Vor 50 Jahren wird die Leipziger Oper eröffnet - Erinnerung an Architekten Nierade

Vornehmes Grau für Ulbricht

Als Walter Ulbricht am 8. Oktober 1960 die Leipziger Oper eröffnete, spielte der Architekt in seiner Rede keine Rolle. Der DDR-Staatsratsvorsitzende lobte «die tüchtigen Erbauer», das «Werk des Friedens». Bei den Festwochen zum 50. Geburtstag des Hauses dagegen wird ausführlich an Kunz Nierade erinnert.

Autor/in:
Corinna Buschow
 (DR)

Das alte Opernhaus der Messestadt, das "Neue Theater", war 1943 in einer Bombennacht zerstört worden. Der Neubau war dem gebürtigen Leipziger Ulbricht eine Herzensangelegenheit. Den Architekten wählte er persönlich aus. Nierade versprach ihm einen repräsentativen Bau, der dem 1886 von Carl Gotthard Langhans erschaffenen Vorgängergebäude im klassizistischen Stil im Wesentlichen ähneln sollte.



Ergänzt wurde er um sozialistische Embleme an der Fassade. Hammer, Zirkel und Friedenstaube sollten das Ende der bürgerlichen Operntradition zugunsten einer Kultur für Arbeiter und Bauern symbolisieren. Selbst über Details wollte der oberste Bauherr Ulbricht bei zahlreichen Besuchen mitbestimmen, zum Beispiel über den Holzton für die Wände des Zuschauerraums.



Walter Ulbricht, so erzählt heute Architekten-Sohn Stephan Nierade, missfiel der geplante blasse Ton für die Vertäfelung des Saals. Als "vornehmes Grau" umwarb Kunz Nierade die Holzprobe. "Grau ist keine Farbe. Grau ist Adenauer, grau ist Krieg", habe Ulbricht verärgert geantwortet. Nierade blieb aber dabei. Das blasse Holz prägt bis heute den Innenraum.



Für Nierade das Lebenswerk

Der 44.600.000 DDR-Mark teure Opernneubau war für Nierade das Lebenswerk. Der Architekt hatte Siedlungen in den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten in Polen und später in Leipzig geplant. Nach dem Krieg beteiligte er sich an Wettbewerben für Denkmäler. "Er war pragmatisch veranlagt, machte jeweils das, was gebraucht wurde", erklärt sein Sohn.



Für die Thomaskirche schuf der Protestant die neue Begräbnisstätte von Johann Sebastian Bach. In Leipzig plante er außerdem die Deutsche Hochschule für Körperkultur, in der heute noch die Sportfakultät der Universität untergebracht ist. Außerdem stammt die Fassade der Komischen Oper in Berlin von Nierade.



Als Nierade 1956 mit den Plänen für die Leipziger Oper begann, wurde er zum Privilegierten in einem System, dem er eigentlich kritisch gegenüberstand. In seinem Arbeitsvertrag war festgehalten, dass das Ministerium für Kultur dafür zu sorgen habe, "dass die Kinder des Herrn Nierade die von ihm gewünschte Ausbildungsmöglichkeit in der DDR erhalten". Sein monatliches Gehalt während des Opernbaus lag mit 3.000 DDR-Mark weit über dem Durchschnitt der Verdienste.



Eine "gewisse Narrenfreiheit"

Dabei hatte einst die Staatssicherheit Nierade im Visier. 1955 startete der Geheimdienst eine zweiwöchige Beobachtung wegen der Vermutung, er habe sich maßgeblich an einem der Aufstände des 17. Juni 1953 beteiligt. Die Bespitzelung, so verrät es heute seine Stasi-Akte, blieb erfolglos.



"Er hat sich immer so ausgedrückt, dass ihm niemand was ans Zeug flicken konnte", sagt sein in Leipzig lebender Schwiegersohn Ulrich Kühn. Weil die Qualität seiner Arbeit bestach, habe er eine "gewisse Narrenfreiheit" genossen, ergänzt Stephan Nierade.



Nierade war einst NSPAD-Mitglied, trat aber noch vor Kriegsende wieder aus. Später verweigerte er sich der SED. "Diesen Fehler wollte er nicht noch einmal machen", erzählt sein Sohn. Wenn es schon der Kirche seit 2000 Jahren nicht gelinge, die Menschen besser zu machen, werde es eine Partei schon gar nicht schaffen, habe er seiner Familie erklärt.