Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin

Berlins Bürgermeister unter Druck

Die Berliner haben sich am Sonntag gegen eine große Koalition entschieden. Große Verlierer sind die Volksparteien, Gewinner die AfD. Heiner Koch, der Erzbischof von Berlin, sieht schwere Zeiten auf Bürgermeister Michael Müller zukommen.

Erzbischof Heiner Koch / © Oliver Berg (dpa)
Erzbischof Heiner Koch / © Oliver Berg ( dpa )

domradio.de: Wie sehen Sie das Ergebnis des gestrigen Tages? Konnte man in der Form damit rechnen?

Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Tendenziell zeichnete sich das ab. Dass es für die großen Parteien so dramatisch wurde, war dann doch irgendwo eine Überraschung. Ich habe gestern Abend noch mit vielen Politikern hier in Berlin gesprochen - das wird wohl Auswirkungen haben, dass wir im Grunde nur Parteien haben, die für sich alle in der Minderheit sind. Vielleicht ist es ein Spiegelbild von Berlin, dass das natürlich eine Gesellschaft ist, in der jede Gruppierung eine Minderheit ist. Das ist für eine Regierungsbildung und eine verlässliche Politik natürlich ganz schwierig. Andererseits bietet es die Möglichkeit zu kreativen Aufbrüchen, Verbindungen, Neuanfängen, die bei stark positionierten Parteien vielleicht nicht möglich wären. Auf jeden Fall ist das eine ganz und gar schwierige Situation, vor allem für die CDU und die SPD.

Chance zu neuen Aufbrüchen

domradio.de: Die alten Volksparteien verlieren immer mehr an Boden unter den Füßen. Immer weniger Menschen fühlen sich durch CDU und SPD repräsentiert. Kann man da eigentlich noch von Volksparteien sprechen?

Koch: Also die Spektren rechts und links haben sich zergliedert. Das ist bei der CDU und AfD so, wenn sie aus dem bürgerlichen Viertel noch die FDP dazu nehmen, links sind das die Grünen und Linken und die SPD. Die Leute wählen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen aus. Die Frage für die großen Parteien ist, wie sie sich weiter positionieren wollen. Das ist vor allen Dingen eine große Frage für die CDU: 14 Prozent für die AfD in Berlin ist, glaube ich, stärker zu bewerten, als 20 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Da sind viele auch aus dem rechten Spektrum der CDU herübergegangen, die sich dort nicht mehr beherbergt fühlten. Andererseits hat sich hier auch gezeigt, dass es starke Personalwahlen gab: Der Gesundheitssenator der CDU, Czaja, der sehr umstritten ist, hat in seinem Wahlbezirk Marzahn 47 Prozent erhalten. Das sind 8 Prozent mehr als bisherige Kandidaten. Das zeigt natürlich, dass die Wahl von starken Persönlichkeiten getragen wurde.

Ende der Volksparteien

Das Ende der Volksparteien ist im Moment gekommen. Ob es das Ende bleibt, soweit möchte ich nicht gehen. Klassische Politik ist so nicht mehr denkbar. Falls der neue regierende Bürgermeister eine Koalition, Rot-Rot-Grün, eingeht, wird er in seiner Koalition keine Mehrheit mehr haben. Es können nur zwei Parteien zusammen bestimmen. Auch das ist eine völlig neue Weise der Wahrnehmung von Regierungsverantwortung.

domradio.de: Mit so wenigen Prozenten Unterschied kann man eigentlich nicht von einem Regierungsauftrag sprechen. Sie haben dennoch Erfahrung mit Michael Müller, dem bisherigen und wahrscheinlich auch zukünftig regierenden Bürgermeister. Wie sind denn Ihre Erfahrungen mit ihm?

Koch: Ich habe ihn als einen Bürgermeister kennengelernt, der sehr verlässlich ist und mit dem man gut sprechen kann. Müller steht unter einem enormen Druck, auch innerparteilich, da die Blöcke in seiner Partei nicht einer Meinung sind. Ich kann ihm nur wünschen, dass er eine klar strukturierte und verlässliche Koalition zusammenbekommt. Und selbst dann wird es nicht einfach für ihn werden.

domradio.de: Die Koalition, die am wahrscheinlichsten scheint, ist einen Tag nach der Wahl SPD, Linke und Grüne. Was würden Sie von so einer Konstellation erwarten?

Koch: Die starke Wohnungsproblematik: Berlin verbucht zwischen 40.000 und 50.000 Zuzügen jährlich. Die Verwaltungsreform, die mehr sein muss als nur Abteilungen zusammenzulegen; und da ist die Frage der Familienpolitik, die sich nicht nur auf die Eröffnung neuer Kitas beschränken darf. Sie merken, es braucht kreative und qualitativ gute Lösungen für Berlin. Die Probleme der Stadt sind sehr stark, so zum Beispiel das Flüchtlingsproblem. Dieses bleibt ein Berliner Problem und die Lösung muss mehr beinhalten, als nur neue Sprachkurse. Wir brauchen eine nachhaltige Politik, die nicht nur kurzfristig sondern langfristig denkt und die wird mit diesem Wahlergebnis nicht ganz einfach.

Wohl kein einmaliger Höhenflug der AfD

domradio.de: Was erwarten Sie von der AfD?

Koch: Die Zusammensetzung der AfD ist sehr unterschiedlich. Da gibt es einige, die man ganz klar als rechtsradikal einschätzen muss. Es laufen sogar in der AfD selbst Ausschlussverfahren, bei denen geklärt wird, inwiefern der Kurs einiger Mitglieder noch als "bürgerlich" angesehen werden kann. Die Opposition aus CDU, AfD und FDP zu beobachten wird sicherlich interessant werden. Die CDU muss sich überlegen, wie sie die Stimmen wieder gewinnen kann, die sich im rechten Spektrum der Partei nicht mehr wierderfinden und als Folge davon zur AfD abgewandert sind. Mir ist allerdings gar nicht klar, wie die AfD sich bei differenzierten Themen aufstellen wird.

Ich bin mir aber sicher, dass es kein einmaliger Höhenflug der Partei ist und sie bei der nächsten Wahl verschwunden sind. Dazu sind die Ergebnisse zu stark. Gerade auch im Osten Berlins, wo sie aus dem Stand fünf Sitze geholt haben. Das ist erstaunlich.

Das Interview führte Daniel Hauser.


Das Ende der GroKo in Berlin: Henkel (CDU) und Müller (SPD) / © Michael Kappeler (dpa)
Das Ende der GroKo in Berlin: Henkel (CDU) und Müller (SPD) / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
DR

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