Warum Ursula Zednicek zum Helfen nach Lesbos gezogen ist

"Es ist einfach extrem bereichernd"

Ursula Zednicek lebt seit einem Jahr unweit eines Flüchtlingscamps auf Lesbos. Sie hat einen Verein gegründet, vor Ort ein Haus gemietet und bietet verschiedene Aktionen an. Im Interview erzählt sie, was sie motiviert.

Flüchtlinge am Strand von Lesbos / © Marko Drobnjakovic (KNA)
Flüchtlinge am Strand von Lesbos / © Marko Drobnjakovic ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie ist es denn zu Ihrer Entscheidung gekommen, nach Lesbos zu ziehen? 

Ursula Zednicek (Erste Vorsitzende des Vereins "Hoffnung leben e.V."): Das hat sich daraus entwickelt, dass die Flüchtlingskrise dort nie aufgehört hat. Im Jahr 2015 haben wir noch gedacht, dass das so ein Jahr dauert, vielleicht anderthalb, aber es hörte nie auf. Mein Plan war eigentlich halb hier, halb dort zu sein und auch in Deutschland mit Flüchtlingen zu arbeiten, zum Beispiel mit Aktivitäten, wo sich Deutsche und Flüchtlinge begegnen können. 

Ursula Zednicek / © privat
Ursula Zednicek / © privat

Aber dann kam Corona und in Deutschland war gar nichts möglich. Auf Lesbos hatte ich schon ein bisschen was laufen. Von daher war ich zunehmend auf Lesbos, denn da konnte ich aktiv sein.

Als wir vor einem Jahr das Haus gefunden haben, habe ich dann die Entscheidung getroffen, dass ich ganz nach Lesbos gehe. Dort bin ich jetzt seit einem Jahr. 

DOMRADIO.DE: Wo leben Sie denn jetzt genau?

Zednicek: In der Hauptstadt. Das Flüchtlingslager befindet sich ja nicht mehr in Moria. Nachdem es abgebrannt wurde, rutschte es näher an die Hauptstadt ran. Wir sind auf der anderen Seite der Stadt angesiedelt. Aber das Haus ist in der Nähe vom Flüchtlingslager, wobei unsere Gäste einen Transfer vom Flüchtlingslager und zurück bekommen, weil es nicht in Laufweite ist.

Ursula Zednicek

"Wir unterhalten uns viel darüber, wie das Leben in Europa so ist und welche Unterschiede und Möglichkeiten es für Frauen gibt."

DOMRADIO.DE: Was für eine Hilfe bieten Sie an?

Zednicek: Wir bieten vor allem Aktivitäten für Mädchen, Frauen und für Kinder an. Es ist uns sehr wichtig, dass wir mit den Frauen ins Gespräch kommen und ihnen nahebringen, was sie in Europa erwarten können. Wir unterhalten uns viel darüber, wie das Leben in Europa so ist und welche Unterschiede und Möglichkeiten es für Frauen gibt. 

Wir erklären auch die Pflichten und Rechte, die man hier in Europa hat, also auch zum Beispiel, dass die Religionen alle gleich behandelt werden und dass Kinder nicht verheiratet werden dürfen, wenn sie das nicht wollen.

Wir hören aber auch zu, was die Frauen uns zu sagen haben und wie sie ihr Leben verbracht haben, was ja durchaus bereichernd sein kann. 

DOMRADIO.DE: Wo kommen denn die meisten Menschen her? 

Zednicek: Der große Teil kommt immer noch aus Afghanistan. Es gibt nach wie vor einen kleinen Teil aus Syrien, jetzt wieder zunehmend Menschen aus Palästina. Dann gibt es viele afrikanische Menschen. Wir haben aber hauptsächlich Menschen aus Afghanistan bei uns. 

DOMRADIO.DE: Wie regeln Sie das sprachlich und wie läuft das konkret ab?

Zednicek: Die Frauen kommen in der Regel zu den Aktivitäten. Sie dürfen bei uns nähen oder stricken, sie können auch ihre Wäsche waschen oder einfach nur da sein und frühstücken, weil es immer zu wenig Essen gibt. Samstags machen wir einen Brunch und dann kommt man eben ins Gespräch. Ich rege dann meist Themen an, die ich für wichtig halte. Aber es gibt einen Austausch. Es ist kein einseitiger Vortrag. 

Ich finde es ganz wichtig zu hören, wie die Menschen gelebt haben, welche Werte sie haben und auch einbringen könnten. Wir sprechen Englisch und nutzen Übersetzungs-Apps. Meistens ist unter den Gästen auch jemand, der übersetzen kann – in dem Fall von Englisch in Farsi. 

