Vor zehn Jahren wurde das Abraham-Geiger-Kolleg gegründet

Aufbruch lange nach der Schoah

Am Anfang klang das wie ein großes, ja übergroßes Ziel: Rabbiner wolle man ausbilden für liberale jüdische Gemeinden in Deutschland, hieß es bei der Gründung des Abraham-Geiger-Kollegs vor genau 10 Jahren in Berlin. Das Ziel ist erreicht: 2006 und 2009 ordinierte das Kolleg jeweils drei jüdische Geistliche, in diesem Jahr kam der erste ausgebildete Kantor hinzu. Und derzeit sind 22 weitere Studierende in der Vorbereitung auf ihr geistliches Amt.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Damit ist mehr als 60 Jahre nach der Schoah wieder ein Stück wenn nicht Normalität, so doch jüdisches Leben nach Deutschland zurückgekehrt. Das Geiger-Kolleg, benannt nach dem jüdischen Gelehrten Abraham Geiger (1810-1874), ist das erste Rabbinerseminar in Deutschland, ja in Zentraleuropa nach dem Holocaust. So stammen die jetzigen Studenten und Studentinnen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich, Österreich, Russland, Serbien, der Ukraine und den USA.

Beschwerlicher Anlauf
Dabei kam der Lehrbetrieb nach der formalen Gründung 1999 nur allmählich in Gang. Zunächst gab es Büroräume in Berlin und Ideen für Lehrpläne, erst allmählich verfestigte sich der Ausbildungsbetrieb an der Universität Potsdam. Dort gibt es weitere Perspektiven. Die Verantwortlichen hoffen, dass das Kolleg 2012 ein eigenes Gebäude auf dem Campus der Universität am Neuen Palais beziehen kann. In Potsdam wurden jüdische Studien bereits zuvor gelehrt; zudem gab es im nahen Berlin bis 1942 die «Hochschule für die Wissenschaft des Judentums», zu deren Gründung 1836 der Rabbiner Geiger wesentliche Impulse gegeben hatte.

Für den Aufbruch war sicher Rabbiner Walter Homolka eine der entscheidenden Kräfte. Der heute 45-Jährige gehörte 1999 bereits zu den Gründern, 2002 übernahm er den Posten des Rektors des Kollegs. Danach arbeitete der hervorragend vernetzte Homolka emsig und engagiert und gelegentlich durchaus auch gegen die etablierten Kräfte des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Probleme der Finanzierung
Mit Erfolg. Für Homolka ist es «eine ganz neue Qualität», dass auch in Deutschland selbst wieder Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet werden - und Stellen finden. Die bislang sieben Absolventen sind in Deutschland selbst und im westlichen Ausland tätig. Es passt zur liberalen Ausrichtung, dass der interreligiöse Dialog - beispielsweise das Gespräch mit katholischen Priesteramtskandidaten - ein besonderer Ausbildungsschwerpunkt der Einrichtung ist.

Heikelster Punkt in der nun zehnjährigen Geschichte war die Frage der Finanzierung. Über viele Monate gab es zwischen Repräsentanten des Judentums und staatlichen Vertretern Gespräche darüber. Erst im Herbst 2007 wurde das Kolleg in die institutionelle Förderung durch den Bund aufgenommen. Seitdem ist die Arbeit abgesichert. Vor wenigen Monaten, im März 2009, folgte eine zusätzliche Unterstützung durch die Kultusministerkonferenz. Seitdem finanzieren der Bund, die Länder, der Zentralrat der Juden und die Leo Baeck Foundation das Kolleg zu gleichen Teilen.

Derzeit laufen beim Kolleg die Studienbewerbungen für das Wintersemester ein, eine ganze Reihe liegt bereits vor. Homolka nennt den Bedarf «unendlich». Und nach dem kleinen Jubiläum des «Zehnjährigen», das offiziell bereits im Juni in Berlin gefeiert wurde, kann er für 2010 schon die nächste Feier planen. Dann jährt sich der Geburtstag Abraham Geigers zum 200. Mal.