Vor 70 Jahren kamen die ersten Gefangenen ins NS-Konzentrationslager Theresienstadt

Vom vermeintlich schönen Leben in einem jüdischen Ghetto

Vor genau 70 Jahren, am 24. November 1941, kamen die ersten Juden in einem sogenannten Aufbaukommando im KZ Theresienstadt an. Die NS-Propagandisten verleihen dem Lager von Anfang an das Image einer Art jüdischer Mustersiedlung, um damit die Vorwürfe und Gerüchte über die systematische Ermordung der europäischen Juden zu entkräften.

Autor/in:
Marius Zippe
 (DR)

Es ist ein besonders perfides Kapitel nationalsozialistischer Propaganda: Als im Juni 1944 eine Abordnung des Internationalen Roten Kreuzes im nordböhmischen Ghetto Theresienstadt eintrifft, erwartet sie eine bis ins Detail geprobte Show. Wie Theaterkulissen werden in den Gassen extra Läden und Cafés eingerichtet. Das Kinderheim erhält blütenweiße Betten.



Die Rot-Kreuz-Delegation darf auch eine Vorstellung der Kinderoper "Brundibar" sehen, nichts aber von engen Massenquartieren, Hunger, Krankheit und Hinrichtungen.



Vor der Abfahrt von zuhause wähnen sich die Aufbauhelfer allerdings noch als freie Arbeiter. "Aber bereits in der Station Bauschowitz wird uns klar, dass es mit der Freiheit zu Ende ist", berichtet ein überlebender Häftling später. Bewaffnete tschechische Wächter empfangen die Arbeiter in dem kleinen Bahnhof unweit von Theresienstadt. Sie sind die ersten von insgesamt etwa 140.000 Menschen, die in dieses Ghetto deportiert werden. Weitere 15.000 kommen zu Kriegsende aus anderen Lagern hinzu.



Der von Kaiser Joseph II. 1780 gegründete Garnisonsort eignet sich für die SS in besonderer Weise zur Einrichtung eines Konzentrationslagers. Die zwischen Dresden und Prag gelegene Festungsstadt ist leicht kontrollierbar und die Kasernengebäude bieten viel Platz. In der sogenannten Kleinen Festung etwas außerhalb gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits ein Gestapo-Gefängnis. Für die Nazis nimmt das Ghetto, an das heute eine Gedenkstätte erinnert, zudem eine Sonderrolle ein.



"Der Führer schenkt den Juden eine Stadt"

Vom vermeintlich schönen Leben in Theresienstadt berichtet ein Propagandafilm von 1944 - bekannt unter dem Titel "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt".



In das Ghetto wurden fast alle Juden des damaligen Protektorats Böhmen und Mähren deportiert. Andere kommen aus Deutschland und den westeuropäischen Ländern. Unter ihnen sind viele Juden mit besonderen Verdiensten oder Prominente wie der Präsident der Reichsvertretung der Deutschen Juden, Leo Baeck. Gerade vielen Älteren preisen die Nazis Theresienstadt wie einen Kurort an. Sie verkaufen für horrende Summen lebenslängliche Wohnplätze.



Der Historiker Ferdinand Seibt beschreibt Szenen, in denen Ankömmlinge nach ihren reservierten Zimmern fragen und Wünsche nach Südseite oder Balkon äußern. "Sie zeigten Bestätigungen über große Beträge von 80.000 Reichsmark und mehr, mit denen sie sich für einen lebenslänglichen Aufenthalt samt Verpflegung in Theresienstadt eingekauft hatten", erläutert er unter Berufung auf Zeitzeugen.



Um den Anspruch der Vorzeige-Siedlung zu untermauern, verweisen die Nazis auch auf das verhältnismäßig vielfältige öffentliche Leben im Ghetto. Dort gibt es reguläre Schulen, Theater und sogar eine Jugendfürsorge. Tagebücher und viele Kinderzeichnungen sind als Dokumente überliefert. Legendär sind daneben die vielen Konzertaufführungen wie zum Beispiel von Verdis Requiem.



"Theresienstädter Requiem"

Den unter extremen Bedingungen einstudierten Aufführungen widmete der tschechisch-jüdische Schriftsteller Josef Bor nach dem Krieg die international bekannte Novelle "Theresienstädter Requiem". Das von den Nazis zu einem regelrechten Ort der Wohlfahrt stilisierte Theresienstadt wird für die meisten die letzte oder vorletzte Station ihres Lebens. Brutale Aufseher, Krankheiten, Zwangsarbeit und die ständige Gefahr von Deportationen sorgen für Angst und Schrecken.



Knapp 90.000 Ghettobewohner kommen in den Vernichtungslagern wie Auschwitz und Treblinka um. Weitere rund 34.000 sterben an Krankheiten, Misshandlungen oder Hinrichtungen in Theresienstadt. Zum Kriegsende im Mai 1945 befreit die Rote Armee das Konzentrationslager. Zwei der drei Kommandanten, Siegfried Seidel und Karl Rahm, werden zum Tode verurteilt.



Der dritte, Anton Burger, erhält das Todesurteil in Abwesenheit. Ihm gelingt zweimal die Flucht aus der Haft. Er lebt unter mehreren falschen Namen in Österreich und in Deutschland. Erst nach Hinweisen des Nazijägers Simon Wiesenthal klärt sich 1994 sein Verbleib. Doch da ist er kurz zuvor in Essen gestorben.