Warschau gedenkt des Aufstandes vor 65 Jahren

Um 17 Uhr steht alles still

In Polen ist am Samstag des Warschauer Aufstandes gegen die deutschen Besatzer vor 65 Jahren gedacht worden. "Das Opfer war nicht umsonst, heute leben wir in einem freien Polen", sagte die Warschauer Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz bei der Eröffnung der Feierlichkeiten. Bei dem Aufstand hatte es damals insgesamt rund 200.000 Tote gegeben.

Autor/in:
Markus Nowak
 (DR)

Eine beklemmende Szenerie spielt sich seit einigen Jahren am 1. August auf Warschaus Straßen ab: Um Punkt 17 Uhr ertönen die Alarmsirenen, die Straßenbahnen halten, die Autofahrer auf den Straßen schalten die Motoren ab. Die polnische Hauptstadt legt eine Schweigeminute ein und erinnert sich an den Ausbruch des Warschauer Aufstands von 1944.

Vor 65 Jahren begannen die nur spärlich bewaffneten Soldaten der Armia Krajowa (AK, Heimatarmee) einen 63-tägigen Kampf. Sie wollten die Weichselstadt von den deutschen Besatzern befreien. Einer der 50.000 Aufständischen war Edmund Baranowski (84). "Wir waren jung und mutig. Wir wollten kämpfen", erinnert sich der damals 19-Jährige. Etwa ein Viertel der Kämpfer ließ dabei ihr Leben, noch tragischer war das Schicksal der Zivilbevölkerung: Fast 200.000 Warschauer wurden von den deutschen Einheiten ermordet, die Hauptstadt nach der Kapitulation Anfang Oktober 1944 dem Erdboden gleichgemacht.

Anlässlich des bevorstehenden 65. Jahrestags des Kampfes kündigte der polnische Staatschef Lech Kaczynski eine besondere Geste an: Der 1. August soll künftig ein gesetzlicher Feiertag werden, aus wirtschaftlichen Gründen soll er allerdings nicht arbeitsfrei sein. Ein entsprechender Entwurf liege bereits dem Parlament vor, sagte Kaczynski auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. Der ehemalige Kämpfer Baranowski, der heute Vizevorsitzender des Verbands der Aufständischen ist, unterstützt den Vorschlag. Und auch die Bevölkerung steht dahinter: Einer Umfrage der Zeitung "Rzeczpospolita" zufolge begrüßen 73 Prozent der Polen einen gesetzlichen Feiertag am 1. August.

Das Gedächtnis an den Aufstand fand daher meist im Privaten statt
Kaczynskis Vater hatte selbst im Aufstand gekämpft, daher spricht ihm niemand öffentlich aufrichtige Beweggründe bei seinem Feiertags-Vorstoß ab. Über ein politisches Motiv lässt sich aber zumindest mutmaßen: Einem Feiertag anlässlich des Aufstandsausbruchs dürfte - zumal wenn er nicht arbeitsfrei sein soll - kaum ein Parlamentarier seine Stimme verweigern. Kaczynski könnte das als Erfolg verbuchen.

Und das Gedenken an den Warschauer Aufstand würde damit offiziell zu einem Staatsakt, was in der Zeit der Volksrepublik undenkbar gewesen wäre. Die kommunistische Regierung konnte keine öffentliche Diskussion darüber zulassen, dass Stalin der Roten Armee befohlen hatte, den Aufständischen nicht zu helfen - obwohl sie ganz in der Nähe stand. Das Gedächtnis an den Aufstand fand daher meist im Privaten statt.

Erst nach 1989 war der Warschauer Aufstand in der Öffentlichkeit kein Tabu mehr. In den vergangenen Jahren erweckte das organisierte Gedenken bereits den Eindruck eines Staatsaktes und wurde immer populärer, auch unter Jugendlichen. Dutzende Neuerscheinungen, darunter mehrere Comics, finden jährlich den Weg in die Regale der Buchhandlungen, Musiker landen mit Liedern über den Aufstand in den Charts und die Nationalbank prägt Sondermünzen.

Bis zuletzt wird das Protokoll offen sein
Manchem wird das veröffentlichte Gedenken fast schon zu viel. So gab es im Vorfeld eine Debatte darüber, ob Politiker auf dem Ehrenfriedhof Kränze niederlegen sollen. In der Vergangenheit kamen nämlich die ehemaligen Kämpfer nicht mehr zu den Gräbern ihrer Kameraden - vor lauter Sicherheitsvorkehrungen und Reporterteams. Bis zuletzt wird das Protokoll offen sein.

Ungewiss ist auch, ob ganz Warschau um 17 Uhr beschallt werden kann.
Die Zeitung "Gazeta Wyborcza" berichtete jüngst, dass mehr als die Hälfte der 422 Alarmsirenen der Hauptstadt am 1. August nicht einsatzfähig seien. Ein akustisches Signal wird es dennoch geben: Das Erzbistum Warschau forderte alle Pfarreien auf, um 17 Uhr die Kirchenglocken zu läuten. Als Beitrag, den "65. Jahrestag in Würde zu begehen", so ein Bistumssprecher.