Am Abend des 2. September 2018 brannte der Sao-Cristovao-Palast von Rio de Janeiro lichterloh. Das Gebäude des 1818 gegründeten Nationalmuseums, in dem einst der portugiesische Hof und danach Brasiliens Kaiserfamilie residierten, drohte gar einzustürzen. Verzweifelte Museumsmitarbeiter versuchten noch, einzigartige Sammlungen vor den Flammen zu retten.
"Viele fragen sich, wie dieses Land sein ältestes und wichtigstes Museum seinem eigenen Schicksal überlassen konnte", sagt Direktor Alexander Kellner. Investitionen von einer Million Euro in den Brandschutz hätten ausgereicht, die Katastrophe zu verhindern.
Wie konnte das Museum mitten in Rio einfach so abbrennen?
Nicht nur Nachlässigkeit, auch eine Reihe tragischer Zufälle führten zu den unersetzlichen Verlusten - angefangen bei der defekten Klimaanlage, die vermutlich zum Brand führte. Dabei hatte Kellners Team bereits den Plan, alle Sammlungen aus dem Palast auszulagern. Die Wirbeltiere, die Botanik, die Bibliothek und einige kleinere Sammlungen waren schon nicht mehr dort; dafür aber die übrigen rund 80 Prozent der insgesamt rund 20 Millionen Stücke.
"Es ging nicht alles verloren", so Kellner - "aber vieles." In den Schuttbergen konnte sein Team Meteoriten, Fossilien und Knochen bergen, einige in relativ gutem Zustand, andere stark beschädigt. Es kam zu überraschenden Funden, etwa ägyptischer Amulette, die aus einem verbrannten und bis dahin verschlossenen Sarkophag stammen.
Die im 19. Jahrhundert von Kaiser Pedro II. zusammengestellte ägyptische Sammlung ging teilweise verloren, genau wie ethnographische Sammlungen mit Artefakten ausgestorbener indigener Völker. Ein Teil sei zwar digitalisiert, "aber das ersetzt ja nicht den realen Gegenstand. Das tut uns sehr weh", so Kellner. Noch sucht man im Schutt weiter. Doch die Hälfte der Sammlungen scheint komplett verloren.
Hydranten im Museum funktionieren bis heute nicht
Tragisch auch, dass der Brand an einem Sonntagabend ausbrach, als keiner der für Brandfälle trainierten Mitarbeiter anwesend war. Und dass die Feuerwehr ohne passendes Gerät anrückte. Die Hydranten führten zudem kein Wasser; über Stunden konnten die Männer nichts tun. "Man hat sich gedacht, die Feuerwehr wäre zum Blumengießen gekommen." Die Hydranten funktionieren bis heute nicht.
Polizei und Feuerwehr hinderten die Mitarbeiter zudem daran, Stücke zu retten - "bis ich sagte, wir gehen rein und retten, mit oder ohne ihre Hilfe", so Kellner. "Wir hätten zwei Stunden vorher damit anfangen und wirklich viel retten können. Über die Hälfte, hätte die Feuerwehr mitgespielt." Trotzdem gibt sich der Direktor optimistisch; der Wiederaufbau laufe.
In einer ersten, von Brasiliens Regierung finanzierten Etappe erhielt das Gebäude ein provisorisches Dach. Und mit der Unesco arbeitet man an Plänen für neue Ausstellungen sowie die künftige Innenausstattung des Palasts. Das Nationalmuseum ist Teil der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, UFRJ. 90 Professoren und rund 500 Studenten müssen derzeit improvisieren.
Direktor Kellner: Dankbar für Soforthilfen aus Deutschland
Kellner plant daher den Bau eines Gebäudes für Unterricht und die Aufbewahrung der geretteten Sammlungen. Derzeit wirbt er in Europa und China für die Finanzierung. Es wäre eine Notlösung - bis das Nationalmuseum 2024 oder 2025 wieder eröffnen kann. Auch das Geld für Restaurierungsarbeiten an den beschädigten Sammlungen steht noch aus.
Das Nationalmuseum sei nun mal nicht mit Notre-Dame in Paris zu vergleichen, wo binnen Stunden Hilfszusagen von Hunderten Millionen eingingen. "Für die Europäer ist Kultur wichtig", so Kellner. In Brasilien sei es dagegen unüblich, für Wissenschaft und Kultur zu spenden. Auch wollten viele Bürger wegen der grassierenden Korruption kein Geld geben.
Besonders dankbar ist Kellner daher für die Soforthilfen aus Deutschland. Die unbürokratische Hilfszahlung von 180.000 Euro habe die Bergung vieler Stücke überhaupt erst möglich gemacht. "Die Deutschen waren die ersten und haben genau dort geholfen, wo wir es gebraucht haben", so Kellner. "Ihr könnt stolz darauf sein - und ich bin richtig dankbar."
Von Thomas Milz