Vor hundert Jahren ließen sich Juden in Kenia nieder

Zusammenhalten gegen alle Widerstände

Wie eine kleine grüne Oase hinter hohen Mauern wirkt das Gelände der Synagoge in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Mitunter kommen nicht einmal die zehn Männer, die nötig sind, um den Gottesdienst abzuhalten. 1912 wurde die Synagoge erbaut. Erste Juden verschlug es indes schon früher nach Kenia.

Autor/in:
Anja Bengelstorff
 (DR)

Unablässig verteilt Charles Szlapak die Bücher mit prophetischen Texten an immer mehr Gäste in der Synagoge. Nur zu besonderen Anlässen findet das jüdische Gotteshaus in der kenianischen Hauptstadt Nairobi so viel Zulauf. Heute ist es die Bat Mizwa, eine Feier, mit der eine junge Israelin als volles Mitglied in die Gemeinde aufgenommen wird. "Mitunter kommen nicht einmal die zehn Männer, die nötig sind, um den Gottesdienst abzuhalten", sagt Szlapak. An dem 76-Jährigen liegt es nicht. Er gehört zu den "Säulen der Gemeinde."

Wie eine kleine grüne Oase hinter hohen Mauern wirkt das Gelände der Synagoge, die 1912 erbaut wurde. Das Gebäude ist akribisch gepflegt, als würde es sich der stetig schwindenden Zahl seiner Besucher widersetzen wollen. Die Männer sitzen in der Mitte, die Frauen auf den Seitenrängen. Der Gottesdienst wird in Hebräisch abgehalten, einer Sprache, "die ich nicht gut beherrsche", gibt Charles Szlapak zu. Dennoch verteidigt er die Ausrichtung der Synagoge: "Eine orthodoxe Synagoge können auch konservative und Reformjuden besuchen. So bleiben wir offen für alle Strömungen des Judentums."

Das scheint auch dringend notwendig. Denn nur etwa 400 Mitglieder zählt die jüdische Gemeinschaft heute in Kenia, wobei die Zahlen stark schwanken. Außer den weniger als einem Dutzend Pionierfamilien sind Israelis in der Mehrheit, die nur für wenige Jahre in Kenia arbeiten: Geschäftsleute, Hoteliers oder Manager auf den vielen Blumenfarmen des Landes. Die wenigsten sind an Religion interessiert, "regelmäßig kommen nur 15 bis 20 Leute", so Szlapak.

1899 kam der Rumäne J. Marcus aus Indien
Der 76-Jährige gehört dazu: "Um die Gemeinde zusammenzuhalten", wie er sagt. Seine Familie konnte sich 1938 aus Polen nach Kenia retten.
Sein Vater baute sich in der damaligen britischen Kolonie eine Existenz auf und kaufte im Laufe der Jahre mehrere Hotels. Heute besitzen die Szlapaks das Fairview, eines der am besten bewachten Hotels in Nairobi.

Erste Juden verschlug es indes schon früher nach Kenia. 1899 kam der Rumäne J. Marcus aus Indien, um die Eisenbahnlinie in Kenia mit aufzubauen. Kurz darauf, im Jahr 1904, wurde die Hebräische Kongregation Nairobi gegründet. Sie half Neuankömmlingen wie den Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland in den 1930er Jahren. Die meisten von ihnen waren Städter und auf ein Leben in einem Agrarland wie Kenia wenig vorbereitet. Für sie organisierte die kenianische Gemeinde eigens Landwirtschaftskurse.

Unter den Neuankömmlingen befanden sich zu der Zeit auch prominente Namen wie die Familie der Schriftstellerin Stefanie Zweig, die von
1938 bis 1947 in Kenia Zuflucht fand. Ihr autobiographischer Roman "Nirgendwo in Afrika" wurde von Charlotte Link verfilmt und erhielt
2003 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

"Durch das Judentum habe ich Gott besser verstehen gelernt"
Die Idee einer dauerhaften jüdischen Präsenz in Ostafrika stand für viele Juden nie ernsthaft zur Debatte. Das als Uganda-Plan bekanntgewordene Vorhaben einer vorübergehenden Ansiedlung in größerem Stil in Ostafrika scheiterte bereits 1905: Der Zionistenkongress in Basel wollte die Chance auf einen eigenen Staat in Palästina nicht verspielen. Und so gibt es in Subsahara-Afrika außer der kleinen Gemeinschaft von Nairobi lediglich in Äthiopien, Simbabwe und Südafrika jüdische Gemeinden in nennenswerter Größe..

Neue Mitglieder haben es mitunter trotzdem schwer, einen Zugang zu finden, wie George Kiritu, weiß. Seit neun Jahren, erzählt der Bauer, besucht er regelmäßig die Synagoge und bereitet sich auf die Konvertierung vor. "Durch das Judentum habe ich Gott besser verstehen gelernt", sagt er. "Im Christentum kommt man zu leicht mit Sünden davon." Die Gemeinde unterstütze und ermutige ihn, versichert Kiritu.

Der 37-Jährige schaut schweigend zum anderen Ende des Saales, wo die Bat Mizwa gefeiert wird. Da die orthodoxe Verfassung der Gemeinde Glaubensübertritte ausschließt, bleiben ihm zum Konvertieren nur die USA oder Israel, wo liberalere Gemeinden existieren. Eine solche Reise kostet Geld. "Ich spare", sagt er leise. Er wäre wohl einer der ersten Kenianer, die zum Judentum konvertieren.