Was die kirchliche Kampagne zum Wahljahr bewirken soll

"Wir brauchen Zusammenhalt!"

Vor den Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen rufen die evangelische und die katholische Kirche in Sachsen gemeinsam dazu auf, sich an demokratischen Werten zu orientieren. Bischof Heinrich Timmerevers setzt auf mehr Miteinander.

Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen / © Dominik Wolf (KNA)
Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen / © Dominik Wolf ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie besorgt sind Sie, wenn Sie an den sich abzeichnenden Rechtsruck bei den bevorstehenden Wahlen denken? 

Heinrich Timmerevers (Bischof Dresden-Meißen): Seit Monaten schon zeichnet sich eine tiefe Spaltung der Gesellschaft ab. Das merke ich in den vielen Gesprächen, die ich in unseren Gemeinden führe; das zeigt sich auch im ganzen Spektrum hier in Dresden und in Sachsen. Dagegen brauchen wir ein neues Miteinander, ein neues Zusammenstehen. 

Bischof Heinrich Timmerevers / © Dominik Wolf (KNA)
Bischof Heinrich Timmerevers / © Dominik Wolf ( KNA )

Gemeinsam mit dem evangelischen Landesbischof, mit dem ich in sehr gutem Austausch stehe, haben wir überlegt, dass wir als evangelische und katholische Kirche einen Beitrag leisten sollten, um unsere Gesellschaft zusammenhalten.  Wir haben uns gefragt, was wir tun können, um ein neues Miteinander zu motivieren und Menschen dabei zu helfen, dass sie zur Wahl gehen und dann eine klare Entscheidung treffen können. 

DOMRADIO.DE: Das versuchen Sie jetzt mit Ihrer ökumenischen Kampagne zum Wahljahr 2024 unter dem Motto "Für alle. Mit Herz und Verstand". Was genau haben Sie sich vorgenommen? 

Timmerevers: Zum Motto kann ich sagen, dass wir nicht immer nur gegen etwas sein und den Zeigefinger heben wollten. Wir wollen inhaltlich etwas nach vorne bringen und einige Punkte benennen, die in unseren Augen für die Gesellschaft von Bedeutung sind. 

Wir haben zum Beispiel eine Serie von Plakaten entworfen, die man abrufen, aushängen und in verschiedenster Weise verwenden kann. Das Wort „Wählen“ steht da im Mittelpunkt und damit verbunden die drei wichtigen Punkte "Menschenwürde", "Nächstenliebe" und "Zusammenhalt". Diese Begriffe sind in unseren Augen von zentraler Bedeutung für die Gesellschaft, damit Menschen gut miteinander leben und in die Zukunft schauen können. 

Landtagswahlen in Sachsen und Brandenbrug / © Christoph Soeder (dpa)
Landtagswahlen in Sachsen und Brandenbrug / © Christoph Soeder ( dpa )

Diese Werte sind die Basis dafür, dass unsere Demokratie und unsere Freiheit Bestand haben. Schließlich sind Demokratie und Freiheit gerade hier in den neuen Bundesländern erlitten und mühsam erkämpft worden. Von daher setzen wir jetzt inhaltliche Orientierungspunkte. Das Stichwort Menschenwürde besagt, dass jeder Mensch eine unantastbare Würde hat. Eine Gemeinschaft kann nur funktionieren, wenn es ein Miteinander gibt, das von Nächstenliebe geprägt ist. Da muss Vergebung Raum finden. Aber da muss auch Bereitschaft sein, einander zu dienen und nicht nur sich für selbst Dinge herauszunehmen. 

Gemeinschaft lebt immer von Gegenseitigkeit. Wir brauchen Zusammenhalt, um den Bruch, der sich anbahnt, zu überwinden. Wir brauchen den Zusammenhalt für eine Gemeinschaft, in der alle Platz finden, egal woher sie kommen, wer sie sind, was sie für Auffassungen haben. Menschenwürde gilt für alle, und nicht etwa für bestimmte Gruppen weniger und für andere mehr. Das ist unsere Botschaft, die wir auch den Wählerinnen und Wählern als Kriterium an die Hand geben. 

DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit den anderen katholischen Bischöfen haben Sie auf Ihrer Frühjahrsvollversammlung klar gesagt, dass die AfD für Christen nicht wählbar ist. Ist Ihre ökumenische Initiative in Sachsen jetzt auch ein Versuch, das an der Basis zu vermitteln? 

