KNA: Herr Mack, im Herbst gönnen sich Menschen gerne wieder mehr Tee. Was macht das Getränk so beliebt?
Mack: Das liegt daran, dass wir im Sommer lieber kalte Getränke wie Radler oder Cola zu uns nehmen, auch wenn die uns noch mehr Schwitzen lassen. Deshalb hat es sich bei uns nie eingebürgert, auch im Sommer Tee zu trinken. Wir Deutsche bevorzugen das Heißgetränk lieber im kühlen Herbst und Winter. Sobald die Temperaturen unter 15 Grad sinken, greifen wir vermehrt zur Teetasse.
KNA: Man sagt "Abwarten und Tee trinken". Warum wird Tee mit Entschleunigung verbunden?
Mack: Tee lässt schon bei seiner Zubereitung gar keine andere Möglichkeit als abzuwarten. Anders als Kaffee - Espresso braucht nur etwa 30, 40 Sekunden, bis er fertig ist - benötigen viele Tees fünf oder auch mal zehn Minuten Ziehzeit. Die lässt sich selbst mit Technik nicht beschleunigen. Wenn man diese Zeit nicht einhalten kann, schmeckt der Tee nicht. Er braucht einfach seine Zeit - und die muss ich mir bewusst nehmen.
Natürlich trinken viele im Büro auch nebenbei ihre Kanne Tee; er kann ein wunderbarer Alltagsbegleiter sein. Das Teetrinken kann aber auch über mehrere Stunden zelebriert werden - beides geht mit dem gleichen Getränk.
KNA: Hat das Teetrinken also auch eine spirituelle Komponente?
Mack: In der Tat. So war Tee in Japan aufgrund des enthaltenen Koffeins ursprünglich vor allem das Getränk von buddhistischen Mönchen. Sie tranken ihn bei einer Teezeremonie, um bei ihrer langen Meditation nicht einzuschlafen. Und irgendwann hat sich das Teetrinken auch in der Bevölkerung durchgesetzt.
KNA: Deutschland ist - anders als Großbritannien, die Türkei oder Russland - kein klassisches Teeland. Woran liegt das?
Mack: Man muss da ein wenig differenzieren, denn je nach Region schwankt hierzulande der Konsum deutlich. Gemessen an den verzehrten Tassen sind die Ostfriesen sogar Weltmeister beim Teekonsum. Sie trinken pro Kopf und Jahr etwa 300 Liter Tee, fast einen Liter am Tag. Aber je weiter südlich man in Deutschland schaut, umso weniger wird davon getrunken.
Was uns Deutsche aber unterscheidet ist, dass wir international mit den besten Tee trinken. Die Briten trinken zwar mengenmäßig deutlich mehr davon, aber fast alles Beuteltee. In Deutschland wird dagegen mehr als 60 Prozent in loser Form zubereitet. Das ist entscheidend, denn nur loser Tee ist auch qualitativ hochwertig.
KNA: Der Teeverband, dem Sie angeschlossen sind, hat gerade den "Tee-Report 2020" veröffentlicht. Welche Trends gibt es für diesen Herbst und Winter?
Mack: Tee ist grundsätzlich etwas langlebiger als die Softgetränkeindustrie, wir bringen nicht jedes Jahr 20 neue Sorten heraus. Das liegt auch daran, dass Teetrinker entspannter sind und nicht jedem Trend hinterherjagen. Allerdings beobachten wir, dass Kurkuma in den vergangenen zwei Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Die Nachfrage hat uns selbst überrascht, aber sie hängt wohl mit dem gesundheitlichen Nutzen zusammen, der Kurkuma zugeschrieben wird. Kräuter-, Gewürz- und Wellnesstees liegen im Trend, gerne in Bioqualität.
KNA: Hat sich der Teekonsum in Deutschland in den letzten Jahren verändert?
Mack: Auf jeden Fall! Zum einen ist der Qualitätsanspruch der Teetrinker deutlich gestiegen. Das zeigt sich auch daran, auf welche Schadstoffe wir heute den Tee untersuchen, die man vor 20 Jahren noch gar nicht gekannt hat. Der Teetrinker von heute hat einen ganz anderen Anspruch. Er möchte wissen, wo sein Tee herkommt, ob er biologisch und nachhaltig angebaut wird oder aus dem fairen Handel stammt. Dafür sind die Deutschen auch bereit, acht oder auch mal 10 Euro für 100 Gramm Tee auszugeben. Solche Qualität kann ich natürlich nicht erwarten, wenn ich 20 Teebeutel für 80 Cent kaufe...
KNA: Der Tee scheint eine Welt für sich zu sein: Was sind die ungewöhnlichsten Sorten?
Mack: In Asien, aber auch Lateinamerika werden "Tees" aus Kräutern oder Früchten getrunken, die hierzulande gar nicht als Lebensmittel bekannt oder zugelassen sind. In der 5.000-jährigen Kulturgeschichte des Tees begegnen einem immer wieder kuriose Sachen. So gibt es gibt einen Tee, der über Jahrzehnte - ähnlich wie ein Wein - nachfermentiert wird; je älter er wird, desto teurer und unbezahlbarer wird er auch. Es gibt Tees, die gezielt mit Mikroorganismen oder mit Milchsäure behandelt werden. Aber letzten Endes kommt es nur auf eines an: dass der Tee schmeckt. Dieses Kriterium kann schon ein einfacher Früchtetee oder ein komplexer chinesischer Grüntee erfüllen.
KNA: Hat Corona die Teebranche verändert?
Mack: Man muss unterscheiden zwischen dem, was in Deutschland und was in den Anbauregionen passiert. In den asiatischen Teeregionen war während der vergangenen Monate Erntezeit. Teilweise konnte wegen des Lockdowns nicht gepflückt werden, oder wegen des gebotenen Mindestabstands wurden Arbeitsplätze reduziert. In China und Japan gab es kaum Probleme, Indien und Nepal sind dagegen stark durch Corona beeinträchtigt. Teehändler müssen nun sehen, wo sie ihren Tee herbekommen und ob es ihn noch in den nötigen Mengen gibt. Darüber hinaus haben sich Transportwege verteuert, weil nur noch eingeschränkter Lieferverkehr möglich ist. In einigen Bereichen müssen wir also mit Preisanstiegen rechnen.
Hierzulande hat der Teehandel durch Corona eher profitiert. Denn die Leute haben sich im Homeoffice gerne auch mal eine Kanne gemacht, vor allem Schwarz- und Grüntee.
KNA: Sie sind Teeverkoster, und man spürt Ihre Leidenschaft für Tee. Was fasziniert Sie daran?
Mack: Auch nach 15 Jahren wird es mir nicht langweilig. Das Schöne am Tee ist, dass er sich eigentlich jedes Jahr verändert. Tee kann man sehr gut vergleichen mit Wein, auch er ist mit jeder Ernte wieder anders.
KNA: Haben Sie einen Lieblingstee?
Mack: Mir fällt es schwer, mich auf eine einzige Sorte festzulegen. Ich versuche, wie beim Kochen immer das zuzubereiten, was gerade Saison hat. Im Frühjahr sind das leichte Tees, ob ein Grüntee oder ein Darjeeling First Flush. Und in den Herbst hinein wird der Tee dann wieder etwas kräftiger, ein Second Flush oder auch mal ein Kräutertee. Wenn ich mich auf einen Tee festlegen müsste - meine Wahl für die einsame Insel wäre vermutlich ein japanischer Grüntee. Er ist sehr vielseitig, und ich mag Grüntee.
Das Interview führte Angelika Prauß.