Vor 60 Jahren stellte Robert Schuman die "Montanunion" vor

Wirtschaft als Instrument zum Frieden

Die "Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl", auch Montanunion genannt, ist die erste Vorläufer-Organisation der heutigen Europäischen Union. Gegründet wird sie 1951. Ein Jahr zuvor wurden in Paris die Weichen gestellt.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Europa eine Seele zu geben - das ist die hartnäckige Forderung derer, die sich mit Europa als bloßer Wirtschaftsgemeinschaft nicht abfinden wollen. Dabei schwindet bei vielen Europäern - auch in der aktuellen Griechenland-Diskussion - das historische Bewusstsein dafür, dass die Existenz der heutigen EU vor allem auf die Visionen und das hartnäckige Engagement christlich geprägter Politiker zurückgeht. Ihr Vorreiter war der Franzose Robert Schuman (1886-1963).

Vor 60 Jahren, am 9. Mai 1950, wurde in Paris der sogenannte Schuman-Plan vorgestellt. Der damalige französische Außenminister sah darin eine "Montanunion" zwischen Frankreich und Deutschland vor, also eine behördliche Aufsicht über die Stahl- und Kohleproduktion beider Länder. Die gemeinsame Bewirtschaftung der zentralen Stoffe der Rüstungsindustrie durch die einstigen Erbfeinde war für ihn im Kern aktive Friedenspolitik. Dieses Instrument, das auch dem Beitritt anderer Länder offen stand, sollte zur Keimzelle der europäischen Einigung werden, die heute längst über den einst Eisernen Vorhang ausgreift. Das Europäische Parlament hat Schuman, seinem ersten Präsidenten (1958-1960), später den Ehrentitel "Vater Europas" verliehen.

Geborener Europäer
Und Schuman war buchstäblich der geborene Europäer: Seine Heimat lag auf der Grenze zwischen Luxemburg und Lothringen, das 1871 an das Deutsche Reich fiel. Im Ersten Weltkrieg diente Schuman noch als Reservist im deutschen Heer. Nach der Abtrennung Elsass-Lothringens jedoch wurde der Grenzgänger, der sich in Metz als Rechtsanwalt niedergelassen hatte, Franzose und schon 1919 Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung.

Nach dem frühen Tod seiner Eltern hatte Schuman eigentlich Priester werden wollen. Doch Freunde überzeugten ihn, dass die Welt tüchtige Laien brauche und dass die Heiligen des 20. Jahrhunderts Straßenanzüge tragen würden. So schlug der umfassend Begabte eine Karriere als Jurist und aktiver Laienkatholik ein.

Bereits in den 20er Jahren knüpfte Schuman mit christlich-demokratischen Politikern aus ganz Europa, etwa Konrad Adenauer oder dem Italiener Alcide de Gasperi, ein dichtes Netz von Kontakten. Diese Beziehungen sollten nach 1945 Früchte tragen. Doch zunächst geriet Schuman als Unterstaatssekretär für das Flüchtlingswesen in Gegensatz zur Vichy-Regierung Petains; im Herbst 1940 wurde er als erster prominenter französischer Politiker verhaftet. Nach seiner Flucht aus Gestapo-Haft im August 1942 versteckte er sich bei Benediktinern, mit denen ihn enge Freundschaft verband. Er arbeitete fortan im Widerstand; 1945 gründete er die Christlich-Demokratische Partei.

Finanzminister, Ministerpräsident, Außenminister
Zwischen 1947 und 1953 gehörte Schuman allen schnell wechselnden französischen Regierungen an - zunächst als Finanzminister, dann als Ministerpräsident und Außenminister. Gegen die Anfeindung der Gaullisten betrieb er mit Energie seine Idee der europäischen Einigung und einer deutsch-französischen Annäherung. Die Stadt Aachen verlieh ihm dafür 1958 den Karlspreis. Über den "Schuman-Plan" hinaus gehende Elemente der Integration, etwa eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft, scheiterten zunächst an nationalen Widerständen.

In mehreren Funktionen verfolgte Schuman noch weiter das Werden "seines" Europa. Auch die Straßburger Konvention für die Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 gilt als sein Werk. Im Winter 1961 erlitt der Junggeselle bei einem Abendspaziergang einen Herzinfarkt. Eine ganze Nacht blieb er hilflos in Eiseskälte liegen - und erholte sich nie mehr vollständig. Am 4. September 1963 starb er, 77-jährig, in seinem Landhaus bei Metz.

Ein "ewiges Vorbild für alle Verantwortlichen am Aufbau Europas" nannte Papst Johannes Paul II. (1978-2005) Schuman 1988 vor dem Straßburger Europaparlament. Der Seligsprechungsprozess für den überzeugenden Christen, der auch als Regierungschef täglich die Messe besuchte, läuft seit 1990. Vor dessen Abschluss braucht es unter anderem noch ein Wunder. Man könnte meinen, das Verdienst, die Vision eines geeinten Europa aus Zeiten des "totalen Krieges" in politische Realität umgesetzt zu haben, sei eigentlich schon Wunder genug.