Timmerevers:  Tatsächlich lief beides parallel. Schon vor der Verabschiedung des Papiers der Deutschen Bischofskonferenz waren wir hier in Sachsen schon mit der Landeskirche, dem Landesbischof und dem Bistum im Gespräch. Das Thema begleitet uns bereits seit längerem und damit die Frage, was wir als Kirchen tun können in dieser sehr diffusen und die Menschen stark verunsichernden Situation. 

Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechtsextremismus stehen auf dem Kirchplatz in Jena und halten u.a. Schilder gegen die AfD hoch. Mit der Demonstration wollen die Teilnehmer ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen. / © Bodo Schackow (dpa)
Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechtsextremismus stehen auf dem Kirchplatz in Jena und halten u.a. Schilder gegen die AfD hoch. Mit der Demonstration wollen die Teilnehmer ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen. / © Bodo Schackow ( dpa )

Wir haben gleich am Anfang gemerkt, dass es gut ist, uns zu positionieren. Denn dann können sich auch andere in unseren Gemeinden positionieren, zu Wort melden und vor allem in einen Dialog miteinander treten. Denn diese Tendenz zum Rechtsextremismus vollzieht sich nicht irgendwo, sondern wir merken die Spaltung der Gesellschaft auch in unseren Kirchengemeinden. Schließlich sind wir kein politisch freier Raum, sondern das zeichnet sich auch in unseren Kirchen ab, mit einem Pro und einem Contra. Das führt manchmal zu starken Zerwürfnissen, das ist manchmal unüberbrückbar. 

Da wollten wir noch einmal grundsätzlich die Frage stellen, was unsere Gesellschaft überhaupt zusammenhält. Natürlich kam uns das Schreiben der katholischen Bischöfe dabei zur Hilfe. Außerdem hatten wir ostdeutschen Bischöfe uns schon im Januar deutlich positioniert und gesagt, dass wir die AfD nicht für wählbar halten. 

DOMRADIO.DE: Beim Umgang mit potenziellen AfD-Wählern wird immer wieder auf die Verunsicherung der Menschen verwiesen. Ganz offensichtlich fühlen sich viele permanent übersehen und übergangen. Was kann die Kirche tun, um mit verunsicherten Leuten ins Gespräch zu kommen? 

Timmerevers: Wir müssen Gesprächsformate suchen. Als ich vor kurzem in einer Gemeinde zur Visitation war, gab es einen Kneipenabend in einer Brauerei, sehr gut moderiert von einer Radiomoderatorin. Da waren die Gemeindemitglieder eingeladen und da haben wir all diese Themen besprochen. 

Schon vor einigen Jahren hat die Katholische Akademie in unserem Bistum das so genannte Sachsensofa ins Leben gerufen.  Damit ziehen wir in der Region übers Land und eröffnen Dialoge, indem wir ganz unterschiedliche Personen aufs Sachsensofa holen. Das ist oft kontrovers, aber damit stellen wir uns eben den Themen, Sorgen und Fragen der Menschen vor Ort. Wobei nicht nur Leute aus der Kirche teilnehmen, sondern die Diskussion offen für alle ist. 

Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen / © Martin Jehnichen (KNA)
Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen / © Martin Jehnichen ( KNA )

Mit diesem Dialogformat haben wir schon viele Erfahrungen gemacht. Es ist ein wichtiger Beitrag, das Gespräch zu suchen und sich möglicherweise auch zu verständigen auf das, was unverzichtbar ist für unsere Freiheit und unsere Demokratie. 

Besonders wichtig ist außerdem, dass die Gemeinden vor Ort in den Gremien und miteinander ins Gespräch kommen. Dazu können wir nur anregen und ermutigen. Unsere Kampagne zum Wahljahr soll mit den Plakaten und allem, was dazu gehört, Anstoß sein, Gesprächsfelder zu eröffnen. 

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten eng mit der evangelischen Landeskirche zusammen. Wie wichtig ist es, dass die beiden großen Kirchen in diesen Fragen an einem Strang ziehen? 

