Weihbischof Losinger ordnet Embryonen-Urteil in Alabama ein

"Urteil bringt ein Dilemma zur Sprache"

Ab wann existiert ein Mensch? Ein Urteil aus dem US-Bundesstaat Alabama sorgt nun für Diskussionen. Den Richtern zufolge gelten eingefrorene Embryonen in Fortpflanzungskliniken als Kinder mit allen Rechten. Was folgt daraus?

Mit der Bioethik-Reform in Frankreich soll unter anderem künstliche Befruchtung für lesbische Paare erlaubt werden / © Natalia Deriabina (shutterstock)
Mit der Bioethik-Reform in Frankreich soll unter anderem künstliche Befruchtung für lesbische Paare erlaubt werden / © Natalia Deriabina ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des US-Bundesstaates Alabama, dass Embryonen als Kinder gelten? Hilft das dem Schutz des Lebens? 

Anton Losinger / © Annette Zoepf (epd)
Anton Losinger / © Annette Zoepf ( epd )

Weihbischof Anton Losinger (Weihbischof im Bistum Augsburg und Mitglied der Kommission für Wissenschaft und Kultur bei der Deutschen Bischofskonferenz sowie ehemaliges Mitglied im Deutschen Ethikrat): Das Urteil von Alabama bringt im Grunde ein Dilemma zur Sprache. Auf der einen Seite ist da die ganz neue biomedizinische Möglichkeit, in Kinderwunschkliniken Eltern zu Kindern zu verhelfen, bei denen es auf natürlichem Wege nicht klappen würde. 

Auf der anderen Seite steht die riesige Dimension der Verantwortung der biomedizinischen Forschung für einen Menschen am Anfang seiner Existenz und in seinem Werden. Damit geht es um die Frage, was ein Embryo ist. Wir würden sagen – und das bestätigt uns vor allem die Naturwissenschaft auf Schritt und Tritt – dass mit dem ersten Augenblick der Zeugung, also der Verbindung der DNA-Struktur von Mann und Frau, ein menschlicher Embryo ein embryonaler Mensch ist. 

Alle anderen Entstehungspunkte, die man für das Werden des menschlichen Lebens definieren würde, sind eigentlich abgeleitete Zeitpunkte, zum Beispiel die Einnistung in den Mutterleib oder die Messung der ersten Gehirnströme oder die Geburt. 

Aus biomedizinischer, aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es keinen logischeren Bezugspunkt für die Definition des Zeitpunkts der Entstehung des menschlichen Lebens als diesen Punkt der Verbindung der Genetik von Mann und Frau.

Deswegen hat das Alabama-Urteil eine so starke Signalwirkung, weil es auf diese Verantwortung der Menschen für diesen "in vitro", also künstlich generierten Embryo zeigt. 

DOMRADIO.DE: Der Richter Tom Parker argumentiert durchaus christlich. Im Fall der In-Vitro-Fertilisation sagt er, Leben beginne bei der Befruchtung. Also seien gefrorene Embryos per Gesetz geschützt. Ist es eigentlich problematisch, wenn sich ein weltliches Gesetz auf einen religiösen Hintergrund stützt? 

Losinger: In diesem Fall hat der Richter tatsächlich Bezug auf einen christlichen Kontext genommen. Er hat sogar die Schöpfungsgeschichte zitiert. Darüber hinaus müssen wir aber ganz nüchtern realisieren, dass es die Naturwissenschaft, die moderne Biomedizin ist, die diesen Zeitpunkt für die Definition der Entstehung menschlichen Lebens definiert und damit auch die Verantwortung, die ab diesem Zeitpunkt beginnt. 

Interessant ist, dass der Gesetzgeber auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sehr deutlich auf diese gestiegene Verantwortung der Wissenschaft bei dem System In-Vitro-Fertilisation aufmerksam macht, wenn wir das Reproduktionsmedizin-Gesetz vor Augen haben.

Weihbischof Anton Losinger

"Ein solcher Behälter kryokonservierter (tiefgefrorener) Embryonen ist etwas anderes als eine Kaffeetasse, die zu Bruch geht."

DOMRADIO.DE: Kritiker des Urteils befürchten nun das Ende der Kinderwunschkliniken. Denn wenn ein Embryo als Mensch gilt, darf man ihn dann überhaupt einfrieren, zum Beispiel für eine spätere Einpflanzung? Dann stellt sich die Frage, was mit Embryonen passiert, die "überflüssig" sind? Wie sehen Sie die Problematik im Umgang mit den Embryonen, wenn man ihnen jetzt volle Rechte zuspricht? 

