dpa )

An diesem Dienstag fällt im Fall des wegen Kindesmissbrauchs verurteilten australischen Kardinals George Pell das endgültige Urteil. Das Oberste Gericht in Brisbane entscheidet darüber, ob es bei der sechsjährigen Haftstrafe gegen den 78-Jährigen bleibt oder ob Pell aus Mangel an Beweisen freigesprochen wird. Vor knapp zwei Jahren war der frühere hochrangige Mitarbeiter von Papst Franziskus wegen sexuellen Kindesmissbrauchs in fünf Fällen vor Gericht gestellt worden.

Australiens damals hochrangigster katholischer Kirchenvertreter wurde von der Jury im Dezember 2018 für schuldig befunden, 1996 als Erzbischof von Melbourne nach einem Hochamt in der Kathedrale zwei 13 Jahre alte Chorknaben sexuell missbraucht zu haben. Einen soll er zum Oralverkehr genötigt, den anderen sexuell belästigt haben. Die Jury sah es auch als erwiesen an, dass sich Pell wenige Wochen später nochmals an einem der Jungen vergriff. Im Februar 2019 wurde der Kardinal zu sechs Jahren Haft verurteilt, die nach drei Jahren und acht Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Letzte Instanz

Nachdem zwei der drei Richter eines Berufungsgerichts im August 2019 die Verurteilung Pells bestätigten, ist das Verfahren vor dem High Court die letzte Chance des 78-jährigen auf ein Leben in Freiheit. Während einer zweitägigen Anhörung vor der letzten Instanz im März argumentierte Pells Anwalt Bret Walker, die Jury im Prozess gegen seinen Mandanten habe ihren Schuldspruch ausschließlich auf die Aussage des Opfers gestützt und entlastende Zeugenaussagen unbeachtet gelassen. Zudem sei das Abspielen des Videos mit der Aussage des Opfers im Berufungsverfahren juristisch nicht zulässig gewesen.

Der Mann, der im Prozess angab, von Pell vor mehr als 20 Jahren in dessen Zeit als Erzbischof in der Sakristei der St. Patrick's-Kathedrale in Melbourne sexuell missbraucht worden zu sein, hatte seine Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht. Das zweite mutmaßliche Opfer war kurz vor dem Prozess an einer Überdosis Heroin gestorben.

Ausgang des Verfahrens ungewiss

Rechtsexperten und Medien in Australien wagen keine Prognosen über den Ausgang des Verfahrens, obgleich Beobachter nach der zweitägigen Anhörung vor dem High Court dem Verteidigungsteam von Pell gute Noten ausstellten. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, dass die Richter entweder die Verurteilung aufheben oder aber die Berufung ablehnen und der Kardinal somit in Haft bleibt. Denkbar ist aber auch eine weitere Option: Das Gericht könnte nach Ansicht von Experten das Urteil gegen Pell bei einigen der fünf Fälle bestätigen und bei anderen kassieren - und das Verfahren womöglich zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

In jedem Fall wird die Bekanntgabe der Entscheidung am Dienstagmorgen australischer Zeit durch Richterin Susan Kiefel nur wenige Minuten dauern. Wegen des Versammlungsverbots infolge der Corona-Pandemie werden nur eine Handvoll Personen bei der Urteilsverkündung im Saal des Gerichts in Brisbane anwesend sein.

Neue Vorwürfe

Unterdessen erhoben in der vergangenen Woche zwei Männer neue Missbrauchsvorwürfe gegen Pell. In einem ausführlichen Interview mit dem australischen Sender ABC, gaben sie an, von ihm in einem Waisenhaus in Ballarat beziehungsweise in einem Schwimmbad sexuell missbraucht worden zu sein. Pell war in den 1970er Jahren als junger Priester im Bistum Ballarat tätig, das sich bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals durch die staatliche Missbrauchskommission als eines der Zentren von Missbrauch und Vertuschung herausgestellt hatte.

Der australische Kurienkardinal Pell war seit 2014 Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats und damit eine Art "Finanzminister" des Papstes. Wegen der Strafrechtsprozesse gegen ihn war er bereits seit Juni 2017 von Papst Franziskus als Finanzchef beurlaubt. Vor seiner Zeit im Vatikan war Pell Erzbischof von Melbourne (1996-2001) und Sydney (2001-2014). Von 1990 bis 2000 war er Mitglied der Römischen Glaubenskongregation.


Quelle:
KNA