Vor 80 Jahren Einmarsch im Sudetenland – Das Beispiel Tepl

Der Anfang vom Niedergang

Die Abtretung der deutsch besiedelten Grenzregionen der Tschechoslowakei an Nazi-Deutschland 1938 geschah gegen den Willen Prags. Doch für die Sudetendeutschen wurde die vermeintliche "nationale Befreiung" zum Bumerang.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Die Stiftskirche mit Steinkreuz im Stift Tepl der Prämonstratenser / © Nadine Loesaus (KNA)
Die Stiftskirche mit Steinkreuz im Stift Tepl der Prämonstratenser / © Nadine Loesaus ( KNA )

Viele der rund drei Millionen Sudetendeutschen in Böhmen und Mähren jubelten, als ab 1. Oktober 1938 Divisionen der Wehrmacht ihre Randgebiete in der Tschechoslowakei besetzten. Großbritannien und Frankreich hatten sich vom angeblichen Friedenswillen Adolf Hitlers einlullen lassen und stimmten im Münchner Abkommen vom 30. September einer Abtretung der deutsch besiedelten Grenzregionen zu – gegen den Willen Prags.

Doch gerade für die Sudetendeutschen wurde die vermeintliche nationale Befreiung zum bitteren Bumerang. Nach der deutschen Niederlage 1945 wurden sie durch die sogenannten Benesch-Dekrete aus ihrer Heimat vertrieben. Und die Kirchenverfolgung betrieben die Kommunisten nach ihrer Machtübernahme nirgends so hart wie in Westböhmen.

"Die atheistischste Diözese der Welt"

Mit den Sudetendeutschen verlor die Tschechoslowakei auf einen Schlag ein Viertel ihrer Katholiken; auch so war die Stimmung im Land schon seit der Ausrufung der Republik 1918 stark antihabsburgisch und damit antikatholisch gewesen. Der 2016 emeritierte Bischof Frantisek Radkovsky nannte sein Bistum Pilsen daher ironisch "die atheistischste Diözese der Welt".

Ein anschauliches Beispiel für diese Zeitläufte ist das westböhmische Prämonstratenser-Stift Tepla (Tepl). Die weitläufigen Stiftsgebäude, seit 2008 nationales Kulturdenkmal Tschechiens, bieten heute wieder ein idyllisches Bild – freilich mit unverheilten Wunden der jüngeren Geschichte. Die Renovierungsarbeiten nach Jahrzehnten der Umnutzung und Verwahrlosung dauern seit der Wende von 1989/90 an.

"Reichsgau Sudetenland"

Nach dem Einmarsch 1938 sahen Hitler und der Reichsstatthalter Konrad Henlein den "Reichsgau Sudetenland" als konkordatsfreie Zone an – und verfuhren kirchenpolitisch entsprechend: Die Staatsleistungen an die Kirche wurden eingestellt, Bekenntnisschulen geschlossen, viele Stifte und Klöster für Arbeitsdienst, Wehrmacht und Polizei requiriert.

Tepl blieb Letzteres zwar erspart. Doch obwohl dem Stift mit Abt Gilbert Johann Helmer (1900-1944) ein erklärter deutscher Nationalist vorstand, entgingen die wertvollen Bibliotheksbestände nach 1938 nur knapp dem Verkauf. Ordensangehörige wurden zum Kriegsdienst in der Wehrmacht eingezogen.

Aus dem Besitz dreier Städte und mehr als 60 Dörfer hatte das Stift, das auf über acht Jahrhunderte deutsch-böhmischer Geschichte zurückblickt, im Mittelalter enorme Feudaleinkünfte bezogen. Bis zur deutschen Besetzung profitierte es zudem vom Besitz der Thermalquellen, Kurbäder und Unterkunftshäuser im weltberühmten Marienbad. Doch die Nationalsozialisten zwangen das Stift, den Marienbader Besitz an Privateigentümer zu verkaufen. Von dem zeitweise verschwenderischen Reichtum ist heute kaum etwas geblieben.

Militärische Präsenz und atheistische Propaganda

1990, unmittelbar nach der "Samtenen Revolution" gegen die kommunistische Diktatur, wurden dem Orden allein die Klostergebäude zurückerstattet - oder das, was davon übrig war. Jahrzehntelang hatten sie der tschechoslowakischen Armee als Kaserne gedient – und seit 1978 komplett leergestanden. Hier, nur rund 30 Kilometer von der bayerischen Grenze und unmittelbar hinter dem Eisernen Vorhang, waren militärische Präsenz und atheistische Propaganda bis in die 70er Jahre besonders massiv.

Der einzige Gebäudeteil, der außer der Kirche vom Vandalismus verschont blieb, ist die Bibliothek. In der "Besatzungszeit" als Museum geführt, beherbergt die zweitgrößte Klosterbibliothek des Landes rund 100.000 Bände – von mittelalterlichen Kodizes bis zu Marx und Engels.

Die größten Schätze von Tepl sind der "Codex Teplensis", das erste komplett in deutsche Sprache übersetzte Neue Testament überhaupt; ein karolingischer Beichtspiegel aus dem Jahr 830; eine Prachtausgabe der "Legenda Aurea"; ein siebenbändiges Magdeburger Antiphonar von 1491; insgesamt 820 Handschriften, dazu mehr als 1.100 wertvolle Werke aus der Frühzeit des Buchdrucks. Allein 30.000 Bände aus Tepl stammen aus der Zeit bis 1800.

Sechsmal wieder aufgebaut

Sechsmal brannte das 1193 gegründete Stift im Laufe der Jahrhunderte ab, sechsmal wurde es wieder aufgebaut. Die einst riesigen Ländereien sind Vergangenheit. Immerhin: Seit 2011 hat die Ordensgemeinschaft in Tepla mit dem adligen Filip Zdenek Lobkowicz (64) wieder einen regulären Abt. Die materielle Hoffnung liegt heute im Tourismus. Wichtigste Einnahmequelle ist der angegliederte Hotel- und Restaurantbetrieb. Das böhmische Bäderdreieck mit Marienbad bringt wieder viele Tagesbesucher an die Klosterpforten – auch und vor allem aus Deutschland.

Mitte September feierte das Bistum Pilsen in der Klosterkirche von Tepla sein 25-jähriges Bestehen – und mit dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer auch die Bistumspartner- und -nachbarschaft mit Deutschland.


 Steinkreuz im Stift Tepl der Prämonstratenser / © Nadine Loesaus (KNA)
Steinkreuz im Stift Tepl der Prämonstratenser / © Nadine Loesaus ( KNA )

Bibliothek im Stift Tepl der Prämonstratenser  / © Nadine Loesaus (KNA)
Bibliothek im Stift Tepl der Prämonstratenser / © Nadine Loesaus ( KNA )
Quelle:
KNA