Losinger: Die Kinderwunschkliniken, die es heute zuhauf gibt, sind in der Tat ein wirklicher Segen für die Menschen, die auf anderem Weg kein Kind bekommen können. Zugleich ist aber in diesem Zug der modernen Reproduktionsmedizin, der In-Vitro-Fertilisation, der extrakorporalen Befruchtung eine dramatische Verantwortung entstanden.

Künstliche Befruchtung / © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild (dpa)
Künstliche Befruchtung / © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild ( dpa )

Denn dass in diesem Milliardengeschäft der Kinderwunschkliniken natürlich auch manches Mal Probleme auftauchen, die an das Leben eines solchen Embryos gehen, ist klar.

Ein Thema ist, dass etwa ein solcher Behälter mit tiefgefrorenen Embryonen kaputtgeht oder aus Unachtsamkeit zerstört wird. Dann bedeutet das, dass menschliche Embryonen zerstört werden.

Hier muss man ganz nüchtern sagen, dass ein solcher Behälter kryokonservierter (tiefgefrorener, Anm. d. Red.) Embryonen ist etwas anderes ist als eine Kaffeetasse, die zu Bruch geht. 

Zudem stellt das Embryonenschutzgesetz in der Bundesrepublik die berühmte Dreierregel auf. Das heißt, es dürfen pro Zyklus nicht mehr Embryonen hergestellt werden, als für die Einpflanzung in den Mutterleib notwendig sind. 

Aufbewahrung tiefgefrorener Embryonen / © Ekaterina Georgievskaia (shutterstock)
Aufbewahrung tiefgefrorener Embryonen / © Ekaterina Georgievskaia ( shutterstock )

Dieses Gesetz ist gewissermaßen eine Fiktion, weil inzwischen stapelweise sogenannte überzählige Embryonen entstanden sind. In den USA geht man davon aus, dass es mindestens eine vierstellige Zahl von sogenannten "Snowflakes" ist, also Schneeflocken genannte, tiefgefrorene Embryonen in irgendwelchen Spezialbehältern von Spezialkliniken, von denen eigentlich kein Mensch weiß, was man damit anfangen soll. 

Denn wenn die Auffassung der Naturwissenschaft, der Biomedizin und gleichzeitig die Auffassung der Bioethik der Kirche gilt, dass vom ersten Augenblick an ein Mensch entstanden ist, der ein Mensch im Werden ist, dann muss diesem Menschen logischerweise so etwas wie Würde und wie Lebensrechtsschutz zukommen. 

Weihbischof Anton Losinger

"Niemals dürfen Menschen in ihrer Würde und ihrem Lebensrecht tangiert werden, um für andere Menschen utilitaristisch betrachtet einen Nutzen zu erzeugen."

DOMRADIO.DE: Es existiert auch noch der Umstand, dass Embryonen zu Forschungszwecken verwendet werden. Da könnte man argumentieren, dass die Embryonen doch keine Gefühle haben. Mit dieser Forschung könnte Menschen geholfen werden. Und wenn man darauf verzichtet, Embryonen im Labor "herzustellen", würden viele Kinder gar nicht entstehen und anderen könnte ohne Forschung nicht geholfen werden. Kann man dieses ethische Dilemma irgendwie auflösen? 

Losinger: Dieses Dilemma und auch die Gefahr sind ganz klar auf dem Radarschirm des Gesetzgebers, auch in der Bundesrepublik. Das Embryonenschutzgesetz zum Beispiel verbietet eindeutig Embryonen verbrauchende Forschung. Dazu gehört zum Beispiel reproduktives oder medizinisches Klonen und damit etwa die Herstellung von Substrat für die Generierung von embryonalen Stammzellen, die man dann etwa für medizinische Anwendungen benutzen könnte. 

Dieser Gedanke ist natürlich mehr als nur ein Dilemma. Er ist eine Katastrophe, wenn man sich einen solchen utilitaristischen Ethikansatz denkt, bei dem menschliche Embryonen als Substrat für die Heilung anderer Menschen verwendet werden.

Das dürfte ein Riesenproblem auch für denjenigen sein, der mit Embryonenforschung etwas lockerer umgeht. Niemals dürfen Menschen in ihrer Würde und ihrem Lebensrecht tangiert werden, um für andere Menschen utilitaristisch betrachtet einen Nutzen zu erzeugen. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Quelle:
DR