Vor 75 Jahren erschien die erste "Vater-und-Sohn-Geschichte"

Ein Bilderbuch-Vater

Meist ist der Vater selbst noch Kind - mehr Freund und Spielgefährte als strenge Autoritätsperson. Glatzköpfig und gutmütig begleitet der von Erich Ohser seit 1934 gezeichnete Vater die Abenteuer seines pfiffig-frechen Sohnes. Die Geburtsstunde der zum Klassiker gewordenen Comics schlug vor genau 75 Jahren: Kurz vor Neujahr 1935 veröffentlichte die "Berliner Illustrirte Zeitung" die erste Bildergeschichte, die schnell zur vielgelesenen, wöchentlich erscheinenden Serie wurde.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Während die Popularität der Vater-und-Sohn-Figuren bis heute ungebrochen ist - die Auflagen liegen bei mehreren Hunderttausend - ist der Vater der Serie nur wenigen bekannt: Hinter dem Pseudonym E. O. Plauen steht der 1903 bei Plauen im Vogtland geborene Karikaturist und Zeichner Erich Ohser. Nach einem Kunststudium in Leipzig machte er sich im Berlin der goldenen 1920er Jahre einen Namen: Er illustrierte die ersten Bücher seines Freundes Erich Kästner, arbeitete als Schnellzeichner in einem Variete und karikierte für den «Vorwärts» den erstarkenden Nationalsozialismus. So zeigte er in der SPD-Parteizeitung Goebbels und Hitler als lächerliche Witzfiguren.

Nach der Machtergreifung hatte dies jedoch Konsequenzen: Ohser erhielt Berufsverbot. Nur über Umwege bekam er eine neue Chance: Er gewann den Wettbewerb um eine neue Zeichenserie für die «Berliner Ilustrirte» - die Geburtsstunde von «Vater und Sohn».

Die zutiefst menschlichen, dem Kind zugewandten Zeichnungen enthielten sich nun jedes Zeitbezugs und jeder politischen Stellungnahme. Im Nachhinein kann man das als stummes Zeugnis der inneren Emigration Ohsers deuten. Absurd zugleich, dass die Nationalsozialisten die populären Figuren des geschmähten Zeichners für eigene Propagandazwecke einsetzten, etwa zu Spendenaufrufen für das Winterhilfswerk oder die NS-Organisation «Kraft durch Freude».

Vielleicht wegen dieser Instrumentalisierung, aber wohl auch wegen ausgehender Ideen, schloss Ohser 1937 die erfolgreiche Serie nach knapp drei Jahren ab. Die letzte der rund 150 Bildergeschichten zeigt Vater und Sohn, die der Welt in Richtung Mond entfliehen.

Ohser selbst entfloh dem Zugriff des autoritären Regimes nicht.
Trotz mehrerer Gelegenheiten lehnte er eine Emigration ab.
Vielleicht auch, weil er keine Fremdsprachen beherrschte und sich vor dem Umzug in eine fremde Umgebung fürchtete. Ohser hasste das Naziregime und wollte zugleich das geliebte Deutschland nicht verlassen. «Ohser versuchte nach dem Ende der Vater-Sohn-Geschichten einen Kompromiss im Umgang mit dem Regime zu finden - auch um sich und seine Familie finanziell über Wasser zu halten. Allerdings scheiterte er dabei tragisch», urteilt Ines Ende, die heute Ohsers Werke beim Konstanzer Südverlag betreut.

Noch in den 1940er Jahren erhielt Ohser gelegentliche Illustrationsaufträge und stimmte auch einer Mitarbeit bei der NS-Vorzeige-Wochenzeitung «Das Reich» zu, für die er Karikaturen der deutschen Kriegsgegner lieferte. Seine Familie evakuierte Ohser 1943 aus dem schwer bombardierten Berlin. Er selbst aber blieb und wurde von einem Gestapospitzel denunziert, weil er im Luftschutzbunker Hitler und Goebbels kritisierte. Der überlieferte Gestapo-Bericht hält fest, dass Ohser Goebbels beschuldigte, die Kunst in Deutschland zugrunde gerichtet zu haben. Täglich gebe es Hinrichtungen von Künstlern. «Ich merke es ja am Dünnerwerden meines Bekanntenkreises.»

Nur wenige Tage nach der Verhaftung kam es zum Schauprozess. Unter dem Vorsitz des «Volksgerichtshof»-Präsidenten Roland Freisler fiel das Todesurteil gegen Ohsers mitangeklagten Freund, den Verleger Erich Knauf. Der Vater von «Vater und Sohn» kam dem zuvor und nahm sich am Tag der Urteilsverkündung, am 6. April 1944, in Gestapohaft das Leben. Seine Familie hat er nach seiner Verhaftung nicht mehr gesehen. Im Abschiedsbrief an seine Frau dachte er bis zuletzt an den Sohn: «Mach' aus ihm einen Menschen; ich gehe mit glücklichem Lächeln.»