Weihbischof Jaschke zur Europarede von Altkanzler Schmidt

"Europa ist die einzige Chance für uns!"

In seiner vielbeachteten Europa-Rede hat Alt-Kanzler Helmut Schmidt am Sonntag davor gewarnt, außenpolitische Fehler und die wirtschaftliche Stärke Deutschlands lösten in der EU Unbehagen und politische Besorgnis aus. Der Schmidt-Vertraute Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke pflichtet dem Altkanzler im domradio.de-Interview bei: Die Rede war "bitter notwendig".

Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke (KNA)
Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke / ( KNA )

domradio.de: Herr Weihbischof, wie haben Sie die Rede Schmidts erlebt?

Weihbischof Jaschke: Ich habe ihm nicht nur gerne, sondern auch mit ganz großem Verständnis zugehört. So etwas ist bitter notwendig! Denn wenn Politik nur in den Händen von Machern ist, ohne dass die großen Ideen und Gefühle eine Rolle spielen, dann schadet es der Politik! Helmut Schmidt ist ja ein Elder Statesman jenseits von Gut und Böse, wie er selber gesagt hat. Ich denke aber auch, seine Partei sollte sich diese Rede nicht auf IHRE Fahnen schreiben.



Die Deutschen haben natürlich mit ihrem Erbe zu leben, und das Erbe besteht auch darin, dass wir sehr stark und mittendrin sind in Europa, wirtschaftlich und demographisch. Deswegen darf man bei kleineren Ländern nicht das Gefühl verstärken: `Vorsicht vor den Deutschen, die wollen über uns herrschen`.



domradio.de: Meinen Sie, Deutschland ist gut damit beraten, auf Europa zu setzen?

Weihbischof Jaschke: Unbedingt. Europa ist die einzige Chance für uns! Wir haben doch gesehen, wie kompliziert das Werden des deutschen Nationalstolzes war, und in welche Verirrungen wir dann geraten. Wir brauchen eine Vernetzung mit Vertrauen und großen Ideen, die uns auch wirtschaftlich gut tut und die uns auch in der Welt ein gutes Standing gibt, gemeinsam mit den Polen, Franzosen, Engländer, Italienern. Die großen Europäer De Gaulle, Adenauer, Schumann, Mitterand und Kohl haben diese Idee immer auch nicht nur in ihren Herzen gehabt, sondern auch beseelt in der Politik Ausdruck gegeben.



domradio.de: Es mag ja so sein, dass dieser Anspruch idealistisch ist. Etwas polemisch gefragt: Diejenigen Menschen in Deutschland, die für Niedriglöhne schuften und die dann mit ihren Steuern griechische Rentner finanzieren, meinen Sie, dass die auch so viel Idealismus haben?

Weihbischof Jaschke: Natürlich muss es einen gerechten Ausgleich geben, das ist doch völlig klar! Aber wenn man bei uns diese Gefühlslage der Deutschen als Zahlmeister erweckt, die für die Faulen schuften, die uns belügen und betrügen, das ist ein Ungeist. Der tut uns allen nicht gut. Aber selbstverständlich braucht es eine klare Sparpolitik, das ist völlig klar. Die Stabilitätskriterien für den Euro müssen natürlich beachtet werden. Aber Deutschland sollte nicht so tun, als wüssten wir alles besser. Wenn unsere Politker dann lautstark an die Öffentlichkeit treten und behaupten, wir würden niemals einer Verteilung der Schulden auf alle zustimmen, dann weckt das ungute Gefühle.



domradio.de: Deutschland müsse mit seiner Geschichte leben, so der Altkanzler. Holocaust, Krieg und deutsche Besatzung könnten nicht vergessen werden. Meinen Sie, dass es nötig war, den Deutschen das nochmal in Erinnerung zu rufen?

Weihbischof Jaschke: Wenn ein alter Staatsmann Revue passieren lässt, was die Geschichte alles mit sich gebracht hat, dann darf und muss er so etwas benennen. Aber wir sollten uns nicht immer wieder neu in einer Kollektivschuldmentalität bestärken, das wäre nicht gut. Aber wenn jetzt heißt, in Europa werde wieder deutsch gesprochen, dann wecken  solche forschen Töne genau das entgegengesetzte Gefühl bei anderen Länden. Deshalb tut es uns gut, zurückzuschauen, bescheiden zu sein. Wir wissen, wer wir sind, und wir sollten eigentlich auch eine normale Gefühlslage haben in unserem Lande. Und nicht immer von einem Extrem ins andere fallen wollen.



domradio.de: Wie historisch bewerten Sie diese Rede?

Weihbischof Jaschke: Ich fand, dass sie bitter notwendig ist und ich hoffe, dass sie Gehör in unserem Land findet, auch über die Grenzen hinweg. So eine Rede tut gut. Ich denke, auch Helmut Kohl hätte sie halten können, wenn er gesundheitlich besser drauf wäre. Ich denke, wir brauchen solche Worte. Aber dann brauchen wir auch die Politik. Sie muss entschieden und klar sein, aber ohne große Töne, dass wir meinen, wir wissen es besser.



Das Interview führte Christian Schlegel.



Hintergrund

SPD-Alt-Kanzler Helmut Schmidt hat auf dem Berliner SPD-Parteitag am Sonntag in einer begeistert aufgenommenen Rede eindringlich vor einer Führungsrolle Deutschlands in Europa gewarnt. Außenpolitische Fehler und die wirtschaftliche Stärke Deutschlands lösten in der EU "Unbehagen und politische Besorgnis" aus, so Schmidt. Das Vertrauen in die Verlässlichkeit der deutschen Politik sei beschädigt. "Wenn wir uns verführen ließen, eine Führungsrolle in Europa zu beanspruchen, so würden sich unsere Nachbarn zunehmend wirksam dagegen wehren", sagte Schmidt und kritisierte "schädliche deutschnationale Kraftmeierei". Es liege im "strategischen Interesse" Deutschlands, nicht wieder in die Isolation zu geraten.



Zugleich wies Schmidt die These einer "angeblichen Krise des Euros" als "leichtfertiges Geschwätz" von Journalisten und Politikern zurück. Erforderlich sei vielmehr ein "mitfühlendes Herz" für Griechenland. Eine gemeinsame Verschuldung der EU sei langfristig unvermeidlich.