Was der Reformator Calvin mit dem Kapitalismus zu tun hat

"Wer Erfolg hat, ist von Gott auserwählt"

Der Name des Reformators Martin Luther ist untrennbar mit den Stichworten Ablasshandel und Rechtfertigungslehre verknüpft.

Autor/in:
Thomas Jansen
 (DR)

Auf seinen Widerpart Johannes Calvin hingegen folgt häufig ein Begriff, der mit Theologie nichts zu tun hat: "Kapitalismus". Was hat der Genfer Theologe mit freien Märkten, Welthandel und Geldanhäufungen zu tun? Die Verknüpfung geht auf ein berühmtes Buch des deutschen Soziologen Max Weber zurück: «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus», erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts. Darin stellt Weber die These auf, dass zwischen dem Kapitalismus und der calvinistischen Ausprägung des Protestantismus eine «innere Verwandtschaft» bestehe. Die reformierten Protestanten haben nach Ansicht des Wissenschaftlers eine «spezifische Neigung zum ökonomischen Rationalismus» und begünstigen so die Entwicklung des Kapitalismus. Grundlage für Webers These bildete die Beobachtung, dass sich der Kapitalismus in calvinistisch geprägten Ländern wie den Niederlanden, England und den USA besonders früh und erfolgreich entwickelte.

Weber führte diesen auffallenden Befund vor allem auf die calvinistische Lehre von der Gnadenwahl zurück. Diese besagt, dass Gott in einem unabänderlichen Ratschluss einige Menschen im Vorhinein zum ewigen Heil erwählt und andere zur ewigen Verdammnis bestimmt hat. Die Argumentation des Soziologen: Kirche und Sakramente hätten im Calvinismus durch die Lehre von der Gnadenwahl jegliche Bedeutung für das Heil der Menschen verloren. Dieser sei deshalb ganz auf sich allein gestellt.

Auf diese Weise, so Weber, leiste der Calvinismus einem Individualismus Vorschub. Die entscheidende Frage, die sich reformierte Christen stellten, laute nunmehr: Woran erkenne ich, ob ich zu den Verdammten oder Auserwählten gehöre? Die Antwort lieferte nach Darstellung des Soziologen allein der berufliche Erfolg. Nur ein zum ewigen Heil Auserwählter sei nach calvinistischer Auffassung in der Lage, sich auf diese Weise hervorzutun.

Die Kritik an Webers These ist so alt wie diese selbst. Zum Teil geht sie auf Verkürzungen und Vergröberungen zurück, die Calvin pauschal zum Ahnherren des Kapitalismus machen. Gegen eine solche Sichtweise wendet sich etwa der Historiker und Calvin-Biograph Volker Reinhardt im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Soziologe selbst hatte stets hervorgehoben, dass er keineswegs so weit gehen wolle, den Kapitalismus als ein direktes Ergebnis der Reformation zu bezeichnen.

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich im Vorfeld des derzeit laufenden Calvinjahres mit den Weberschen Ausführungen auseinandergesetzt, wie der für das Gedenkjahr zuständige Oberkirchenrat Vicco von Bülow erläutert. Man sei jedoch in der Vorbereitung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beobachtungen des deutschen Soziologen interessant, seine Schlussfolgerungen jedoch zu überspitzt seien. Von Bülow nennt als Beispiel den wirtschaftlichen Erfolg der Hugenotten, die aus Frankreich vertrieben und in Preußen aufgenommen wurden. «Ihr Wohlstand hatte nichts mit ihrer reformierten Konfession zu tun, sondern schlichtweg damit, dass sie technische Neuerungen aus Frankreich nach Preußen brachten.»