Timmerevers: Das wird hier in Sachsen sehr wohl wahrgenommen. Wenn ich auf unser Bundesland blicke, machen wir als Katholiken gerade einmal knapp 3,5 Prozent der Bevölkerung aus, sind also eine wirklich kleine Gruppe.  Als Christen zusammen kommen wir auf etwa 20 Prozent, sind also immer noch eine kleine Gemeinschaft. 

Im Zusammengehen haben wir aber natürlich mehr Gewicht. Die Reaktionen der Leute zeigen uns, dass die Stimme der Kirchen sehr wohl gehört wird. Wir bekommen viel Zustimmung zu unserem Engagement; es gibt aber auch kritische Anfragen, mit denen wir uns redlich und fair auseinandersetzen können und müssen. Bei anderen Rückmeldungen ist eine solches vertiefte Auseinandersetzung nicht immer einfach. 

Wir haben es also mit der ganzen Palette unterschiedlicher Reaktionen zu tun, was auch die Wirklichkeit widerspiegelt, in der wir hier leben. Wir stellen uns dem und sind uns dabei bewusst, dass wir nur einen kleinen Beitrag zum Gesamtbild der Situation und der Diskussion geben können. 

DOMRADIO.DE: Kritiker sagen, die katholische Kirche habe selbst ein Demokratieproblem und eigne sich daher nicht wirklich als Verteidigerin demokratischer Werte. Was entgegnen Sie? 

Timmerevers: Dass die katholische Kirche eine andere Struktur hat, ist vollkommen klar. Wir sind aber nicht nur Teil der katholischen Kirche, sondern wie alle anderen sind auch wir Bürgerinnen und Bürger eines Landes. Wir wollen uns nicht in irgendwelche Nischen verkriechen, sondern dazu beitragen, dass die Demokratie Bestand hat, der so hart errungen wurde. 

Ein Schild mit der Aufschrift Ich liebe Demokratie bei einer Demonstration gegen rechts am 3. Februar 2024 in Augsburg. / © Christopher Beschnitt (KNA)
Ein Schild mit der Aufschrift Ich liebe Demokratie bei einer Demonstration gegen rechts am 3. Februar 2024 in Augsburg. / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Natürlich haben wir als Kirchenleute einen anderen Hintergrund. Aber ich glaube, es wäre fatal, uns zurückzuziehen und nicht zum Thema zu Wort zu melden. Natürlich werden wir als katholische Kirche in all den synodalen Prozessen, die jetzt die angestoßen sind, neu lernen müssen, was es heißt, eine synodale Kirche zu werden. Das läuft nicht sofort auf ein demokratisches Miteinander in der Form hinaus, wie wir das vom Staatlichen her kennen. 

Wir sind als Kirche etwas anderes als eine Staatengemeinschaft. Dennoch dürfen und sollen wir uns als Staatsbürgerinnen und -bürger einbringen. Wir sollen Gesellschaft mitgestalten. So wie es ja viele in unserem Land längst tun. 

DOMRADIO.DE: Wie bringen Sie Ihre Kampagne noch einmal kurz auf den Punkt?

Timmerevers: Wir möchten die Menschen in unserem Land ermutigen, auf das zu schauen, was uns als Gesellschaft zusammenhält. Wir möchten, dass die Menschen überlegen, was uns dahinführt, dass die Freiheit, die wir erworben haben und die Demokratie, die wir leben, auch künftig die Basis unseres Miteinanders sind. 

Wir möchten die Leute ermutigen, dass sie sich diesen Fundamenten einer solchen Gesellschaft, einer solchen Demokratie neu stellen und sagen: "Das ist wirklich schützenswert, auch für unsere Zukunft und für die Zukunft unserer Kinder und unserer Jugendlichen!" Dazu wollen wir anregen und ermutigen. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Völkischer Nationalismus und Christentum sind laut Bischofskonferenz unvereinbar

Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien, die gegen Migranten, Muslime oder Juden hetzen, sind nach Auffassung der katholischen Bischöfe für Christen nicht wählbar. Das geht aus einer am Donnerstag in Augsburg veröffentlichten Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz hervor. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert zentrale Passagen des Textes, der auch im Hinblick auf die anstehenden Wahlen im Jahr 2024 formuliert ist.

Hinweisschild zu einem Wahllokal / © Matthias Bein (dpa)
Hinweisschild zu einem Wahllokal / © Matthias Bein ( dpa )
Quelle:
DR