Vor 30 Jahren wurde das "Bambinello" in Rom gestohlen

Der verschollene Heiland

Der Diebstahl einer 500 Jahre alten Holzfigur versetzte vor 30 Jahren ganz Rom in Aufruhr. Denn es war nicht irgendeine Holzfigur verschwunden, sondern das Jesuskind vom Kapitolshügel. Jetzt gibt es dort nur noch eine Kopie.

Autor/in:
Niklas Hesselmann
Bambinello, eine Jesusfigur, in der Kirche Santa Maria in Aracoeli in Rom / © Romano Siciliani/Romano Siciliani (KNA)
Bambinello, eine Jesusfigur, in der Kirche Santa Maria in Aracoeli in Rom / © Romano Siciliani/Romano Siciliani ( KNA )

Dass es sich nur um eine Kopie handelt, hält weder Römer noch Pilger davon ab, dem "Santo Bambino" ("Heiligen Kind") in Rom einen Besuch abzustatten und ihm Bittbriefe zu schreiben. Nach wie vor kommen jedes Jahr viele Briefe von Paaren mit Kinderwunsch, von Kindern und anderen Gläubigen beim Christkind oben auf dem Kapitolshügel an. Dass die Menschen nur noch eine Kopie anbeten können, liegt an einem aufsehenerregenden Diebstahl vor 30 Jahren.

Am 1. Februar 1994 stahlen Unbekannte die 500 Jahre alte Olivenholzfigur aus der Kirche Santa Maria in Aracoeli. Seitdem ist das Jesuskind verschwunden. Sämtliche Suchen und Aufrufe blieben bislang erfolglos.

Enge Bindung zu dem Jesuskind

Das Santo Bambino trägt verschiedene Namen. So wird es auch "Bambinello" ("Kindchen") oder "Er Pupo de Roma" ("Das Baby Roms") genannt. Das unterstreicht die enge Bindung, die die Römer zu der Figur haben, die ein Franziskanerpater im 15. Jahrhundert in Jerusalem aus einem Stück Olivenholz im Garten Gethsemane geschnitzt haben soll. Spätestens Ende des 18. Jahrhunderts setzte die Verehrung der Figur ein. Zu dieser Zeit – kurz bevor französische Truppen es beschlagnahmten, es aber bald darauf wieder herausgaben – sind die ersten Pilgerfahrten zum Santo Bambino belegt.

Eine besondere Fahrt soll die Figur selbst zurückgelegt haben. Der Legende nach war bei der Entstehung des Bambinello und auf dem Weg nach Rom viel Übermenschliches im Spiel. So sollen Engel die Figur über Nacht, während der Künstler schlief, fertig bemalt haben. Auf dem Weg in die Ewige Stadt sei die Kiste mit dem Santo Bambino dann bei rauer See über Bord gegangen. Auf wundersame Weise sei es aber dem Schiff hinterhergeschwommen und habe so sein Ziel erreicht.

Die Heilige Familie - Josef und Maria mit dem "Bambinello" / © Romano Siciliani/Romano Siciliani (KNA)
Die Heilige Familie - Josef und Maria mit dem "Bambinello" / © Romano Siciliani/Romano Siciliani ( KNA )

Wunderheilung durch das Bambino 

Wunder verbinden sich nicht nur mit der Entstehungsgeschichte der Figur: Sie selbst soll auch Wunder wirken. Dieser Glaube verbreitete sich schnell in Rom. So wird dem Bambinello eine heilende Wirkung nachgesagt. Im 19. Jahrhundert ließ ein Adeliger aus der Familie Torlonia es sich ans Krankenbett bringen. Wider die Erwartungen seiner Ärzte überlebte er daraufhin seine Erkrankung. 

Fortan bekamen die Franziskaner, deren Klosterkirche Santa Maria in Aracoeli war, regelmäßige Anfragen von Römern, die auf eine Wunderheilung durch das Bambino hofften. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts soll dauerhaft eine Kutsche der Torlonias bereit gestanden haben, um das Jesuskind im Notfall zu den Kranken zu bringen.

Zu Weihnachten zur Mutter gestellt 

Heute verlässt "Er Pupo" – beziehungsweise seine Kopie – die Kirche auf dem Kapitolshügel nicht mehr in Richtung Krankenbett. Die längste Zeit des Jahres kann man die Figur in einer Kapelle links neben der Apsis besuchen. Dort thront sie mit goldener Krone und reich besticktem Gewand. Papst Leo XIII. (1878-1903) erlaubte 1894 offiziell die Verehrung der Figur und veranlasste ihre Krönung.

Jedes Jahr zu Weihnachten wird das Kind aus seinem Schrein geholt und Maria in der Krippe auf den Schoß gesetzt. Kinder können dem Bambinello dann Gedichte vortragen. Am 6. Januar wird die Figur nach einer feierlichen Prozession auf dem Kapitolsplatz vor die Kirche gebracht. Von dort wird die Stadt Rom mithilfe des Bambino gesegnet.

Franziskaner übernahmen kein Lösegeld 

Dass die 60 Zentimeter große Holzfigur nach dem Diebstahl nicht wieder auftauchen würde, hielt die Polizei für ausgeschlossen. Sie ging davon aus, dass die goldenen Ornamente zu Geld gemacht würden, die Figur selbst jedoch zu bekannt sei, um sie weiterzuverkaufen. Fest steht, dass die Franziskaner die Angebote verschiedener Privatpersonen ablehnten, ein Lösegeld zu übernehmen. Auch ein Aufruf der Insassen des römischen Regina-Coeli-Gefängnisses an die anonymen Diebe blieb erfolglos. Die Franziskaner entschieden sich daraufhin, eine Kopie des Jesuskinds anfertigen zu lassen.

Die Bedeutung des Santo Bambino für Römerinnen und Römer, Reisende und Pilger ist bis heute ungebrochen. Ob in Krankheit, für den Segen eines neugeborenen Kindes oder bei einem Kinderwunsch: Viele Menschen besuchen Tag für Tag das Bambinello, und manch einer ist fest davon überzeugt, dass es auch als Kopie bis heute seine Wunder verrichtet.

Quelle:
KNA