Vor zehn Jahren sprach Johannes Paul II. das große "Mea culpa"

Schuld und Sühne

Manche sahen es als Revolution, als Papst Johannes Paul II. vor zehn Jahren, am 12. März 2000, im Petersdom sieben Lichter entzündete und ein großes Schuldbekenntnis sprach. Zu jeder Flamme ließ er Verfehlungen beim Namen nennen, die im Lauf der Jahrhunderte von Christen im Namen des Glaubens begangen wurden.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
12. März 2000: Papst Johannes Paul II. spricht das "Mea Culpa" (KNA)
12. März 2000: Papst Johannes Paul II. spricht das "Mea Culpa" / ( KNA )

Verfehlungen gegen die Kircheneinheit, gegen Minderheiten, gegen die Würde der Frau, vor allem gegen das Volk Israel. Unter den Teilnehmern der Zeremonie am ersten Fastensonntag war auch der Glaubenspräfekt Joseph Ratzinger. Zehn Jahre später ist das Thema von Schuld und Sühne im Innern der Kirche noch immer aktuell.

Das «Mea culpa» war kein spontaner Einfallsblitz. Schon Jahre vorher hatte Johannes Paul II. bei verschiedenen Gelegenheiten ein Versagen von Christen beklagt. So sprach er einmal über den jahrhundertelangen Sklavenhandel aus Afrika, an dem «nicht wenige Christen» beteiligt gewesen seien. In Prag bedauerte er 1997 den «unglücklichen Tod» des böhmischen Reformators Jan Hus, der im Jahre 1415 als Ketzer verbrannt worden war. Auch im Blick auf Judenverfolgung und Antijudaismus räumte der Papst Versäumnisse von Christen ein. Seine «Reflexion über die Schoah» setzte 1998 einen neuen Maßstab in der katholischen Selbstkritik.

Solche Ansätze lösten auch Unbehagen bei manchen Kirchenvertretern aus. Bischof Alessandro Maggiolini von Como etwa kritisierte ein «Sichvertiefen in Schuldbekenntnisse». Fremde Sünden könne man nicht bereuen, und es sei sogar eine Unverfrorenheit, wenn man sich zum Richter über frühere Gläubige aufschwinge. Andere warnten, ein reuiger Papst könne Christen in islamischen Ländern angreifbar machen. Vor allem aber war die Frage, ob es gelingen würde, zwischen den Verfehlungen einzelner Menschen und der Heiligkeit der Kirche zu unterscheiden.

Zwei Jahre vor dem «Mea culpa» diskutierten Theologen aus rund 30 Ländern über Chancen und Risiken eines solchen Bußakts. Die Leitung der Debatte lag bei der Glaubenskongregation und ihrem Präfekten Ratzinger. Zwei lange Tagungen blieben ergebnislos. Johannes Paul II. ließ nicht locker. Schließlich - vier Wochen vor Beginn des Heiligen Jahres - erarbeitete die Internationale Theologenkommission ein erklärendes Rahmenpapier; um die Vergebungsbitte selbst kümmerte sich der Papst persönlich.

Am 7. März 2000 traten Vertreter des kirchlichen Lehramts vor die Presse. Es war Karnevalsdienstag, aber dem Glaubenspräfekten und dem Päpstlichen Haustheologen war nicht nach Scherzen zumute. Präzise und nüchtern legten sie dar, wie das geplante Schuldbekenntnis verstanden werden sollte - und wie nicht. Es sei kein Tribunal über die Vergangenheit, erläuterte Ratzinger, und auch kein Kotau für alles, was irgendjemand der Kirche meinte an Schäbigkeiten anhängen zu können. Kardinal Roger Etchegaray nannte das «Mea culpa» einen Akt der Solidarität mit den Christen von gestern und eine Anerkennung der Verantwortung für morgen. So gewichtig schien dem Vatikan der Vorgang, dass die Glaubenskongregation den Gebetstext des Papstes eigens geprüft und gebilligt hatte.

Die schlichte Zeremonie selbst erregte gegensätzliche Reaktionen. Einigen war alles zu wenig und zu schwammig - so fehlten Verweise auf Hexenverfolgung, auf Kreuzzüge oder Zwangsbekehrungen von Naturvölkern; anderen ging schon das allgemeine Schuldbekenntnis zu weit. Viele respektierten die Kirche jedoch für die Ehrlichkeit, mit der sie sich der Geschichte stellte. In dieser Hinsicht war das «Mea culpa» des Jubeljahres ein Wendepunkt.

Es folgten weitere große Gesten wie jene historische Vergebungsbitte an das jüdische Volk, nur zwei Wochen später bei einem Besuch Johannes Pauls II. an der Jerusalemer Klagemauer. Benedikt XVI. machte sie sich zu eigen, als er nach dem Debakel um den traditionalistischen Holocaust-Leugner Richard Williamson im Februar 2009 mit hohen Rabbinern zusammentraf. Der einstige Glaubenspräfekt weiß, dass die Bekenntnisse von damals Gewicht und Gültigkeit besitzen. Vielleicht ebnen sie auch den Weg zu anderen Schuldeingeständnissen.