Vor einem Jahr veröffentlichten Theologen ihr Reform-Memorandum

Gotteskrise oder Kirchenkrise?

Geht ein Riss durch die katholische Kirche in Deutschland? Konservative Kreise warnten jedenfalls vor einer Spaltung, als am 4. Februar 2011 zunächst 150 Theologieprofessoren ein "Memorandum" mit Forderungen nach Reformen in der Kirche veröffentlichten. Selten hatte eine Erklärung von Theologieprofessoren so viel Aufsehen erregt.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Für die Verfasser ging es darum, angesichts des Missbrauchsskandals in der Kirche und der dadurch ausgelösten Vertrauenskrise Position zu beziehen und den von den Bischöfen ausgerufenen Dialogprozess voranzutreiben. In der Erklärung "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch" diagnostizierten sie einen Problemstau und eine Verknöcherung kirchlicher Traditionen: Die zuletzt rund 300 Unterzeichner plädierten für eine stärkere Beteiligung der Gläubigen an der Bestellung von Amtsträgern, für die Priesterweihe auch von Verheirateten und eine verbesserte kirchliche Rechtskultur.



Mit ihrer Erklärung wandten sich die Theologen "an alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen". Die Wogen schlugen hoch. Im Internet machten Befürworter und Gegner mobil. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken äußerte sich positiv. Mehr als 21.000 Personen unterzeichneten den zustimmenden Aufruf www.kirchenaufbruch-jetzt.de, insgesamt sammelten Unterstützer des Memorandums auf unterschiedlichen Listen rund 70.000 Unterschriften.



Als Gegenreaktion veröffentlichten konservative Katholiken eine "Petition Pro Ecclesia", die von rund 14.000 Unterstützern unterzeichnet wurde (www.petitionproecclesia.wordpress.com). Darin wurden die Bischöfe aufgefordert, den Zölibat zu erhalten, traditionelle Glaubensinhalte zu stärken und Aufweichungstendenzen unter den Hochschullehrern entgegenzutreten.



Gemischte Reaktionen

Die Reaktionen der Bischöfe waren unterschiedlich: Als Angebot der Theologieprofessoren zur Mitarbeit am Dialogprozess werteten einige Oberhirten das Memorandum. Andere übten Kritik: Der Kölner Kardinal Joachim Meisner sprach von "erschreckend oberflächlichen Rezepten" und schon seit Jahrzehnten bekannten Forderungen. Selten habe ihn eine Kundgabe von Theologen "so erschrocken und betrübt". Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller betonte, es sei Aufgabe der Bischöfe, für die "Unverfälschtheit und Integrität der Glaubenslehre" zu sorgen.



Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bekundete seine Gesprächsbereitschaft, kritisierte aber Inhalte und Zeitpunkt des Memorandums. Die Kirche müsse sich darauf konzentrieren, wie die Frage nach Gott in der modernen Gesellschaft wach gehalten und beantwortet werden könne. Dafür sei "mehr erforderlich als ein kirchlicher Reparaturbetrieb, der an einigen Stellschrauben dreht, um so eine bessere Kirche hervorzubringen".



Zwischen zwei Polen schwankt die Diskussion

Auch Papst Benedikt XVI. ging bei seiner Deutschlandreise indirekt auf die Reform-Vorstöße ein. Ohne das Memorandum zu erwähnen, sagte er: "Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen. Dann erscheint die Kirche nur mehr als eine der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, nach deren Maßstäben und Gesetzen dann auch die so sperrige Größe ,Kirche" zu beurteilen und zu behandeln ist."



Gotteskrise oder Kirchenkrise - zwischen diesen Polen schwankt die Diskussion über das Memorandum. Wie der Papst zeigte sich auch Kardinal Walter Kasper überzeugt, dass die Kirchenkrise in erster Linie eine Folge der Gotteskrise sei. Die Gesellschaft habe das Gespür für Transzendenz verloren; notwendig sei deshalb in erster Linie eine spirituelle Erneuerung. Dem widersprachen mehrere Theologen. Er sehne sich nach mehr Spiritualität in der Kirche, sagte beispielsweise der Mainzer Theologe und Mitinitiator der Denkschrift, Gerhard Kruip. Das dürfe jedoch nicht von notwendigen Strukturreformen ablenken. "Wenn das Gebetsleben der Menschen intensiver wird, werden die Forderungen nach Reformen nur noch dringlicher werden."