DOMRADIO.DE: Für Sie ist es ganz wichtig, dass die Einheimischen mit den Geflüchteten zusammenkommen. Wie klappt das? 

Ursula Zednicek

"Die Griechen sehen die Geflüchteten dann als Mitmenschen. Das klappt unheimlich gut."

Zednicek: Daran müssen wir noch arbeiten. Das steckt noch in den Kinderschuhen, aber wir machen beispielsweise zweimal im Monat einen Ausflug auf der Insel. Da besuchen wir Museen und schöne Naturlandschaften und gehen zum Mittagessen in ein griechisches Restaurant. 

Das sind Kontaktpunkte, bei denen die Geflüchteten sehen können, dass es nicht nur abweisende, böse Griechen gibt, die sie wegsperren wollen.

Die Griechen sehen die Geflüchteten dann als Mitmenschen. Das klappt unheimlich gut. Da passiert vonseiten der Griechen auch an Austausch und Mitgefühl recht viel. 

DOMRADIO.DE: Eines Ihrer Angebote ist auch ein Umwelt-Bildungsprogramm für Kinder. Was muss man sich darunter vorstellen? 

Zednicek: Wir haben ein Jahr lang Umweltschutz, Klimawandel, Müllvermeidung und Mülltrennung in griechischen Schulen unterrichtet. Seit Sommer diesen Jahres machen wir das auch für Campkinder. 40 Prozent der Camp-Insassen sind Kinder, die viel zu wenig Bildung erhalten und auch sonst kaum Angebote haben. 

Da diese Thematik auch für viele eine Fluchtursache darstellt, ist das eine gute Gelegenheit, diese Art von Bildung zu vermitteln. Wir haben ganz viele interessierte Kinder, die diesen Stoff auf spielerische Art und Weise nach und nach lernen. 

DOMRADIO.DE: Beißen Sie beim Thema Umweltschutz in Griechenland nicht unter Umständen ein bisschen auf Granit? 

Zednicek: Bei Kindern in der Regel nicht. Die kann man sehr leicht begeistern. Die Kinder sind zwischen sechs und zwölf Jahren alt und verstehen das sehr schnell. Die sind sehr gut zu unterrichten und sehr begeisterungsfähig. Das trifft auf die Kinder aus dem Camp ohnehin zu. Von daher ist das die reinste Freude. 

Ursula Zednicek

"Es ist einfach extrem bereichernd."

DOMRADIO.DE: Was ist denn Ihre Motivationen für diese Arbeit? 

Zednicek: Es ist einfach extrem bereichernd. Die Arbeit ist durchaus hart. Ich mache auch viel Büroarbeit und sammel Spenden. Das ist nicht so spannend. Aber die Begegnung mit den Menschen finde ich so bereichernd, erfreulich, spannend und interessant. Aber der Bedarf ist riesig.

Ich will mich gegen die Art und Weise stellen, wie Europa mit seiner politischen Richtung die Flüchtlinge behandeln will. Das finde ich nicht in Ordnung. Dagegen möchte ich mich stellen. 

DOMRADIO.DE: Ihr Verein "Hoffnung leben e.V." hat seinen Sitz in Bonn. Sie sind gerade hier in Deutschland. Bleiben Sie an Weihnachten hier? 

Zednicek: Nein, ich muss unbedingt am 15. Dezember zurück, denn ich vermisse alle. Über Weihnachten sind viele Organisationen nicht aktiv. Wir möchten dann aktiv sein, weil da der Bedarf am größten ist. Gerade wenn schlechtes Wetter ist, machen wir ein paar Sonderprogramme, um die Leute aus ihren engen Containern rausholen. 

Ursula Zednicek

"Seit dem Start des Ukraine-Krieges sind die Spenden ziemlich eingebrochen."

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn mit der finanziellen Spendenzuwendung für Ihren Verein und diese Arbeit aus?

Zednicek: Seit dem Start des Ukraine-Krieges sind die Spenden ziemlich eingebrochen. Es ist sehr viel schwieriger geworden, genügend Spenden zu bekommen.

Das erste Quartal des nächsten Jahres ist fast in trockenen Tüchern. Aber man muss unheimlich viel Aufwand betreiben, um noch genügend Spenden zu bekommen. Wir brauchen auch Fördergelder, größere Summen, damit wir ein bisschen langfristiger planen können. Das ist als junger Verein, als unbekannter Verein, als ganz kleiner Verein nicht einfach. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR