Was den Marienkäfer zum heiligen Insekt macht

Hungriger Himmelsbote

Im Tierreich wird der Marienkäfer von vielen gemieden, denn bei Gefahr scheidet er bitteres Blutsekret aus. Menschen dagegen verbinden mit dem Käfer seit jeher Glück.

Autor/in:
Carola Renzikowski
 (DR)

Auf Geburtstagskarten ist er präsent, es gibt ihn aus Schokolade oder als Kuscheltier. Ein Insekt mit echtem Kultstatus. "Der Cocinella septempunctata galt schon im alten Indien als heilig", erklärt Käferexperte Max Kühbandner von der Zoologischen Staatssammlung in München. Wegen der mystischen Zahl sieben und der roten Farbe als Symbol des Herzens wurde der Siebenpunkt in vielen Religionen verehrt. Auch in Europa. "Es gibt eine Marienkäfer-Plastik aus Mammut-Elfenbein aus der Dordogne in Frankreich, die wird auf 20.000 Jahre geschätzt", erzählt Kühbandner. "Die hatte dort wohl auch Symbol- oder Amulett-Charakter."

Volkstümliche Namen bezeugen, in welch himmlische Nähe das kleine Insekt nicht nur wegen seiner Flügel gehoben wurde: Schon die Germanen tauften das Tier "freya-fugle" - das Vögelein der Göttin Freya. In manchen Regionen heißt der Marienkäfer auch Herrgottskäfer, Gottesschäflein, Maria Mutter Herrgotts Chäferli, Muttergotteswürmchen oder Liebfrauenkäfer.

Die sanftmütigen Namen lenken indes davon ab, dass das Tier schon seine rund einmonatige Kindheit und Jugend als gieriger Serienkiller verbringt. Kurz vor ihrer Verpuppung vertilgt die Siebenpunkt-Larve im Akkord bis zu 40 Blattläuse pro Stunde - als Hauptspeise und Nachtisch in einem. "Die sind ganz wild auf den Blütenblatt-Honig, den sie mit den Schädlingen aufnehmen", weiß Kühbandner. "Die lutschen die Läuse richtig aus." Aber auch Mehltau, einen Pilz, der vor allem Ahornbäume befällt, finden die Larven lecker.

Freund der Bauern
Rund 40.000 Blattläuse verputzt der Siebenpunkt in seinem knapp einjährigen Leben. Als natürlicher Feind des Ungeziefers wurde der Marienkäfer zum Freund der Bauern. Sie betrachteten den eifrigen Gehilfen als Himmelsboten, als göttliches Geschenk oder eben als Beistand der Jungfrau Maria - was zu den vielen Namen geführt haben dürfte.

Auch im Büro des leidenschaftlichen Sammlers steht ein schwarz-gepunktetes Exemplar: mit Rollen statt Beinchen und einem Griff aus Metall zum Festhalten für wilde kleine Reiter. Auf jeden Fall sieht dieser Stoffkäfer netter aus als seine Verwandten aus nah und fern in den 7.000 flachen Schubladen im kühlen Magazin. Allein in einer davon reihen sich bis zu 300 konservierte "genadelte" Käfer nebeneinander auf kleinen Papierstreifen.

Rund 5.500 Marienkäfer-Arten gibt es weltweit, der Siebenpunkt - vor fünf Jahren übrigens zum deutschen Insekt des Jahres gekürt - ist einer der bekanntesten und häufigsten. Aber in den Schubladen finden sich auch Tiere mit zwei bis 24 Punkten, mit Streifen oder einem Kreuz auf dem Rücken. Sie alle wurden geschwefelt, das erhält zumindest etwas von der roten Farbe.

Einst exkommuniziert
Auch der asiatische Marienkäfer, größer und gefräßiger als der Siebenpunkt, ist vertreten. "Er ist vor etwa 15 Jahren wahrscheinlich aus einem Gewächshaus im Elsass ausgebüxt und hat sich seitdem deutlich vermehrt", sagt Kühbandner. Der Vielpunkt hat nicht so viele Fans. So bringt er mit seiner Vorliebe für Trauben die Winzer zur Verzweiflung. Weil der Käfer bei der Lese mit in die Gärung kommt, gerät auch sein bitteres Blut in den Wein.

Trotzdem dürfte dem asiatischen Marienkäfer das Schicksal erspart bleiben, das einen entfernten Vetter im 16. Jahrhundert ereilt haben soll, wie Kühbandner schmunzelnd berichtet: "Weil der Maikäfer sich trotz der Ermahnung eines Erzbischofs aus Lausanne nicht von den Äckern der Bauern zurückzog, wurde der Schädling dereinst exkommuniziert."