Warum eine Berlinerin Devotionalien verkauft

"Es ist eine Art Seelsorge"

Ulrike Schuster verkauft seit fast 30 Jahren Devotionalien in Berlin. Im Interview teilt die Lehrerin ihre Erlebnisse mit skurrilen Kaufwünschen und japanischen Reisegruppen und verrät, warum muslimische Schüler ihren Laden mögen.

Mariendarstellungen, Heiligenbilder und vieles mehr im Devotionaliengeschäft Ave Maria / © Gregor Krumpholz (KNA)
Mariendarstellungen, Heiligenbilder und vieles mehr im Devotionaliengeschäft Ave Maria / © Gregor Krumpholz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was kann ich denn bei Ihnen alles bekommen in Ihrem Laden? 

Ulrike Schuster (Studienrätin für Latein, Geschichte, Philosophie und Religion; führt einen Laden für Devotionalien in Berlin): Es ist ein breites Angebot. Natürlich kann man dort Kerzen zu allen Anlässen, Kreuze, Anhänger, Weihrauch, Figuren und vieles mehr kaufen.

DOMRADIO.DE: Was sind die Verkaufsschlager? Was geht auch im wenig religiösen Berlin? 

Schaufenster des Devotionaliengeschäfts Ave Maria in Berlin / © Gregor Krumpholz (KNA)
Schaufenster des Devotionaliengeschäfts Ave Maria in Berlin / © Gregor Krumpholz ( KNA )

Schuster: Das hängt natürlich ein bisschen von der Jahreszeit ab. Im Moment ist Kommunions- und Konfirmationszeit. Da kommen Leute, die dann ein Geschenk zur Kommunion oder Konfirmation mitbringen wollen – eine Karte, oder ein Gästealbum oder einen kleinen Gegenstand, den sich das Kommunionkind aufstellen kann. An Ostern sind Osternachtskerzen gefragt. Wir haben auch ganz viele orthodoxe Kunden, die spezielle Kerzen brauchen und einen anderen Bienenwachs-Anteil. Es ist sehr vielfältig. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie auch skurrile Geschichten erlebt? 

Schuster: Ja, am Anfang hatte ich eine Mischung aus Secondhandladen und Devotionalien – auch um andere Kunden zu kriegen. Denn es war klar, dass ich nicht nur von Devotionalien leben kann. Über dem Laden stand in einer Kinoschrift "Devotionalien". Der Laden lag damals in der Potsdamer Straße, unweit von der Kurfürstenstraße von dem bekannten Strich Christiane F., und einige Berliner lasen "devot" und dachten, dass es sich um spezielle Sexartikel handelt.

Ulrike Schuster, Inhaberin eines Devotionalenladens

"Einige Berliner lasen "devot" und dachten, dass es sich um spezielle Sexartikel handelt"

Wir hatten alle möglichen Kunden: Orthodoxe, Juden, Griechen, Sinti und Roma. Es kamen auch mal Kölner Rheinländer, die gesagt haben: "Ich möchte so eine Plastikmadonna. Meine katholische Schwiegermutter kommt zu Besuch, die möchte ich schocken, und stelle die Madonna auf den Spülkasten des WCs."

DOMRADIO.DE: Sie sind Studienrätin für Geschichte, Latein, Politik und Religion. Religion unterrichten Sie aber nicht. Warum nicht? 

Schuster: Ich unterrichte das Fach Ethik – das ist verpflichtend für alle Berliner Schüler. Ich unterrichte also in den kompletten Klassen Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus und besuche dann die jeweiligen Tempel, Kirchen, Synagogen. In Berlin ist Religion ein Anmeldefach, in den anderen Bundesländern ist man in Religion automatisch drin und muss sich abmelden. Berlin, Bremen und Hamburg haben da quasi so eine spezielle Klausel.

Ich halte es für sinnvoll, mit den ganzen Klassen über religiöse Themen und Werte zu sprechen. Ich bin seit 16 Jahren an einem italienischen Europa-Gymnasium. Wenn da die Hälfte muslimisch ist, muss ich häufig eher meine atheistischen Schüler beschützen. Die muslimischen Schüler sagen dann: "Wie kann man atheistisch sein? Habt ihr überhaupt Regeln und Werte?" Ich halte es wirklich für gut, mit der ganzen Klasse ins Gespräch zu gehen und sich auch die Religionen im Vergleich anzugucken. 

DOMRADIO.DE: Was sagen Ihre Schüler, wenn die erfahren, Frau Schuster hat einen abgefahrenen Devotionalienladen? 

Ulrike Schuster, Inhaberin eines Devotionalenladens

"Meine muslimischen Schüler sind sehr religiös – die finden den Laden eher interessant und kultig"

Schuster: Meine muslimischen Schüler sind sehr religiös – die finden das eher interessant, die sehen es positiv. Wobei ein Devotionalienladen natürlich gerade für Muslime total fremd ist, da wir ganz viele Statuen und Bilder haben und es ganz opulent ist.  Aber die finden es kultig.

DOMRADIO.DE: Warum ist es Ihnen wichtig, den Laden zu behalten? 

Schuster: Ich finde es wichtig, so einen Ort zu schaffen. Es ist doch toll, wenn Leute kommen, die sagen "oh, ich bin in einer ganz anderen Welt"! Es ist auch eine Art Seelsorge. Zum Beispiel kam mal eine Frau rein, die war völlig traurig und aufgelöst, und wollte einen Rosenkranz. Und als ich nachfragte, wofür sie den braucht, antwortete sie: Mein Sohn hat sich umgebracht und ich möchte in den Sarg einen Rosenkranz mitgeben. Oder es kam eine Frau, deren Hund gestorben war und eine Grabbeigabe für ihn wollte. Die nahm sich einen kleinen Franziskus mit.

Manchmal kommt auch ein Reisebus mit Japanern, die christlich sind – in ihrem japanischen Reiseführer steht auch mein Laden drin – und die kaufen sich dann christliche Devotionalien, weil es in Japan wahrscheinlich schwieriger ist, die zu besorgen. 

Das Interview führte Heike Sicconi. 

Quelle:
DR