Warum der Vatikan das "System Libanon" unterstützt

Geistliche Mission und politische Erwartungen

Am Freitag unterzeichnet Benedikt XVI. hier das Schlussdokument der Nahost-Synode 2010. Seine 24. Auslandsreise ist aber auch ein Pastoral- und Staatsbesuch im Frontstaat der Nahost-Dauerkrise - und in einem Land, das wegen seiner großen Christengemeinde für Kirche und Vatikan-Diplomatie von herausragender Bedeutung ist.

Autor/in:
Johannes Schidelko
Programm der Papstreise (KNA)
Programm der Papstreise / ( KNA )

Nichts zeigte das Interesse des Vatikan am Libanon deutlicher als die 168 Friedensappelle der Päpste während des 16-jährigen Bürgerkriegs (1975-1991). Immer wieder rief Johannes Paul II. der Weltöffentlichkeit den vergessenen Konflikt in Erinnerung - einen Krieg, der entlang der Religionsgrenzen verlief, der jedoch in erster Linie ein Stellvertreterkrieg unter Beteiligung von Palästinensern, Syrern und Israelis war. Damals wie heute ging es dem Vatikan darum, den Libanon als Modell eines bireligiösen und multikulturellen Staates mit 19 verschiedenen konfessionellen Gruppen zu schützen: ein Land, in dem - einmalig in der arabischen Welt - die Christen keine benachteiligte Minderheit sind, sondern gleichberechtigt mitbestimmen.



Aus dem Bürgerkrieg gingen die Christen geschwächt hervor, auch weil sie mehrfach Fronten und Verbündete wechselten. Mal standen sie in einer Koalition mit den Syrern gegen die Palästinenser, mal mit den Sunniten gegen Schiiten oder Drusen, mal allein gegen alle. Das führte zu ihrer politischen Fragmentierung. Christliche Politiker stehen heute in beiden großen Lagern: Ein Teil gehört, zusammen mit gemäßigten Sunniten, dem prowestlichen "14. März"-Lager an. Der frühere Christen-General Michel Aoun findet sich mit seiner "Freien Patriotischen Bewegung" auf der Gegenseite, in der prosyrischen "8. März"-Allianz - zusammen mit Hisbollah.



"Libanesische Formel"

Der Anteil der Christen im Libanon ist in den vergangenen Jahrzehnten von über 50 Prozent auf unter 40 Prozent gesunken - auch wenn der Vatikan in seiner jüngsten Statistik von 2,15 Millionen (53,18 Prozent) Katholiken spricht. Nach wie vor gilt die "libanesische Formel", die den Christen politische Schlüsselpositionen und Einfluss garantiert. Sie funktioniert auch unter der heutigen Regierung, die vom "8. März"-Lager um die Hisbollah dominiert wird - in der freilich Technokraten das Sagen haben.



Die Kirche solle sich aus der Alltagspolitik und dem Parteienstreit heraushalten, mahnten immer wieder der Papst wie auch der neue maronitische Patriarch Bechara Rai. Die Christen sollten eine Brücke zwischen den großen Gruppen der Sunniten und Schiiten bilden. Auf diese Weise könnten sie ihren Beitrag zum Staatswohl und zur Souveränität des Libanon leisten - und dabei ihre eigene Position festigen.



Kernthema der Vatikandiplomatie

Nicht nur der Libanon, sondern der Nahe Osten insgesamt steht im Fokus der vierten Reise von Benedikt XVI. in die Region. Das Heilige Land mit den Ursprungsstätten des Christentums ist seit Jahrzehnten ein Kernthema der Vatikandiplomatie. Im israelisch-palästinensischen Konflikt befürwortet der Heilige Stuhl eine Zweistaatenlösung, die beiden Seiten Souveränität und Sicherheit garantiert - und den Christen Religionsfreiheit. Einen Sonderstatus fordert er für die für Juden, Muslime und Christen "Heilige Stadt" Jerusalem.



Nur sehr allgemein hat sich der Vatikan bislang zum Syrien-Konflikt geäußert, dem sich der Papst bei der Reise auf weniger als 100 Kilometer nähert. Er ist für einen sofortigen Waffenstillstand, für einen Dialog, der die legitimen Erwartungen aller Bürger berücksichtigt. Er favorisiert einen Erhalt der staatlichen Einheit. Und natürlich möchte er ein Übergreifen auf den Libanon vermeiden, wo die Hauptfront ebenfalls zwischen Sunniten und Schiiten/Alawiten verläuft - mit den Christen dazwischen.